Kommentar So schielt der Mannheimer Sommer aufs Publikum

Stefan M. Dettlinger sieht im Programm des Mannheimer Sommers den Versuch, viele Menschen anzusprechen und auch Menschen ins Theater zu holen, die sonst wohl eher kaum zu dem Festival rund um Mozart kommen würden

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Stefan M. Dettlinger
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Mannheim. Vor zwei Jahren stand die Bekanntgabe des Mannheimer Sommers im Schatten des Entsetzens: über die Schreckensbilder aus Mariupol, aus Kiew und am meisten natürlich aus Butscha. Die Bilder sind immer noch präsent. Der Schrecken sitzt tief. Die Welt hat sich seitdem nicht verbessert. Im Gegenteil: Das Kibbuz Beeri ist noch dazu gekommen.

Die Scham vor dem Luxus, einfach mal über schöne Kunst zu diskutieren, ist da nicht so leicht abzulegen, auch wenn es das Festivalprogramm zum Mannheimer Sommer 2024 etwas leichter macht. Denn um das, worum es Festivalmacher Jan Dvorák geht, um Wissenschafts-, Religions- und Kunstfreiheit als d i e großen Errungenschaften der Aufklärung, geht es auch in den Konflikten dieser Tage. In Gaza. In der Ukraine. Und in vielen anderen Orten, über die wir kaum reden. Insofern darf Kunst vielleicht auch mal radikale Gegenwelten formulieren, zumal, wenn sie eingebettet sind in Formate fantasievoller und ergebnisoffener Diskurse.

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Stefanie Čabraja
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Und das tut der Mannheimer Sommer 2024 auf erfrischende Weise. Er wendet sich mit einem Angebot an die Menschen, das von der traditionellen Opernaufführung über zeitgenössische Experimente anhand alter Vorlagen bis hin zum Flirt mit der Popkultur wirklich sehr vieles enthält, was Menschen unterschiedlicher Herkunft ansprechen könnte. Mit einem Maskenball, einer Disco, Audiowalks, dem Orchesterkaraoke zum Mitsingen oder einer Performance über die Rhythmen des Boxsports sind – wie immer auch bei den alternierend stattfindenden Internationalen Schillertagen – auch sehr offene, wenn man so will: niederschwellige Formate programmiert. Selbst die deutsche Ikone des Umweltaktivismus Lisa Neubauer kommt zum Festivalfinale mit der „Rede in Es-Dur“ – ein Magnet für Leute, die sonst wohl niemals zum Festival rund um Mozart kämen.

Insgesamt ist hier der Versuch einer Beweisführung zu beobachten, dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Kunst nicht zwingend entweder besucherorientiert oder künstlerisch wertvoll ist, nicht zwingend entweder wirtschaftlich oder ästhetische Spitzenleistung. Ob das am Ende klappt, steht dann wieder auf einem anderen Blatt, das wir am 27. Juni aufschlagen und studieren werden.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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