Berlin. Deutschland stehen schwierige Zeiten bevor. Das haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Gewerkschaften und Arbeitgeber nach ihren gemeinsamen Beratungen am Montag unmissverständlich deutlich gemacht. Der russische Überfall auf die Ukraine hat nicht nur die europäische Sicherheitsordnung, sondern auch die Energieversorgung auf den Kopf gestellt. Die Preise für Gas, Strom und Sprit sowie für Waren des täglichen Bedarfs galoppieren davon. Privathaushalte und Unternehmen geraten unter Druck. Die Inflationskrise ist da. Und Scholz (SPD) hat wenig Hoffnung, dass ein baldiges Ende nahen könnte. Ganz im Gegenteil.
„Historische Herausforderung“
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich diese Lage auf absehbare Zeit nicht ändert“, warnte Scholz in Berlin zum Auftakt der sogenannten konzertierten Aktion mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, der Bundesbank und Wirtschaftsfachleuten. „Die aktuelle Krise wird nicht in wenigen Monaten vorübergehen“, betonte Scholz, „wir stehen vor einer historischen Herausforderung“. Russlands Krieg in der Ukraine und die durch die Pandemie gestörten Lieferketten sorgten für eine generelle Unsicherheit.
„Wir werden als Land durch diese Krise nur gut durchkommen, wenn wir uns unterhaken, wenn wir gemeinsam uns auf Lösungen einigen“, hob Scholz beim gemeinsamen Presseauftritt mit der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, und Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hervor. Die Gesellschaft sei viel stärker, als manchmal unterstellt werde.
1000 Euro Entlastung im Monat
Die Runde am Montag im Kanzleramt bildete laut Scholz den Auftakt für weitere Gespräche. Er freue sich, „wenn wir in diesem gemeinsamen Dialog ausgetretene Pfade verlassen und einen Geist der Gemeinsamkeit entwickeln, der uns durch diese Zeit trägt“.
Auch Fahimi und Dulger stimmten die Menschen auf schwierige Monate ein und kündigten an, gemeinsam mit der Regierung einen Abschwung verhindern zu wollen. Fahimi sprach von einem „historischen Präzedenzfall, in dem es eine gemeinsame Kraftanstrengung braucht“. Von der Inflationsentwicklung seien Privathaushalte genauso betroffen wie Betriebe.
Auch Dulger beschrieb eindringlich den Ernst der Lage: „Dieses Land steht vor der härtesten wirtschafts- und sozialpolitischen Krise seit der Wiedervereinigung“, sagte der Arbeitgeberpräsident, „vor uns liegen schwierige Jahre“. Ein stetiges Wirtschaftswachstum, wie es Deutschland bis vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg erlebt habe, sei „keine Selbstverständlichkeit mehr“. Die Unternehmen und ihre Belegschaften stünden vor großen Herausforderungen.
Mit der konzertierten Aktion im Kanzleramt knüpft die Bundesregierung an ein Vorbild aus den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts an. Als das Wirtschaftswunder-Deutschland seinerzeit in die Krise schlitterte, wurde die informelle Gesprächsrunde aus Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften ins Leben gerufen.
Es war eine Antwort der damals neuen Großen Koalition von Union und SPD unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) auf die erste große Wirtschaftskrise, mit der die Bundesrepublik seit Herbst 1966 konfrontiert war. 1967 gab es nach Jahren stabilen Wachstums erstmals sogar einen leichten Rückgang des Bruttosozialprodukts.
Am 14. Februar 1967 kam das Format erstmals zusammen, um den Kampf gegen die Inflation und steigende Arbeitslosenzahlen zu führen. Erfinder war der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller (1911-1994). Er hoffte, die Tarifpartner auf Eckpunkte einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik einzuschwören – und eine Überhitzung der Konjunktur durch hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften zu vermeiden. Denn damals wie heute war die Gefahr real, dass Löhne und Preise sich gegenseitig in die Höhe treiben.
Zu weiteren Gesprächen bereit
Erreicht werden sollte eine Rückkehr zu Wachstum, Vollbeschäftigung und Preisstabilität. Schiller betonte ausdrücklich, dass keine Eingriffe in die Tarifautonomie vorgesehen seien. Dennoch war die Skepsis vor allem der Gewerkschaften damals groß. In den 70er-Jahren verlor die konzertierte Aktion an Bedeutung und endete schließlich mit dem Auszug der Gewerkschaften, die ihren Handlungsspielraum und letztlich auch die Tarifautonomie in Gefahr sahen.
Auch diesmal, rund 55 Jahr später, hatten sich die Arbeitnehmervertreter im Vorfeld zunächst recht zurückhaltend zum Vorschlag von Kanzler Olaf Scholz geäußert, dieses Format angesichts steigender Preise und hoher Inflation wiederzubeleben. Am Montag machten sowohl Fahimi als auch Dulger jedoch klar, dass sie weitere Gespräche in der aktuellen Situation für sinnvoll halten.
Auch der Bundeskanzler betonte, das erste Treffen sei vielversprechend verlaufen. Es sei darum gegangen, ein „gemeinsames Verständnis für die Lage zu entwickeln“, in der sich das Land befinde. In den kommenden Wochen werde es dann darum gehen, „Instrumente zu entwickeln und Wege zu finden, wie wir auf diese historischen Herausforderungen reagieren werden“.
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