Freiheit fühlt sich anders an. Klar, der Wegfall fast aller Corona-Einschränkungen bedeutet etwa für Gastronomie, Kultur, Sportstätten und Eventbranche eine mittlere bis große Erleichterung. Aber für die Mehrheit der Menschen ist es das nur bedingt. Dies liegt vor allem am politischen Beigeschmack.
Die Lockerungen hat es nur gegeben, weil die FDP sie durchsetzen konnte – mit 11,5 Prozent Viertplatzierte bei der Bundestagswahl. Spitzen anderer Parteien wie aller Länder wären lieber vorsichtiger geblieben, hätten zumindest die Maskenpflicht beibehalten. Doch weil sie leider nicht imstande waren, sich auf einen gangbaren Weg zu verständigen, muss es das Volk ausbaden. Aus der Politik gibt es nur Appelle, vernünftig zu sein und etwa in Innenräumen weiter Mund-Nasen-Schutz zu tragen.
Heikle Eigenverantwortung
Nun ist generell nicht verkehrt, statt verbindlicher Vorschriften auch mal auf die Eigenverantwortung zu vertrauen. Aber erstens entspricht das dem deutschen Wesen eher nicht. Zweitens stößt es in der Pandemie an Grenzen, weil ein Individuum durch unvernünftiges Verhalten nicht nur sich, sondern ebenso andere gefährdet. Womöglich unmittelbar durch Ansteckung, aber auch insgesamt: Falls im Herbst die Kombination aus Leichtsinn, zu niedriger Impfquote und einer neuen Virusvariante wieder strengere Regeln in fast allen Bereichen erfordern sollte. Dass es so kommen wird, ist nach Ansicht fast aller ernstzunehmenden Experten äußerst wahrscheinlich.
Diese Aussicht macht die jetzigen Freiheiten noch fragwürdiger. Aber so ärgerlich das alles ist, hilft Bitterkeit nicht weiter. Man sollte versuchen, sich am Augenblick zu freuen, an dem, was bei schönem Wetter wieder alles möglich ist. Zum Glück mag das Virus keinen Sommer. Und in Innenräumen ist man unter FFP2- und anderen Atemschutzmasken nicht hundertprozentig, aber recht passabel geschützt.
Gleichzeitig darf die Maske nun jedoch nicht zum Symbol der Vernunft überhöht werden. Sie zu tragen, hat die Regierung ins Ermessen eines jeden Einzelnen gestellt. Da muss man auch akzeptieren, wenn sich jemand anders entscheidet. Zumal der Grund nicht Corona-Leugnen sein muss, sondern schlicht etwa Heuschnupfen sein kann.
Wenn jetzt die Urlaubssaison beginnt, steht es auch niemandem gut zu Gesicht, sich in anderen Staaten mit seiner Maske als vermeintliches deutsches Vorbild aufzuführen. Dafür taugt die Pandemie-Politik in diesem unserem Lande ganz sicher nicht.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Lockerungen für viele eine Verunsicherung
Steffen Mack zum Leben fast ohne Corona-Regeln