Wenn ich beobachte, wie Menschen schauen, wenn ich ihnen sage, dass ich gerade eine Geschichte über die Begleitung sterbender Kinder schreibe, ist die Reaktion immer gleich. Es ist die natürliche Reaktion auf das Thema Tod. Das Gesicht verzieht sich unweigerlich, die Augen werden groß, und Angst ist im Blick zu erkennen. Viele werden traurig.
Traurig sein – das bedeutet in unserer Gesellschaft oft Schweigen. Was Betroffene von Tod und Trauer aber oft brauchen, ist eine komplette Hinwendung. Das leben in unserer Stadt zahlreiche Dienste und Vereine vor. Wie etwa Clara oder auch Sterntaler. Meiner Meinung nach haben die Menschen, die dort arbeiten, auch deshalb höchsten Respekt verdient. Sie stellen in einer Gesellschaft, in der keiner übers Sterben sprechen will, diese Angebote. Gehen an ihre persönlichen Grenzen, laden eine große mentale Last auf sich. Und sie kämpfen gegen das Tabu. Bieten zum Umgang mit Tod und Sterben auch Auseinandersetzung an, etwa in Form von Weiterbildung.
Das ist so nötig. Denn oft rufen Teenies selbst proaktiv bei Clara an, berichten Ehrenamtler: „Mein Vater ist tot, und meine Mutter versinkt selbst in der Trauer, ich will sie nicht belasten. Ich komme nicht klar“, heißt es da am Telefon. Gut, dass dann Profis da sind, die helfen. Auf dem Flyer von Clara heißt es: Trauernde Kids brauchen „liebevolle, einfühlsame Menschen“ und „Geduld und Akzeptanz der Umwelt“. Schwierig in einer Tabu-Gesellschaft! Deshalb sollte viel mehr das, was man im Angesicht des Todes wirklich braucht in Lehrplänen verankert werden: Nämlich Menschlichkeit gepaart mit Fachwissen bis zuletzt.
Denn selbst in betroffenen Familien bleibt das Thema Tod lange tabu, berichtet eine Ehrenamtliche von Clara. Als sie vierjährige Zwillinge begleiten soll (das Mädchen hatte Krebs, der Junge war gesund) wurde ihr schnell klar, als sie zum Ablenken des Bruders kommt: Der Junge möchte bei seiner sterbenden Schwester bleiben. „Er wusste was los ist. Er stellte klare Fragen. Ich gab klare Antworten“, erzählt sie. Bei den Eltern sei das dann „sehr schwierig“ gewesen. Sie hätten nahezu verboten, übers Sterben in der Familie zu reden. Das Clara-Team entschied dann, aus der Beratung auszusteigen. Denn „offener Umgang“ sei Basis für die Ehrenamtlichen. Glücklicherweise fand man später wieder zusammen. Und genau dieser oben genannte offene Umgang sollte in unserer Gesellschaft verankert werden. Und ja: Verankern heißt auch finanziell wertschätzen. Und damit auch institutionalisieren. Und dadurch schlussendlich so unausweichlich sein, wie es das Sterben ist.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Im Angesicht des Todes helfen Tabus niemandem!
Wenn sie beobachtet, wie Menschen schauen, wenn sie sagt, dass sie gerade eine Geschichte über Begleitung sterbender Kinder schreibt, ist die Reaktion absehbar, findet Lea Seethaler. Das hat Folgen.