Soziales

Mannheimer Hospizdienst Clara: Ehrenamtliche erzählt von Einsätzen zwischen Leben und Tod

Das Einsatzteam Clara in Mannheim betreut Familien, in denen jemand lebensverkürzend erkrankt. Was passiert, wenn ein kleiner Mensch in der hiesigen Klinik stirbt - aber seine Eltern ihn nicht sehen wollen?

Von 
Lea Seethaler
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© Lea Seethaler

Mannheim. Seit Jahren arbeitet Wiltrud Arnold beim Kinder- und Jugendhospizdienst Clara. Aber wenn sie erzählt, ist es, als seien ihre Erlebnisse gerade passiert. Arnold atmet tief ein. Sie will auf der Pressekonferenz zum 15-jährigen Clara-Jubiläum Einblicke geben. Als sie frisch in Rente ging, übernahm sie einen Fall: „Da war ein sechs Monate altes Baby in der Universitätsmedizin. Es war schwer krank. Es lag im Sterben“, sagt Arnold. Seine Eltern wollten das Baby nicht mehr sehen. Zu schwer wog das Schicksal für sie, berichtet die Ehrenamtliche.

„Und dann bin ich zu ihm. Ich hatte den Kleinen im Arm. Ich habe ihm erzählt von der Welt. Habe für ihn gesungen, ihm Dinge vorgetragen.“ Fast jeden Tag besucht sie ihn. „Irgendwann haben die Schwestern zu mir gesagt: ,Frau Arnold, er wartet auf Sie. Immer, bevor Sie kommen, merken wir das. Es tut ihm gut, wenn Sie da sind.’“

Wiltrud Arnold (v.l., Ehrenamtliche bei Clara), Stefanie Schnitzler (Koordinatorin Clara) und Margret Stein-Geib (Abteilungsleiterin Diakonisches Werk). © Lea Seethaler

Arnold blickt auf: „Ja, er hat auf mich gewartet“, wiederholt sie. Und ihre Blicke sind plötzlich wie Schlitze in eine vergangene Zeit. „Und ich muss sagen, ich hab’ in der Zeit in seiner Mimik eine Veränderung gesehen. Alle haben die gesehen.“ Die Geschichte endet hier nicht, sagt Arnold. „Denn seine Eltern kamen nicht. Auch nicht, als er starb.“ Dann blieben die Betreuenden und Arnold im Krankenhaus zurück mit dem toten Baby. „Es war sehr schwer“, sagt sie.

Ihre Hände berühren sich, während sie redet. Sie atmet erneut tief. „Aber es gab damals Gottseidank bei der Stadt Mannheim beim Sozialamt Menschen, die gesagt haben, wir machen eine Armenbestattung.“ Sie habe dann ihre Schwester angerufen und diese sagte: „Also da gehst du jetzt nicht alleine hin.“ Und dann seien sie zu zweit auf dem Friedhof gestanden, „mit dem kleinen Sarg und haben ihn beerdigt.“ Arnold sagt heute rückblickend über diese Situation: „Es war eine traurige Begleitung, aber auch eine schöne. Schön, weil ich mich um das Kind kümmern konnte. Traurig, weil die Eltern nie kamen.“

„Dass du das kannst“, sagten oft Freundinnen und Freunde von Arnold zu ihr. „Aber ich habe mich immer als Lebensbegleiterin gesehen.“ Aus dem pädagogischen Bereich kommend, habe sie sich oft gefragt: „Kann ich das? Ich habe doch nur etwas mit fröhlichen Kindern gemacht.“ Sie resümiert: „Ich muss sagen, dass die Kinder mir viel geben. Ich bewundere auch ihre Kraft und ihren Mut. Wenn sie sich etwa vorstellen, was mit ihrem Körper passiert, wenn sie sterben.“

Aber Clara betreut nicht nur Kinder, die lebensverkürzend krank sind. Auch da sein für Geschwister, Trauergruppen organisieren oder Betreuung von Teenies mit sterbendem Elternteil gehören dazu. Clara ist da, wenn das System Familie durch Schicksalsschläge ins Wanken gerät. „Dann verlieren Familien oft ihre Stabilität“, weiß Stefanie Schnitzler, Koordinatorin bei Clara. Prioritäten verschieben sich im Angesicht des Todes. Es ist mitunter Aufgabe von Clara, mit dem Kind, das gesund ist, einfach mal rauszugehen. Einkaufen, lachen, spielen - bevor es zurück ins trauernde Umfeld geht. Oder als Ehrenamtlerin dessen Schultheateraufführung zu schauen. Weil kein anderer aus der Familie mehr die Kraft hat mitzukommen.

Orientierungsworkshop für Interessierte / Spenden

  • Der Workshop richtet sich an alle, die sich mit Tod und Sterben auseinandersetzen möchten. Er dient dazu, sich klar zu werden, ob die Begleitung von Sterbenden und Trauernden zu einem passt.
  • Am Freitag 4. November, 17.30 bis 21.30 Uhr, Samstag, 5.November, 9.30 bis 17 Uhr, Montag, 7. November, 19.30 bis 21 Uhr findet er im 3. OG im sanctclara-Saal in B5, 19 statt. Teilnahmegebühr: 45 Euro. Anmeldung möglich unter service@sanctclara.de oder unter 0621/178 570.
  • Ohne die regelmäßigen drei Großspender Rotary Club Mannheim Brücke, Mannhemer Motorrad Vereinigung, Riedle und Daum Stiftung wäre die Arbeit von Clara nicht möglich, heißt es vom Diakonischen Werk.
  • Allgemeines Spendenkonto: Diakonisches Werk, Evangelische Bank IBAN: DE64 5206 0410 0100 5067 61 BIC: GENODEF1EK1 Verwendungszweck: Kinderhospiz
  • Kontakt zu Clara unter www.bit.ly/3Jo1iA6 oder 0621/28000 351 

Oft verlagere sich der Fokus stark auf das erkrankte Kind, erklärt Schnitzler. „Geschwister laufen dann eher so nebenher mit“, sagt sie. „Was häufig vorkommt, ist, dass Geburtstage der nicht erkrankten Kinder vergessen werden.“ Sie fügt hinzu: „Wenn Sie ein schwerkrankes Kind zu Hause haben, das etwa nachts gewendet werden muss, ist es, als ob sie einen Säugling haben. Sie schlafen nicht. Dann vergessen die Leute so etwas einfach.“

Die Präsenz von Tod, Trauer, Sterben führt indes oft zu einer Art Schockstarre. Schnitzler betont: „Dass nicht mal in der Ausbildung zum Erzieher, Lehrer oder in der Pflege die Module ,Tod und Sterben’ auf dem Lehrplan stehen“, sei schwierig. „Viele lernen den Umgang mit Tod erst, wenn er einen irgendwie selbst betrifft“, sagt sie. „Wir haben Schulklassen, da rufen uns die Lehrerinnen an und sagen: Hier ist ein Kind gestorben, können wir darüber reden, dürfen wir das, wie machen wir das in der Klasse? Da gehen wir vorbei und schulen die Leute und begleiten sie über einen längeren Zeitraum. Auch in Kindergärten.“

Das Thema Tod und Sterben sei „nicht gesellschaftsfähig“, pflichtet ihr Margret Stein-Geib, Abteilungsleiterin Kind, Jugend und Familie bei der Diakonie, bei. „Umso wichtiger ist unser auch im Kern christlicher Gedanke, da zu sein, Menschen mit dieser sehr wertvollen Arbeit zu unterstützen.“ Der Bereich Trauerbegleitung sei im Gegensatz zum Bereich Beratung spendenfinanziert, „weil die Krankenkassen Trauerarbeit nicht als Präventivmaßnahme anerkennen“, erklärt derweil Schnitzler. Sie sagt: „Es ist aber so, dass Trauer krank machen kann und vor allem Kinder oder Jugendliche in ihrer Trauer eine Begleitung brauchen.“ Besonders wichtig sei einfach, dass sie darüber sprechen können. „Bei uns geht es nicht um Gewinne, sondern Geschichten“, betont die Koordinatorin. In manchen Bereichen sei man ohne Spenden defizitär. Schnitzler erklärt die Struktur des ökumenischen Dienstes: „Wir sind bewusst ein ambulanter Dienst und kein stationäres Hospiz. So viel Krankenhaus wie nötig, so viel daheim wie möglich‘, das tut den Kindern gut. Das wissen wir.“

Sie berichtet etwa von der Schlossschule Ilvesheim. Dort werde es möglich, Teilhabe auch in Zeiten von Krankheit zu ermöglichen. „Wenn die Kinder dort liegend zur Schule gebracht werden, um den einzigen…“, Schnitzler stoppt. Ihre Augen füllen sich plötzlich mit Tränen. Es ist ungewohnt, denn gerade hat die taffe Frau noch die Struktur des Sozialdienstes erklärt. Sie spricht weiter: „Menschkontakt zu haben, es tut mir leid“, sagt Schnitzler, und ihr Gesicht verzieht sich und Tränen rollen über ihr Gesicht. „Ich hab’s noch nicht ganz raus, nach all den Jahren“, sagt sie und sie versucht, wieder Fassung zu erlangen.

Ja, wie schafft man es überhaupt, diese mental anstrengende Arbeit bei Clara zu leisten? „Manche denken, sie können das, und bewerben sich bei uns als Helfer. Nach unseren Workshops sagen wir manchen dann, dass das vielleicht doch eher nichts für sie ist“, so Schnitzler. „Es muss einfach auch persönlich passen.“ Auch das Umfeld müsse stimmen. Wenn jemand zu Hause jemanden zu betreuen hat oder einen Partner, „der gar nicht offen für die Geschichten ist, die man da täglich mitbringt“, dann sei das nicht so eine gute Idee. Wiltrud Arnold ergänzt, wichtig sei auch, sich die Zeit nach einer Betreuung zu nehmen, um wieder Kraft zu sammeln. „Also bei mir ist das so, ich hab’ meinen Mann, meine Tiere, eine schöne Wohnung. Zuhause ist, wo ich auftanken kann.“ Die eigenen Kraftreserven in den Fokus stellen sei wichtig, um gut zu begleiten.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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