Kommentar Missbrauch in Praxen und Kliniken: Machtgefälle als Risiko

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Stefanie Ball
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Mannheim. In der Diskussion über (sexuellen) Missbrauch und Gewalt gibt es einen blinden Fleck – und das sind die Arztpraxen und Krankenhäuser. Während der Mantel des Schweigens über die lange gesellschaftlich ignorierten Übergriffe und Grenzverletzungen in Kirche und Sportverein, in Schule und Familie immerhin gehoben wurde, sind Übergriffe und Missbrauch von Ärztinnen und Ärzten gegenüber ihren Patientinnen und Patienten noch immer ein Tabuthema.

Dabei sind die Risikofaktoren im Arzt-Patienten-Verhältnis dieselben wie im familiären, sportlichen oder kirchlichen Umfeld. Es existiert ein Machtgefälle zwischen Arzt und Patient, der Arzt oder die Ärztin ist der Experte, von dessen Wissen und ärztlicher Kunst der Patient abhängig ist. Die Türen zum Behandlungsraum sind oft geschlossen, körperliche Nähe notwendig.

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Pro Jahr gibt es eine Milliarde Arztkontakte, die allerallermeisten verlaufen so, wie es die ärztliche Berufsordnung verlangt, in Achtung der Autonomie und Würde des Patienten. Arzt und Ärztin dürfen das eigene Interesse nicht über das Wohl ihrer Patienten stellen.

Dieselben Grundsätze gelten für Pfarrer, Übungsleiter und Lehrkräfte, und doch ist längst klar: Grenzen werden überschritten. Warum sollte es im ärztlichen Kontext anders sein, warum sollte in einem weißen Arztkittel nicht auch ein schwarzes Schaf stecken? Wobei es nicht nur um sexuellen Missbrauch geht. Grenzverletzungen können auch herabwürdigende oder sexistische Kommentare sein. Wenn beispielsweise ein Arzt einen übergewichtigen Patienten mit den Worten begrüßt: „Dann nehmen Sie mal Platz. Der Stuhl sollte das aushalten.“

Die Opfer schweigen. Aus Schamgefühl und Fassungslosigkeit. So bleibt vieles im Dunkeln, das gilt für alle Fälle von Missbrauch und Gewalt. Wie weit entfernt aber der ärztliche Bereich von einer realistischen Einschätzung seiner eigenen Betroffenheit ist, zeigt, dass es nur eine einzige Landesärztekammer gibt, in Hessen, die eine Ombudsstelle eingerichtet hat, an die sich Menschen anonym und unbürokratisch wenden können, die Grenzüberschreitungen im ärztlichen Kontext erfahren haben.

Im Übrigen findet (Macht-) Missbrauch auch innerhalb der Ärzteschaft statt. Erst im vergangenen Jahr hat die Ärztekammer Nordrhein eine Beratungsstelle für Betroffene sexueller Belästigung im beruflichen Kontext eingerichtet. Dass Missbrauch und Sexismus aber nur in Hessen und Nordrhein vorkommen, würde wohl niemand behaupten.

Freie Autorin