Kommentar Wer kann Merkel? - Die Kandidaten wetteifern darum, wie sie zu sein

Miriam Hollstein mit Blick auf die Bundestagswahl: Warum die Kandidaten darum wetteifern, wie die Kanzlerin zu wirken

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Miriam Hollstein
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Als Angela Merkel ihren Rückzug aus der Politik erklärte, stellte sich für alle potenziellen Nachfolger der Kanzlerin eine zentrale Frage: Wie stehen die Deutschen zu ihrem Erbe? Wünschen sie sich einen Bruch mit der Ära Merkel oder vielmehr eine Fortsetzung mit anderen Mitteln?

Diese Frage kann inzwischen klar beantwortet werden: In einer Befragung von Anfang August gaben 66 Prozent der Befragten an, mit Merkels Arbeit zufrieden zu sein. In allen Popularitätsumfragen der vergangenen Monate lag die Kanzlerin vorn, 2020 nur kurzzeitig von ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn geschlagen.

Vergessen sind bei den meisten Deutschen die Verwerfungen der Flüchtlingskrise. In Erinnerung ist vielmehr, dass die Regierungschefin das Land solide durch die Finanzkrise brachte, die Europäische Union zusammenhielt und auch schwierigen ausländischen Staats- und Regierungschefs wie Donald Trump die Stirn bot.

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Das unterscheidet Merkel von früheren Kanzlern. Helmut Kohl und Gerhard Schröder wurden abgewählt; es dauerte eine Weile, bis die Meriten ihrer Kanzlerschaft wieder ins öffentliche Gedächtnis rückten. Bei Merkel hat die Glorifizierung hingegen schon jetzt eingesetzt, was auch mit ihrem selbstbestimmten Abgang zu tun hat.

Wer auch immer ihr im Kanzleramt nachfolgt, wird also gut daran tun, mit seiner Politik eine gewisse Kontinuität zu suggerieren – will er oder sie es sich nicht mit den Bürgern verderben. Weil das so ist, findet derzeit zwischen den Kanzlerkandidaten von Union und SPD eine Art Wettbewerb statt, wer mehr Ähnlichkeit mit Merkel hat.

So versuchte CDU-Bewerber Armin Laschet zu Beginn seiner Wahlkampagne, Merkels Motto des „Sie kennen mich“ zu imitieren. Freilich recht erfolglos: Glaubt man den Umfragen, sind derzeit viele in Deutschland der Ansicht, dass sie den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nicht genug kennen, um ihm das wichtigste Regierungsamt zuzutrauen. Noch offenkundiger betrieb SPD-Anwärter Olaf Scholz den Merkel-Doppelgänger-Wettbewerb: Für ein Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ posierte er mit der „Merkel-Raute“, jener Geste der ineinander gespreizten Hände, die so typisch für Merkel ist. Auch lässt der Vizekanzler keine Gelegenheit aus, um zu betonen, wie gut er in der Regierung mit Merkel zusammenarbeitet. Auch das ist übrigens eine typische Merkel-Methode: Erfolgreiche politische Strategien oder Projekte der Konkurrenz kopiert sie ungeniert, um damit selbst zu glänzen.

Und wen wünscht sich Merkel als Nachfolger oder Nachfolgerin? Ihr Engagement für Laschet ist überschaubar, was in der CDU mit Irritation zur Kenntnis genommen wird. Aber auch das schamlose Kopieren von Olaf Scholz wollte sie nicht unkommentiert hinnehmen: Zwischen ihr und Scholz bestehe ein „gewaltiger“ Unterschied, sagte sie: Mit ihr als Kanzlerin würde es nie eine Koalition geben, an der die Linke beteiligt sei. Manch einer erzählt, Merkel habe Wohlwollen für Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock, die sich wie einst Merkel als relativ junge Frau im Politbetrieb durchschlägt.

Auch wenn es naheliegend ist, ist es ein wenig unfair, den Nachfolger oder die Nachfolgerin an der heutigen Merkel zu messen. Denn die „Führerin der freien Welt“ hat mit jener Frau, die es 2005 beinahe nicht ins Kanzleramt geschafft hätte, nur bedingt Gemeinsamkeiten. Sie ist am Amt gewachsen. Diese Chance sollte man dem oder der zugestehen, der oder die folgt.

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