Was haben die Mercedes S-Klasse und das Apple iPhone gemeinsam? Sie sind das Resultat von Zusammenarbeit vieler unterschiedlicher Unternehmen. Kürzlich war zu lesen, dass zur Produktion der neuen S-Klasse rund 2000 Zulieferer beitragen. Beim iPhone sieht es ähnlich aus: Rund 1000 Unternehmen sind Medienberichten zufolge beteiligt. In beiden Fällen auch viele Mittelständler aus Deutschland.
Deutsche Mittelständler kooperieren in breitgefächerter Weise mit anderen. Kaum ein Tech-Bestseller, kaum eine Weltraummission und kaum ein Oscar-prämierter Film wäre möglich ohne sie. Selbst bei den Corona-Impfstoffen leisten deutsche Unternehmen Großartiges - sei es wie BioNTech als Entwicklungspartner, sei es über die Ampullen von Schott oder auch über die Enzyme von c-lecta, die laut WirtschaftsWoche bei Johnson & Johnson oder AstraZeneca zum Einsatz kommen.
Mit so einer selbst hochgelegten Messlatte fällt es dann natürlich schwer, lernbereit in den Erfahrungsaustausch mit anderen zu gehen.
Deutlich weniger austauschbereit sind die meisten Familienunternehmen bisher bei der eigenen Transformation. Ob aus Angst, Wettbewerbsvorteile zu verspielen, aus falscher Bescheidenheit oder aus vermutetem Desinteresse - was Unternehmen in Sachen Strategie und Kommunikation oder in ihren Personalabteilungen tun, um sich weiterzuentwickeln, dringt nur selten nach außen. Ein gutes Beispiel für diese Zurückhaltung konnte man während des ersten Lockdowns erleben: Es war offensichtlich, dass „100 Prozent Homeoffice“ für die übergroße Mehrzahl der Unternehmen komplett neu war - und dennoch taten in öffentlichen Äußerungen viele Firmen so, als sei diese Form der Zusammenarbeit für sie bereits völlig normal. Bereits seit Jahren gebe es bei ihnen Homeoffice, berichteten sie auf Anfrage von Journalisten - dass ein Tag pro Monat aber etwas anderes ist als Vollzeit von zuhause, wurde verschwiegen.
Auf drei Ebenen aktiv werden
Mit so einer selbst hochgelegten Messlatte fällt es dann natürlich schwer, lernbereit in den Erfahrungsaustausch mit anderen zu gehen - schließlich könnten Wissenslücken zutage treten.
Und das wird schnell zum Problem. Denn branchenübergreifender Austausch und Von- beziehungsweise Miteinander-Lernen sind aus meiner Sicht die wichtigsten Wege, um die Krise zu meistern und im neuen Normal erfolgreich zu sein. Sie ermöglichen höhere Geschwindigkeit im Wettbewerb und damit die Chance, die Zeit der Pandemie für sich zu nutzen.
Konkret sollten Mittelständler dabei vor allem auf drei Ebenen aktiv werden. Erstens bei der Vernetzung: Es ist wichtig, dass branchenübergreifende Kontakte überhaupt entstehen - zwischen Kliniken und Logistikern, zwischen Herstellern von Dämmstoffen und Füllfederhaltern. Schließlich warten neue Ideen meist nicht direkt im eigenen Dunstkreis, sondern jenseits des Tellerrandes.
Zweitens geht es ums „Teilen und Lernen“. Nicht nur die Unternehmen als Ganzes, sondern auch die unterschiedlichen Abteilungen von Familienunternehmen und Mittelständlern benötigen den Austausch auf Arbeitsebene, um neue Impulse für ihren direkten Tätigkeitsbereich zu erhalten.
Personalabteilungen können so gemeinsam eruieren, was das Recruiting von Pflegekräften vom Recruiting von Digital-Experten lernen kann oder wie man die Arbeitgebermarke verbessert. Und Kommunikationsabteilungen finden gemeinsam Möglichkeiten, wie man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die eigene Transformation begeistert.
Drittens: „Umsetzen und Kollaborieren“ - man sollte sich die Möglichkeit eröffnen, konkret zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Herausforderungen anzugehen. Das beginnt beim Zugang zu Umsetzungspartnern, quasi dem Werkzeugkasten für Veränderung. Und es geht weiter bis zur strukturierten Bewertung von Ideen: Ist die neue Vorgehensweise nur anders oder auch erfolgreicher?
Erfahrung als Inspiration
Es gibt Mittelständler, die bereits diese Art der Kooperation leben, beispielsweise die Schöck AG, ein Baustoffhersteller aus Baden-Baden. Das Unternehmen stellt seit 1962 mit heute knapp 1100 Mitarbeitenden Bauteile her, die unter anderem als Problemlöser beim gleichzeitigen Tragen und Dämmen oder dem Trittschallschutz verwendet werden. Der Mittelständler sieht die Vernetzung in der Baubranche - und möchte sich hier deutlich früher einbringen als bislang.
Nun gibt es jede Menge Unternehmen, die Startups gegründet haben – aber da sie kaum miteinander sprechen, wiederholen sie immer wieder dieselben Fehler.
Die Idee von Schöck ist, Kunden - das sind Architekten und Planer, aber auch Bauunternehmen und Fertigteilwerke - bei der Automatisierung zu helfen.
Warum, erklärte das Unternehmen kürzlich dem Handelsblatt: „Je früher wir uns in dem digitalen Planungsprozess integrieren können, desto einfacher der Prozess, und umso wahrscheinlicher wird unser Produkt eingesetzt“. Erfahrungen aus anderen Branchen können hier Inspiration liefern.
In welche Ergebnisse diese Inspiration münden kann, zeigt der westfälische Logistiker Fiege, der derzeit auch ein großes Logistikzentrum in Gengenbach (nahe Offenburg) baut. Dessen Branche wird von einer ganzen Reihe von Startups aufgemischt - vom Zehn-Minuten-Lieferdienst Gorillas in Karlsruhe und Stuttgart bis zum „Milchmann“-Lebensmittellieferanten Picnic in Nordrhein-Westfalen. Grund genug sich zu überlegen, wie man selbst von der Gründung eigener Startups profitieren kann.
Austausch mit anderen
Nun gibt es jede Menge Unternehmen, die Startups gegründet haben - aber da sie kaum miteinander sprechen, wiederholen sie immer wieder dieselben Fehler. Erstens agieren die Gründungen inhaltlich zu weit entfernt vom Mutterschiff, so dass sie vorhandenes Wissen nicht nutzen. Und zweitens sind sie organisatorisch zu nah dran - sie sind in Wirklichkeit Abteilungen des Mutterhauses, was wiederum dazu führt, dass sie keine Gründer mit den notwendigen Revoluzzer-Persönlichkeiten finden.
Um beides zu lösen, suchte das Team intensiv den Austausch mit anderen - zum Beispiel im geteilten Innovations-Ökosystem Maschinenraum. Es wurde das Konstrukt „XPRESS Ventures“ aufgebaut, dass das Logistik-Wissen des Mutterhauses stets einbezieht. Gleichzeitig wurden die Neugründungen gesellschaftsrechtlich und finanziell wie „normale“ Startups strukturiert - so dass sich sogar klassische Risikokapitalgeber an den Unternehmen beteiligen könnten.
Die Krise zur Chance machen
Stellen wir uns nun vor, die Ich-wusste-immer-schon-wie-es-geht-Unternehmen hätten sich mit der Offenheit und Lernbereitschaft von Schöck und Fiege dem Thema Homeoffice genähert - was wäre dann anders gelaufen?
Zunächst einmal hätten sie eingestanden, dass Vollzeit-Homeoffice etwas Neues ist - und dann gemeinsam mit anderen gelernt. Sie hätten - wenn andere damit gute Erfahrungen gemacht haben - vielleicht zum ersten Mal begonnen, Mitarbeitende komplett digital zu suchen und einzustellen. Sie hätten Strukturen so aufgestellt, dass auch zukünftig junge Eltern in ihren Teams vielleicht per Homeoffice schneller wieder in den Job eingestiegen wären.
Unsere Familienunternehmen und Mittelständler haben das Zeug, erfolgreich aus der Pandemie zu kommen. Sie können sogar stärker herausgehen, als sie hineingegangen sind.
Diese Maßnahmen hätten bedeutet, dass sich ihre Angestellten dem Unternehmen noch verbundener gefühlt hätten, weil ihr Arbeitgeber eine Flexibilität bietet, von der sie woanders nur träumen könnten. Sie hätten die Krise zur Chance gemacht, anstatt notdürftig über die Runden zu kommen und darauf zu warten, dass alles wieder wird wie „früher“.
Innovationsschub im Inneren
Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel: Unsere Familienunternehmen und Mittelständler haben das Zeug, erfolgreich aus der Pandemie zu kommen. Sie können sogar stärker herausgehen, als sie hineingegangen sind, und die Basis dafür schaffen, auch die großen Herausforderungen unserer Zeit - Digitalisierung und Klimawandel - erfolgreich zu bestehen.
Sie müssen dazu allerdings die Werte in ihr Inneres holen, die gegenüber ihren Kunden schon lange gelebte Realität sind. Sie müssen kooperieren und ihren eigenen Strukturen damit den Innovationsschub verleihen, den sie bei iPhones, Autos, Raketen, Filmen und Impfstoffen ganz selbstverständlich ermöglichen.
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