Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf hat mit seiner Forderung nach der Rente ab 70 ein vernichtendes Echo ausgelöst. Das ist kein Wunder. Bei diesem Thema gehen immer alle gleich steil. Es stellt sich aber schon die Frage, warum Politiker und Gewerkschafter so unflexibel und beratungsresistent sind. Es gibt natürlich viele Menschen, die zählen wie früher beim Bund die Tage bis zum Ausscheiden aus dem Beruf mit dem Maßband. Es gibt aber auch welche, die haben gar keine Lust, in Rente zu gehen und würden gerne länger ihren Job machen.
Nur: Während für die Erwerbstätigen zig Teil- und Arbeitszeitmodelle existieren, geht es beim Ruhestand in der Regel von hundert auf null. Selbst bei der Altersteilzeit, die auf dem Papier ja auch einen gleitenden Übergang in den Ruhestand ermöglichen soll, sieht die Praxis oft so aus, dass viele in der Übergangszeit nicht ihre Arbeitszeit reduzieren, sondern das Blockmodell wählen und dann früher in Rente gehen.
Was ist aber mit Beschäftigten, die noch fit sind und am liebsten einfach normal weiterarbeiten wollen? Das ist in unserem System nicht verboten, aber gar nicht so einfach. Nicht nur, dass die Chefin oder der Chef ihr Okay geben müssen. Und wer ein Mischmodell wählt und vorzeitig in Rente geht, aber weiter seinen Job in einem geringeren Umfang ausüben will, muss Rentenabschläge in Kauf nehmen, wenn er mehr verdient als ein Minijobber im Supermarkt an der Ladenkasse. Oft heißt es dann, Opa und Oma können sich ja auch noch um die Enkel kümmern oder ein Ehrenamt als Dienst für die Gesellschaft ausüben, falls ihnen sonst langweilig wird. Wem das nicht genügt, dem werden eher Steine in den Weg gelegt. Das ist nicht nachvollziehbar. In den kommenden 15 Jahren werden nach Angaben es Statistischen Bundesamts fast 13 Millionen Babyboomer das Renteneintrittsalter überschritten haben. Das sind 30 Prozent der Erwerbsfähigen. Ein Aderlass in einer solchen Größe kann die Wirtschaft nicht verschmerzen, der Personalmangel lässt sich auch nicht allein mit der Zuwanderung von Arbeitskräften ausgleichen.
Schon deshalb werden wir – trotz aller Widerstände – um eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht herumkommen. Ein erster Schritt wären zum Beispiel flexible Modelle beim Renteneintrittsalter, wie sie die FDP vorschlägt. Der Mannheimer Ökonom Eckhard Janeba hält das für sinnvoll – aber nicht nur, weil immer mehr Babyboomer dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Sie reißen auch ein tiefes Loch in die Rentenversicherung, weil sie ja von Beitragszahlern zu Rentnern werden. Ohne eine Rentenreform kann das Umlagesystem dann nicht mehr finanziert werden.
Wenn es flexible Modelle beim Renteneintritt geben würde, wäre das auch ein guter Beitrag für das Zusammenleben der Generationen. Dass wir alle älter werden – dies wird in der Debatte in der Regel leider oft nur mit einem negativen Vorzeichen geführt. Natürlich wächst die absolute Zahl der Pflegebedürftigen und auch ihr Anteil an der Bevölkerung. Aber nicht alle Alten gehören zum alten Eisen. Wer die auf Facebook dokumentierte emsige Reisetätigkeit von früheren Kolleginnen und Kollegen verfolgt oder gar versucht, einen Termin auszumachen, hat nicht den Eindruck, dass diese sich schon im Zustand des Siechtums befinden. Man sollte dieses Potenzial nutzen und nicht ohne Not Menschen aufs Altenteil schieben, die noch immer brennen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Länger arbeiten!
Bei der Debatte um die Rente mit 70 kommt ein Aspekt zu kurz: Es gibt auch Alte, die nicht zum alten Eisen gehören und gerne länger arbeiten würden, meint Walter Serif