Kommentar Wie die fatale Unsichtbarkeit psychischer Krankheit Leid befeuert

Manchmal denkt Redakteurin Lea Seethaler, es wäre gut, wenn jemand, der psychisch erkrankt, anfängt, aus dem Ohr zu bluten. Damit sofort jemand reagieren und sagen würde: „Oh mein Gott, was ist los? Brauchst du Hilfe?"

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Lea Seethaler
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Mannheim. Manchmal denke ich, es wäre gut, wenn jemand, der psychisch erkrankt, anfängt, aus dem Ohr zu bluten. Damit sofort jemand reagieren und sagen würde: „Oh mein Gott, was ist los? Brauchst du Hilfe?“ Dass er alle zusammenrufen würde, die gerade in Schule, Büro oder am Esstisch nebenan sitzen. Und sagen würde: „Wir müssen ihn zum Arzt bringen!“ Doch dieses beherzte Eingreifen bleibt Wunschdenken.

Mental Health bei jungen Menschen

Depression, während alles blüht: neue Selbsthilfeangebote in Mannheim

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Lea Seethaler
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Denn trotz aller „Awareness“ auf Social Media und Co.: Wenn Menschen wirklich seelisch notleidend sind, passiert das heute noch sehr selten. Wie der neue AXA Mental Health Report zeigt, fehlt es neben professioneller Hilfe für viele aktuell Betroffene offenbar auch an unterstützendem Umfeld: Nur knapp über die Hälfte der Deutschen sagt, dass sie bei einer psychischen Erkrankung auf die Unterstützung von Freunden und Familie vertraue. Rund die Hälfte sagt, sie behandele ihre Erkrankung selbst oder gar nicht, was fatal ist.

Selbsthilfe in Mannheim ergänzt Angebot auf wichtige Art und Weise

Viele würden gerne, bekommen aber keinen Therapieplatz, gehört da auch zur bitteren Wahrheit. Digitale (KI)-Angebote und bedarfsgerechte Versorgung entwickeln sich weiter zu langsam. Gerade der Therapieplatzmangel ist zudem ein hausgemachtes strukturelles Problem, in das man sehenden Auges rannte. Erst jetzt werden etwa bei Ablauf und Finanzierung der Psychotherapeutenausbildung dringende Änderungen angestoßen. Viel zu spät. Und die Bundespsychotherapeutenkammer forderte jüngst wieder Tausende zusätzliche Therapeutensitze. Das ist fatal.

Das Ausgründen der neuen Selbsthilfegruppen in Mannheim wiederum ist sehr gut: Viele Junge suchen Hilfe, haben Redebedarf. Selbsthilfe ist eine wichtige Säule, wenn sie auch keine Therapie ersetzt, aber sie ist niederschwellig. Gerade Depressiven fällte es schwer, Energie für die Therapieplatzsuche aufzubringen. Wenn schon im Umfeld keiner sah, dass Blut aus dem Ohr tropfte, so hört jemand dort vielleicht, wie der Nebensitzer seine Blutung aus der Wunde (vorerst) stoppen - oder zumindest den Schmerz lindern konnte.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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