Debatte - Viele Menschen sehen im kapitalistischen Wirtschaftssystem die Ursache für den Klimawandel. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Historiker Rainer Zitelmann.

Ist der Kapitalismus schuld an der Zerstörung der Umwelt?

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Rainer Zitelmann
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Der Kapitalismus schadet der Umwelt – das glauben viele Menschen. Studien zeigen: Auf lange Sicht gesehen macht Kapitalismus das Klima sogar besser. © Istock/Zitelmann

Die renommierten Meinungsforschungsinstitute Allensbach und Ipsos MORI haben eine internationale Umfrage in 14 Ländern zum Image des Kapitalismus durchgeführt. Insgesamt nahmen an der Befragung 14 672 repräsentativ ausgewählte Personen teil. Ziel war es, herauszufinden, wie die Menschen in verschiedenen Ländern zum Kapitalismus stehen.

In allen 14 Ländern kritisierten die Menschen vor allem, der Kapitalismus werde von den Reichen dominiert, die die Politik bestimmten. Dass der Kapitalismus Ungleichheit fördere, wurde ebenfalls sehr häufig angegeben. Dagegen spielt der Vorwurf, Kapitalismus zerstöre die Umwelt und führe zum Klimawandel, nur in drei Ländern eine wichtige Rolle, nämlich in Brasilien, wo dies 35 Prozent der Befragten sagen, in Chile, wo 32 Prozent zustimmen und in Deutschland, wo 48 Prozent zustimmen.

Bei den „Fridays for Future“-Demonstrationen kann man häufig Parolen gegen den Kapitalismus lesen, wie etwa: „System change, not Climate change“ (Systemwandel statt Klimawandel). Aber ist der Kapitalismus wirklich die Ursache für die Zerstörung der Umwelt?

Der Gastautor

  • Rainer Zitelmann, 1957 in Frankfurt am Main geboren, ist promovierter Historiker und Soziologe, Journalist, Unternehmer und Multimillionär.
  • Er hat 26 Bücher geschrieben und herausgegeben, die weltweit in zahlreichen Sprachen erfolgreich sind.
  • Im Februar ist sein Buch „Die zehn Irrtümer der Antikapitalisten“ im FinanzBuch Verlag erschienen.

Seit mehr als 20 Jahren veröffentlicht die Yale-Universität den „Environmental Performance Index“ (EPI), der zeigt, wie gut die Länder im Umweltschutz sind. Laut diesen Analysen sind Dänemark, Luxemburg, die Schweiz, Großbritannien und Frankreich die Länder mit den besten Umweltbedingungen. Es folgen Österreich, Finnland, Schweden, Norwegen und Deutschland. In dem Bericht heißt es: „Eine der durchgängigen Lehren des EPI ist, dass Nachhaltigkeit ausreichenden wirtschaftlichen Wohlstand erfordert, um öffentliche Gesundheit und Umweltinfrastruktur zu finanzieren.“ Die Forscher zeigen, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen dem Bruttosozialprodukt und dem Stand des Umweltschutzes in einem Land gibt.

Interessant ist es, den Umwelt-Index mit dem Index der wirtschaftlichen Freiheit zu vergleichen. Dieser „Index of Economic Freedom“, den die Heritage Foundation ermittelt, misst die wirtschaftliche Freiheit in allen Ländern der Welt. In dem jüngsten Bericht (2022) wurden 177 Ländern analysiert. Der Soziologe Erich Weede hat diesen Index treffend als „Kapitalismusskala“ bezeichnet. Die Experten der Heritage Foundation haben den Umwelt-Index EPI und den Index der wirtschaftlichen Freiheit für das Jahr 2020 verglichen. Das Ergebnis: Die wirtschaftlich freiesten Länder hatten die höchste Punktzahl im Umwelt-Index der Yale-Universität, nämlich durchschnittlich 69,8. Die Länder, die „überwiegend unfrei“ beziehungsweise „unfrei“ waren, hatten die mit Abstand schlechteste Umwelt (37,5 beziehungsweise 36,5 Punkte im EPI). Das heißt: In den am stärksten kapitalistischen Ländern sind die Umweltbedingungen besser als in den wirtschaftlich unfreien Ländern.

Natürlich kann man argumentieren, dass der Kapitalismus zu höherem Wirtschaftswachstum führt und Wirtschaftswachstum wiederum zu einem Anstieg des Ressourcenverbrauchs. Nach dieser Logik wären die ineffizientesten Systeme für die Umwelt am besten, da diese zu einem geringen Wachstum führen. Analysen zeigen jedoch, dass in einer frühen Phase des Wirtschaftswachstums eines Landes ein hohes Maß an Umweltverschmutzung zu beobachten ist, während nach einem kritischen Punkt des Wirtschaftswachstums ein allmählicher Rückgang der Umweltverschmutzung zu verzeichnen ist. Gegen das vereinfachte Argument, mehr Wirtschaftswachstum führe automatisch zu mehr Umweltverschmutzung, sprechen zudem zwei Argumente: Erstens, in nichtkapitalistischen Ländern war die Zerstörung der Umwelt ein noch weitaus gravierenderes Problem als in kapitalistischen Ländern. Zweitens, der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und steigendem Ressourcenverbrauch löst sich im Zeitalter der Dematerialisierung immer mehr auf.

Nirgendwo gab es eine so schlimme Umweltzerstörung wie in den ehemaligen sozialistischen Staaten. Wenn es so wäre, dass der Kapitalismus für Umweltzerstörung und Klimawandel verantwortlich ist, dann müssten die Bedingungen in nicht-kapitalistischen Ländern ja in dieser Hinsicht sehr viel besser sein.

Doch das Gegenteil ist richtig. Die sozialistischen Länder rühmten sich zwar ihrer Vorreiterrolle beim Umweltschutz. Die DDR schrieb im Jahr 1968 den Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung und gründete bereits 1972 - 15 Jahre vor der Bundesrepublik - ein eigenes Umweltministerium. Auch beim Umweltschutz, so wurde immer wieder behauptet, zeige sich die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus. Doch wie sah es in der Realität aus?

Der Historiker Hubertus Knabe, Experte für DDR-Geschichte, konstatiert: „Einer der größten Klimakiller der Welt war nämlich ein Land, das den Kapitalismus abgeschafft hatte - die DDR.“ Im Jahr 1989 wurde für jede Einheit BIP in der DDR mehr als drei Mal so viel CO2 emittiert wie in der Bundesrepublik.

Auch ganz generell waren die Umweltbedingungen in der DDR viel schlechter als im kapitalistischen Westen. Im Jahr 1988 stieß die DDR zehn Mal so viel Schwefeldioxid pro Quadratkilometer aus wie die Bundesrepublik. Pro Quadratkilometer lag die durchschnittliche Belastung mit Feinstaub in der DDR bei mehr als dem Zehnfachen des Wertes in der Bundesrepublik. Und in privaten Haushalten wurden 1989 in der DDR fast zwei Drittel der Wohnungen mit festen Brennstoffen wie Braunkohlebriketts beheizt.

Viele Menschen werden zugeben, dass der Sozialismus für die Umwelt noch schlechter ist als der Kapitalismus, aber sie haben berechtigte Zweifel: Führt nicht generell das Wirtschaftswachstum zu ökologischen Problemen? Vor allem ein Argument scheint einzuleuchten: Die Rohstoffressourcen der Erde sind endlich, also kann es kein unendliches Wachstum geben. Die Folgerung lautet dann: Irgendwie muss das Wachstum begrenzt werden.

Doch anhand zahlreicher Datenreihen belegt der amerikanische Wissenschaftler Andrew McAfee in seinem 2020 erschienenen Buch „Mehr aus weniger“, dass sich das Wachstum der Wirtschaft vom Rohstoffverbrauch entkoppelt hat. Daten für die USA zeigen, dass von 72 Rohstoffen nur sechs ihr Verbrauchsmaximum noch nicht erreicht haben.

Obwohl die amerikanische Wirtschaft in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist, ist der Verbrauch an vielen Rohstoffen rückläufig. Der Grund dafür sind die Gesetze des vielgescholtenen Kapitalismus: Firmen suchen ständig nach neuen Möglichkeiten effizienter zu produzieren, das heißt mit weniger Rohstoffen auszukommen. Sie tun das natürlich nicht primär, um die Umwelt zu schonen, sondern um Kosten zu sparen.

Hinzu kommt: Innovationen haben einen Trend befördert, den wir Miniaturisierung oder Dematerialisierung nennen. Ein Beispiel ist das Smartphone. Halten Sie sich vor Augen, wie viele Geräte in Ihrem Smartphone enthalten sind und wie viele Rohstoffe diese früher verbraucht haben: Taschenrechner, Telefon, Videokamera, Wecker, Diktiergerät, Navigationssystem, Fotoapparat, iTunes-Player (statt früherem CD-Player), Kompass, Anrufbeantworter, Scanner, Radio, Taschenlampe und so weiter.

Früher war ich stolz auf meine große Schallplattensammlung, die mehrere Regale umfasste. Später kaufte ich CDs, die alle in ein einziges Regal passten - und schon wesentlich weniger Rohstoffe verbrauchten. Heute lacht meine Freundin, weil ich mir immer noch CDs kaufe - sie hat nur noch MP3-Dateien, die keinen Platz mehr in der Wohnung brauchen. Ich gebe zu, ich bin etwas altmodisch und besitze mehrere Tausend Bücher. Der Platz dafür reicht nicht aus, so dass die meisten in einem Selfstorage-Raum untergebracht sind. Mein Vater, obwohl schon 92 Jahre alt, liest viele Bücher auf seinem Kindle.

Dies sind nur einige von vielen Beispielen für den Trend zur Dematerialisierung. Die Wirklichkeit ist also komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, wenn gesagt wird: „Unser Planet hat nur begrenzte Ressourcen, also können wir auch nicht unbegrenzt wachsen.“ Für manche Klimaaktivisten ist das Thema Klima leider nur ein Vorwand im Kampf gegen den Kapitalismus. Naomi Klein, die populäre Kritikerin des Kapitalismus sagt ganz offen: „…ich begann erst dann, mich stärker für dieses Thema (Erderwärmung) zu engagieren, als ich erkannte, dass sie ein Katalysator für Formen sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sein könnten, von denen ich ohnehin überzeugt war“.

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