Debatte - Andrea Römmele über das Regieren im Ausnahmemodus und aufziehende Konflikte im neuen Bündnis.

Wie stabil ist die neue Bundesregierung, Frau Römmele?

Von 
Andrea Römmele
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Da rechnete noch keiner so schnell mit einem Krieg in Europa – Michael Kellner, Norbert Walter-Borjans, Annalena Baerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner, Volker Wissing, Saskia Esken und Lars Klingbeil (von links) bringen den gemeinsamen Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien auf den Weg. © dpa/Hertie School

Die neue Bundesregierung ist am vergangenen Donnerstag 100 Tage im Amt gewesen. Normalen demokratischen Gepflogenheiten entspricht es, ihr solange eine Schonfrist einzuräumen, damit die neuen Amtsträger sich in ihre Geschäfte einarbeiten können. Doch „normal“ ist in diesen Tagen nichts mehr: Die Ampel hat die Macht in einer pandemischen Ausnahmesituation übernommen, zu der nun auch noch der russische Angriff auf die Ukraine kommt - die wohl gefährlichste militärische Eskalation in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Welche ersten Schlüsse lassen sich über die Regierung im Ausnahmemodus ziehen?

Nach den zügigen, vertrauensbildenden Koalitionsverhandlungen, aus denen fast nichts nach draußen drang, startete die Ampel mit viel Aufbruchsstimmung und Zukunftsprojektionen: „Mehr Fortschritt wagen“, lautet der Titel des Koalitionsvertrags. Das klingt schon jetzt wie aus einer anderen Zeit. Denn die konkrete Regierungsarbeit wird von einem doppelten Krisenmodus geprägt: Die Omikron-Welle zeigt, dass sich auch mit einem neuen Gesundheitsminister das Corona-Management kaum verbessert hat. Das Ziel, bis Ende Januar eine Impfquote von 80 Prozent zu erreichen, wurde klar verfehlt. Die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht blockiert politische Entscheidungen. Unklar ist, ob es eine solche Impfpflicht überhaupt noch geben wird.

Die Gastautorin

  • Andrea Römmele ist Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Hertie School in Berlin.
  • Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte in Berkeley, USA, sowie an der Universität Heidelberg und und promovierte dort, ihre Habilitation folgte 2001 an der Freien Universität Berlin.
  • Sie arbeitete unter anderem am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) an der Universität Mannheim.
  • Twitter: @andrearoemmele

Noch viel gravierender ist nach der von Wladimir Putin eingeleiteten geopolitischen Zeitenwende die außenpolitische Situation. Sie zwingt Berlin, auf der internationalen Bühne Farbe zu bekennen. Nach ersten, eher zurückhaltenden Reaktionen reihte sich die Bundesregierung nicht nur entschlossen in das Sanktionsregime ein, sondern setzte in der Außen- und Sicherheitspolitik auch auf eine radikale Kehrtwende: Waffen - und nicht nur Helme - werden an die Ukraine geliefert, der Bundeswehretat soll stark steigen, zusätzlich wird ein schuldenfinanziertes Sondervermögen von 100 Milliarden Euro geschaffen.

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Mit diesen Maßnahmen reagierte die Regierung auf internationale Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich vor Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar kaum aus der außenpolitischen Deckung gewagt hatte. Inzwischen präsentiert sich Deutschland in der Anti-Putin-Allianz als verlässlicher Partner. Gleichzeitig riskiert Scholz mit seinem verteidigungspolitischen Neustart aber erhebliche Konflikte in seiner Partei und mit dem grünen Koalitionspartner, die sich ja auch bereits abzeichnen.

Die Bundesregierung befindet sich 100 Tage nach ihrem Amtsantritt zweifellos in einer schwierigen Lage: Putins Krieg erfordert Solidarität und Unterstützung mit der Ukraine. Klar ist aber auch, dass die Nato nicht direkt in die Kampfhandlungen eingreifen kann, will sie einer nuklearen Eskalation der Krise vorbeugen. Die westliche Welt beschränkt sich deshalb auf Sanktionen gegen Russland und bestimmte Waffenlieferungen an die Ukraine.

In Deutschland bleibt die gefährliche Abhängigkeit insbesondere von russischem Gas. Zur Debatte steht der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch die verstärkte Nutzung fossiler Brennstoffe. Die Krisenlage zwingt die Ampel, entscheidende Themenfelder „on the go“ anzugehen, mittel- und langfristig könnte das zwischen den Koalitionspartner durchaus zu Friktionen führen.

Schon jetzt zeichnet sich in dem Bündnis aus SPD, Grünen und FDP ein neues inner- und zwischenparteiliches Kräftemessen ab. Vor allem bei den Grünen werden die zwischenzeitlich schon für überwunden geglaubten parteiinternen Flügelkämpfe wieder lauter und sichtbarer. Die beiden neuen Vorsitzenden müssen unter Beweis stellen, dass die Partei tatsächlich von ihnen geführt wird - und nicht aus dem Auswärtigen Amt beziehungsweise dem Klima- und Wirtschaftsministerium.

In Teilen der Partei stößt die geplante, drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben bereits jetzt auf erhebliche Kritik, was angesichts der friedensbewegten Tradition der Grünen auch nicht besonders verwundert. Sollte der Ukraine-Krieg in einigen Wochen oder Monaten beendet sein, dürften sich die Spannungen zwischen Bellizisten und Pazifisten verstärken und ein womöglich erhebliches Knirschen im Koalitionsgebälk hervorrufen. Kanzler Scholz wird dann seine rüstungspolitische 180-Grad-Wende aber auch gegen Widerstand vom linken SPD-Flügel und der eigenen Parteibasis verteidigen müssen.

Angesichts des hektischen Krisengeschehens ist es nicht überraschend, dass die Aushandlungsprozesse innerhalb der Koalition offenbar noch nicht reibungslos funktionieren, beispielsweise zwischen Verkehrs- und Umweltministerium. Das verstärkt tendenziell die Konkurrenz zwischen den Parteien. Die FDP läuft Gefahr, mit dem von ihrem Finanzminister vorgelegten, 60 Milliarden Euro schweren Nachtragshaushalt die Zustimmung ihrer auf finanzielle Solidität bedachten Kernklientel zu verlieren. Das gilt ebenso für das Sondervermögen der Bundeswehr.

Die Koalitionäre ringen um ihre jeweils eigenen Positionen und müssen zugleich eine gemeinsame Regierungspolitik gestalten - ein schwieriger Spagat. Zusätzlichen Sprengstoff bergen die offen gebliebenen Stellen des Koalitionsvertrags, insbesondere die genaue Umsetzung im Bereich der Digitalisierung oder der Verkehrswende, Veränderungen in der Rentenpolitik und der Pflege sowie das Finanzierungsproblem bleiben bestehen.

Angela Merkels lange Kanzlerschaft war geprägt durch ein zunehmendes Übergewicht der Exekutive gegenüber der Legislative. Grüne und FDP hatten vor der Bundestagswahl versprochen, dem Parlament wieder einen deutlich höheren Stellenwert in der politischen Entscheidungsfindung einzuräumen. Dieses Versprechen ist angesichts des Ukraine-Krieg erst einmal Makulatur. Scholz, der ja schon im Wahlkampf die eigene „Führungsstärke“ in die Waagschale geworfen hatte, geht mit seiner außenpolitische Kehrtwende nicht nur den gegenteiligen Weg. In der Ukraine-Krise setzte der Kanzler mit seiner „historischen“ Bundestagsrede vom 27. Februar sogar mehr oder weniger auf Alleingang.

Das mochte angesichts Putins kurz zuvor erfolgter Kriegserklärung gegen die Ukraine alternativlos erscheinen - innenpolitisch aber wird diese Entscheidung die Koalition nachhaltig belasten. Insbesondere den Grünen und Teilen der SPD dürfte es langfristig kaum zu vermitteln sein, dass die als „Zukunftskoalition“ angetretene Ampel so viel Geld wie noch nie für den Militäretat aufwenden will, statt zumindest einen Teil dieser staatlichen Mittel in die Digitalisierung und die Bekämpfung der Klimakrise zu investieren.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Spätestens mit dem Ende des Ukraine-Kriegs dürften parteiinterne und zwischenparteiliche Konflikte das Regierungsbündnis schwer belasten. Ob Olaf Scholz‘ seinen Anspruch einlösen kann, nicht nur für eine Legislaturperiode Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu sein, erscheint aus heutiger Sicht mehr als fraglich.

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