Mannheim. Die „MM“-Wahlarena war mehr als ein weiteres Podium im Wahlkampf. Sie war ein Spiegelbild des politischen Zustands in Deutschland: Ein Land, das sich in großen Teilen unversöhnlich gegenübersteht. Die Debatte auf der Bühne war kontrovers, aber die Diskussion spielte sich auch davor ab – mit einem Publikum, das neben Applaus auch mit Buh- und teils hitzigen Zwischenrufen gezeigt hat, wie tief die Gräben sind.
Um das klarzustellen: Buhrufe und Zwischenrufe für sich genommen sind noch kein Skandal, gehören in Maßen vielleicht sogar noch zur politischen Kultur dazu. Doch sind sie derzeit ja nur eines von vielen Symptomen. Inzwischen gibt es Meldungen von Angriffen auf Parteibüros oder Anschlägen auf Wahlkampfautos. Das ist in der Summe erschreckend und zeugt von einem Klima, das in Teilen in eine offene, nicht hinnehmbare Feindseligkeit umgeschlagen ist.
Allein Friedrich Merz für die Polarisierung verantwortlich zu machen, ist zu einfach
In zu vielen Fragen fehlt derzeit ein Fundament, auf dem tragfähige Lösungen gemeinsam erarbeitet werden können. Das zeigt sich auch in der Art, wie über Politik gesprochen wird – mit Empörung und oft ohne Bereitschaft, Brücken zu bauen.
Gegner werfen Friedrich Merz vor, für diese Polarisierung verantwortlich zu sein. Das stimmt – in Teilen. Zur Wahrheit gehört aber, dass auch die Politik der Ampel und die der Vorgängerregierungen bereits polarisiert haben – inklusive Provokationen und einfachen Lösungen von extremen Rändern wie der AfD. Die viel diskutierten Unionsanträge waren lediglich ein weiterer Tropfen auf dem schon vollen Fass. Merz ist so zum Symbol der Polarisierung geworden. Ihn für diese allein verantwortlich zu machen, wäre aber zu einfach.
Die viel diskutierten Unionsanträge waren ein Tropfen auf dem schon vollen Fass.
Dennoch: Dass er mit großer Wahrscheinlichkeit Kanzler wird, macht die Situation nicht einfacher. Die von ihm geführte Koalition wird nicht nur eine wirtschaftlich schwächelnde Republik stabilisieren und eine Lösung in der Migrationspolitik finden müssen. Die vielleicht größte Herausforderung wird sein, das Land wieder zusammenzuführen. Deutschland braucht eine Regierung, die nicht nur auf Stimmenmehrheiten setzt, sondern sich um echten Konsens bemüht. Eine Demokratie lebt von der Fähigkeit, auch bei Gegensätzen Kompromisse zu finden, und von Parteien, die nicht nur die eigene Basis bedienen.
Die neue Regierung wird nicht nur an Reformen, sondern vor allem daran gemessen werden, ob sie Gräben überbrückt, statt sie weiter zu vertiefen. Denn eine Demokratie, die ihre Mitte verliert, verliert am Ende sich selbst.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar „MM“-Wahlarena zeigt: Deutschland befindet sich am Scheideweg
Kontroverse Themen auf dem Podium, Buhrufe aus dem Publikum: Die „MM“-Wahlarena hat gezeigt, wie unversöhnlich sich Gruppen in diesem Land gegenüberstehen, kommentiert Sebastian Koch.