Interview

Mannheimer Ökonom über den drohenden Kollaps bei der Rente

Der Mannheimer Volkswirt Eckhard Janeba sieht keine Alternative zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Im Interview verrät er, warum das Rentensystem sonst nach seiner Ansicht in eine finanzielle Schieflage gerät

Von 
Walter Serif
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Keine Alternative zu einer Verlängerung des Lebensarbeitszeit? © Stephan Scheuer

Mannheim. Herr Janeba, Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf hat mit seinem Vorstoß zur Rente mit 70 einen Shitstorm geerntet. Ihnen ist das in ähnlicher Form – ich sage nur Rente mit 68 – auch schon passiert. Warum ist der Widerstand bei dem Thema immer so groß?

Eckhard Janeba: Das müssen Sie die Leute fragen, die so stark reagiert haben. Klar ist natürlich, dass die Ampel-Regierung in Berlin das Thema möglichst schnell abmoderieren will. Denn im Koalitionsvertrag steht klipp und klar: keine Anhebung des Renteneintrittsalters. Es gibt aber auch einen anderen Grund für die harschen Reaktionen. Es geht hier doch um ein Thema, das in Deutschland in gewisser Weise ein Tabu ist.

Warum denn das, alle reden doch immer wieder über die Rente?

Janeba: So meine ich das auch nicht. Tatsache ist aber: Wir erwarten alle, dass wir länger leben und besser versorgt werden, sind aber nicht bereit, dafür mehr zu tun. Das kann so natürlich nicht funktionieren. Alle Projektionen sagen voraus, dass die Menschen immer älter werden, dann muss die Rente auch durch eine längere Lebensarbeitszeit finanziert werden. Da steckt ja eine ökonomische Logik dahinter, die viele nicht gerne hören.

Eckhardt Janeba

  • Professor Eckhard Janeba hat seit 2004 eine Professur für Volkswirtschafts­lehre (Finanzwissenchsaft und Wirtschafts­politik) an der Universität Mannheim.
  • Er ist Mitglied des Wissenschaft­lichen Beirats beim Bundes­ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und war von 2013 bis 2018 Vorsitzender des unabhängigen Beirats beim Stabilitätsrat.
  • Er ist in mehreren wissenschaft­lichen Forschungs­verbünden eingebunden, u.a. dem CESifo Forschungs­netzwerk, dem Oxford University Center for Business Taxation und dem ZEW Mannheim.

Anders gefragt, ist die Forderung nach einer Rente mit 68 oder 70 nur purer Populismus, denn jeder weiß doch, dass er damit zwar Schlagzeilen macht, sich am Ende aber nichts ändert?

Janeba: Das glaube ich nicht. Zunächst müssen wir festhalten, dass keiner eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf einen Schlag verlangt. Auch nach dem Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium . . .

… in dem Sie ja Mitglied sind …

Janeba: … würde die Rente mit 68 erst 2042 einsetzen. Und bei einem Renteneintrittsalter von 70 Jahren würde es noch länger dauern, bis eine solche Reform in Kraft treten sollte. Es geht also nicht um ein bestimmtes Renteneintrittsalter, sondern um eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Denn derart tiefgreifende Maßnahmen kann die Politik nur in langen Zeiträumen ergreifen. Die Menschen müssen sich ja darauf einstellen können. Es geht also nicht um Populismus oder Aktionismus, sondern um die nachhaltige Finanzierung der Rentenversicherung.

Die Reformgegner meinen, dass eine Anhebung des Rentenalters de facto eine Kürzung der Bezüge mit sich bringen würde, weil viele gar nicht bis 70 arbeiten könnten oder sogar vorher sterben würden.

Janeba: Ich kann mich nur wiederholen: Wenn wir länger leben, kostet das die Rentenversicherung mehr Geld. Es gibt bei der Rente kein Free Lunch für alle. Das muss finanziert werden, dazu bedarf es zusätzlicher Mittel. Man kann aber schon darüber diskutieren . . .

… oder streiten …

Janeba: … wer wie viel dazu beiträgt. Das ist dann eine Verteilungsdebatte. Die Tatsache, dass wir leider unterschiedlich lange leben, ist dagegen ein ernstzunehmendes Argument. Deshalb muss die statistisch erwartete Rentenbezugsdauer in die Modelle miteinbezogen werden. Das heißt, wer statistisch eine geringere Lebenserwartung hat, müsste eine höhere Rente bekommen, weil er diese ja kürzer bezieht.

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Walter Serif
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Lassen wir mal die ethischen Aspekte bei diesem Punkt weg. Wie wollen Sie das dann messen? Nach dem Geschlecht? Frauen leben ja länger. Oder nach der Berufsgruppe? Schichtarbeiter sterben früher.

Janeba: Sie berühren da in der Tat einen kritischen Punkt. Wir dürfen natürlich keine Diskriminierung zulassen. Ich könnte mir aber das Einkommen als ein Kriterium vorstellen, weil es einen klaren Zusammenhang mit der Lebenserwartung gibt.

Wollen Sie Gutverdienenden einfach die Rente kürzen?

Janeba: Nein. Arbeitnehmer mit weniger Einkommen würden aber einen Bonus bekommen. Bisher gilt ja das Äquivalenzprinzip, das heißt, wer doppelt so viel verdient, soll auch die doppelte Rente erhalten. Wenn aber ein Rentner viel länger lebt als der andere, der weniger Einkommen erzielt hat, würde er durch die längere Rentenbezugszeit unterm Strich überproportional mehr Altersgeld erhalten. Diese Ungerechtigkeit müsste man ausgleichen.

Wie könnte das dann rein technisch aussehen?

Janeba: Im Rentensystem richtet sich die Rentenhöhe auch nach den Entgeltpunkten. Diese würde man bei einem Arbeitnehmer mit niedrigem Lohn höher gewichten, bei einem Arbeitnehmer mit höherem Lohn im Gegenzug niedriger.

Was halten Sie von einem flexiblen Renteneintrittsalter, wie es sich die FDP vorstellen kann. Dann könnte sich jeder, der zum Beispiel älter als 60 ist, selbst entscheiden, ob er länger arbeitet oder nicht. Wer das dann macht, bekommt dann auch eine höhere Rente.

Janeba: Flexible Modelle wie dieses finde ich im Prinzip immer gut. Denn die Wünsche und die Bedürfnisse der Menschen sind unterschiedlich. Wir haben doch an allen Ecken und Enden in Deutschland einen großen Mangel an Arbeitskräften, auch weil immer mehr Babyboomer in Rente gehen.

Laut meiner Rentenauskunft darf ich ab dem 1. Juni 2028 unbegrenzt hinzuverdienen, wenn ich in Rente gehe, vorher wären es nur 6300 Euro im Jahr. Meine Rente würde ab diesem Betrag gekürzt.

Janeba: Ich finde, dass wir bei den Hinzuverdienstregeln eine großzügige Regelung finden müssen. Gegenwärtig liegt der Freibetrag bei vorgezogenen Altersrenten wegen Corona bei 46 060 Euro. Der Gesetzgeber hat noch nicht entschieden, ob die Hinzuverdienstgrenze 2023 wieder abgesenkt wird. Ich fände es nicht schlecht, wenn es bei der aktuellen Regelung auf Dauer bleiben würde.

Voraussetzung wäre, dass Stefan Wolf, der auch Unternehmer ist, in seinem Betrieb die Älteren behält und vielleicht sogar neue einstellt. Bisher läuft es in der Wirtschaft ja eher so, dass sie in Altersteilzeit geschickt werden.

Janeba: Das stimmt. Nicht jeder kann aber einfach so bis 70 arbeiten. Wenn es um Qualifizierung geht, ist es sinnvoll, wenn zertifizierte Weiterbildung auch im Alter angeboten und finanziell vom Staat unterstützt wird.

Zurück zum Anfang: Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Ohne eine radikale Rentenreform ist das Umlage- system nicht zu retten, oder?

Janeba: Richtig. Sie haben die Babyboomer schon angesprochen: Wenn immer weniger Arbeitnehmer Rentenbeiträge einzahlen, dafür aber immer mehr Menschen eine Rente beziehen, gerät das System in Schieflage. Dann müssen sie entweder die Beiträge erhöhen oder die Renten abschmelzen. Oder eben die Zuschüsse des Bundes in die Rentenkasse erhöhen …

… das Geld fehlt dann an anderer Stelle …

Janeba: . . . oder Sie müssen die Lebensarbeitszeit erhöhen. An einer dieser Schrauben müssen wir kräftig drehen, sonst droht der Kollaps. Bisher dreht der Bund aber nur an einer und erhöht ständig die Zuschüsse. Das halte ich für ein großes Problem. Wir brauchen diese Mittel für die großen Aufgaben der Zukunft wie die Energiewende oder den Ausbau der Infrastruktur.

Wann wollen Sie denn in Rente gehen? Mit 68 oder mit 70?

Janeba: Ich bin Jahrgang 1965. Zehn Jahre will ich auf alle Fälle noch machen.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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