Mannheim. Was für ein fataler Irrglaube: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sah sich nach der EM 2024 in der Weltspitze. Sie scheiterte zwar im Viertelfinale, brachte allerdings den späteren Titelträger Spanien in Bedrängnis – und war nur ausgeschieden, weil Schiedsrichter Anthony Taylor der DFB-Elf einen Strafstoß nach einem Handspiel von Marc Cucurella verweigert hatte. So lautete die Erklärung.
Mittlerweile muss man sich aber fragen, ob das damalige Argument nicht eher eine gern genommene Ausrede war. Denn im Herbst 2025 steht das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann wieder genau dort, wo es sich schon in den quälenden Schlussjahren unter Weltmeister-Coach Joachim Löw und auch dessen Nachfolger Hansi Flick befunden hatte: im Mittelmaß – und damit weit weg vom ausgerufen Ziel WM-Titel 2026.
Die Nationalmannschaft ist kein Versuchslabor.
Gründe dafür gibt es einige. Sie beginnen bei der Talentförderung und enden bei Nagelsmann. Jahrelang machte sich der deutsche Fußball daran, in der Ausbildung den Spaniern nachzueifern: Kurzpassspiel und Ballbesitz. Die Auswirkungen zeigen sich jetzt: Nagelsmann stehen ein Dutzend Mittelfeldspieler zur Verfügung, die den Ball mit verbundenen Augen hin und her passen können. Es fehlen aber ein Rechtsverteidiger und ein Mittelstürmer.
Das kann dem Bundestrainer zwar nicht vorgeworfen werden. Allerdings muss er das Beste daraus machen und darf die Mannschaft nicht mit Personal- und Taktikwechseln überfordern. Joshua Kimmich wird als Rechtsverteidiger gebraucht, denn Mittelfeldspieler gibt es ausreichend. Und Nick Woltemade ist kein Alleinunterhalter im Sturm. In Stuttgart hat er immer neben einem zweiten Angreifer gespielt.
Langfristig gesehen sollte der deutsche Fußball also seine Ausbildung überdenken. Und kurzfristig täte Nagelsmann gut daran, seine Spieler so einzusetzen, dass sie den größten Mehrwert fürs Team haben. Gern darf es ein wenig mehr Pragmatismus sein. Denn die Nationalmannschaft ist kein Versuchslabor.
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