Zur Präsidentenwahl Gebt der Bundesversammlung mehr Aufgaben!

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Karsten Kammholz
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Um eines vorweg zu nehmen: Politische Aufregungen bleiben an diesem Sonntag aus. Der alte Bundespräsident wird auch der neue sein. Frank-Walter Steinmeier kann mit einer mehr als komfortablen Mehrheit rechnen, da neben den Ampelkoalitionären auch die Union für eine zweite Amtszeit des Staatsoberhaupts stimmen will.

Soweit so langweilig? Sicher nicht. Die Bundesversammlung selbst, die 1472 Wahlleute sind das eigentliche Ereignis. Wobei man konkretisieren muss: Nicht die 736 Abgeordneten des Bundestags machen den einzigartigen Geist der Zusammenkunft aus, sondern die 736 anderen Wahlfrauen und -männer.

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Entsandt auf Vorschlag der Landesparlamente, querbeet ausgewählt aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen, bilden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens neben Normalsterblichen den bunteren Teil dieser größten parlamentarischen Versammlung der Bundesrepublik. Für viele Wahlleute ist der Tag ein unvergesslicher Höhepunkt im Leben, eine stolze Kerbe der eigenen Biographie, ein fröhlich-feierliches Get-together mit Stimmkarte.

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Dabei verdient die Bundesversammlung einen zweiten, ernsteren Blick. Warum kommt ein solches, lebendiges Gremium im Regelfall nur alle fünf Jahre zur Wahl des Bundespräsidenten zusammen? Bieten sich womöglich noch andere Anlässe an, die Bundesversammlung einzuberufen? Solange sich die repräsentative Demokratie, vertreten durch ihre Parlamente, weiterhin durch ihre Glaubwürdigkeitskrise hangelt, braucht es unweigerlich ein Nachdenken über mehr direkte und basisbezogene Abstimmungsprozesse. Die Bundesversammlung als nichtständiges Verfassungsorgan bietet sich dafür exemplarisch an, ohne sogleich eine Verfassungskrise zu riskieren.

Das allgemeine Verständnis für Politik würde automatisch steigen, wenn die Bundesversammlung allein einmal pro Jahr zu Abstimmungen über einen Sonderetat mit Bundesförderungen etwa für den Kultur-, Sport- oder Sozialsektor zusammenkäme. Was spräche dagegen, wenn die Bundesversammlung zudem über die Verleihung von Verdienstkreuzen an vorbildliche Mitbürger entscheiden könnte?

Keines der ständigen Verfassungsorgane würde leiden – und die Bevölkerung sich im besten Fall ernster genommen fühlen. Einfach mut- und ideenlos zuzulassen, dass der zunehmend hasserfüllte Diskurs die demokratischen Institutionen weiter beschädigt, ist jedenfalls keine Lösung.

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur