Debatte

Wie müssen wir Entwicklungshilfe neu denken, Herr Wahnbaeck?

Entwicklungshilfe darf nicht länger bedeuten, nur zu spenden. Sie muss bedeuten, Abhängigkeiten zu beenden. Welche Vorschläge Till Wahnbaek hat.

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Till Wahnbaeck
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Ein Job bringt Sicherheit – und das ist für Menschen in Afrika wichtig. Geld aus Spenden, die morgen vielleicht schon nicht mehr getätigt werden, schafft nur Abhängigkeit. © Getty Images

Das Wichtigste in Kürze

  • Till Wahnbaeck fordert, die Spenden-Abhängigkeit von Afrika zu beenden.
  • Er setzt auf Investitionen in afrikanische Start-ups.
  • Er glaubt, Investitionen schaffen Jobs statt Spenden-Abhängigkeit.

12,5 Milliarden Euro. So viel haben die Deutschen 2024 gespendet. Das ist sehr viel Geld, und wenn Sie die Überschrift lesen, sollen Sie bitte nicht denken, es wäre falsch, an Hilfsorganisationen zu spenden. Denn es ist und bleibt sehr wichtig: Wenn ein Krieg Millionen in die Flucht treibt oder eine Flut ganze Dörfer zerstört, braucht es Unterstützung von außerhalb. Dann ist es egal, ob es um Dörfer im Ahrtal oder am Blauen Nil geht: Hilfe wird gebraucht.

Doch jenseits solcher Krisen stößt die klassische Entwicklungshilfe zunehmend an ihre Grenzen und lässt langfristige Wirkung vermissen. Das liegt an der zugrundeliegenden Projektlogik: Wenn Geld da ist, wird ein Projekt gestartet, also etwa Brunnen gebohrt oder Schulen gebaut. Doch sobald der Fördertopf aufgebraucht ist, fehlt oftmals das Geld, um die Pumpe des Brunnens zu warten oder die Lehrkräfte zu bezahlen. Es braucht also wieder Spenden, um die Töpfe zu füllen und die Projekte am Laufen zu halten. So entsteht unfreiwillig Abhängigkeit, nicht Selbstständigkeit.

Entwicklungshilfe in Afrika: Fördern statt spenden

Hinzu kommt: Das Umfeld der Entwicklungshilfe verändert sich rasant. In den USA zieht sich mit USAID einer der größten staatlichen Geldgeber zurück. Auch Deutschland kürzt seine Entwicklungsetats. Dennoch fließt weiterhin Geld – als Spende oder eben als Entwicklungshilfe – in die Länder Afrikas. Wohin es jedoch nicht fließt: in unternehmerische Innovationen. Der gesamte Kontinent Afrika erhält etwa ein halbes Prozent des weltweiten Risikokapitals, mit dem Start-ups ausgestattet werden, um zu wachsen. Gerade einmal 2,2 Milliarden US-Dollar flossen im Jahr 2024 in den Kontinent. Zum Vergleich: Europa erhielt gut 52 Milliarden US-Dollar.

Einerseits wird also noch immer viel Geld in Projekte investiert, die langfristig und kontinuierlich mit Geld unterstützt werden müssen. Andererseits erhalten Unternehmerinnen und Unternehmer mit guten, eigenständigen Ideen kaum Zugang zu Kapital.

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Till Wahnbaeck ist Gründer und Geschäftsführer von Impacc.

Zuvor leitete er als Vorstandsvorsitzender die Welthungerhilfe und sammelte Führungserfahrung in der Privatwirtschaft, unter anderem bei Procter & Gamble.

Beide Welten bringt er nun bei Impacc zusammen: Spenden werden zu Beteiligungen an afrikanischen Startups, die vor Ort Arbeitsplätze schaffen.

Wahnbaeck steht für ein neues Verständnis globaler Hilfe – eine, die befähigt, statt zu versorgen.

Till Wahnbaeck lebt mit seiner Familie in Hamburg.

Ich bin überzeugt: Wenn wir den Menschen in Afrika wirklich helfen wollen, müssen wir sie dabei unterstützen, unabhängiger von unseren Spenden-Geldern zu werden – und deshalb Start-ups fördern, die Jobs vor Ort schaffen.

Dieser Gedanke entstand bei mir natürlich nicht von heute auf morgen, es gab jedoch ein Aha-Erlebnis. Vor rund 15 Jahren saß ich in einem Township am Fuß des Kilimandscharo. Es war ein ehrenamtliches Projekt mit HIV-positiven Frauen, und ich hatte recht genaue Bilder im Kopf, wie ich ihnen helfen könnte. Auf die Frage nach ihren Wünschen für die Zukunft erwartete ich Antworten wie: „Wieder gesund werden.“ Oder: „Zugang zu Medikamenten.“

Aber sie sagten: „Wir wollen wieder unsere Familien ernähren können.“

Dieser Satz hat mein Denken verändert. Er hat mir gezeigt, worum es vielen Menschen, auch in Afrika, wirklich geht: Arbeit bedeutet Würde. Ein Job ist mehr als ein Gehalt. Er gibt die Chance, Kinder zur Schule zu schicken, ein Haus zu bauen, die eigene Zukunft zu gestalten.

Jobs statt Almosen sollte das Ziel von Entwicklungshilfe sein

In der Zwischenzeit habe ich viel darüber gelernt, was Hilfe bedeutet, wie sie richtig angewendet werden kann und wie man sie auch misst. Mir wurde zunehmend klar: Ein Job ist das wirksamste Instrument, das wir in der Entwicklungshilfe kennen. Er schafft Einkommen, Einkommen schafft Selbstwirksamkeit, und Selbstwirksamkeit trägt Gesellschaften.

Doch Jobs zu schaffen, ist nirgendwo leicht – auch nicht für Start-ups in Äthiopien oder Kenia. Wichtig ist, dass die Lösungen in den Kontext vor Ort passen. Was uns in Deutschland logisch erscheint, funktioniert nicht automatisch in Nairobi oder Accra.

Ein Beispiel: Um Gesundheit sicherzustellen, neigen viele Europäerinnen und Europäer – seit Jahrhunderten – dazu, Krankenhäuser in Afrika zu bauen. Nur brauchen auch diese Krankenhäuser Personal, die kontinuierlich Geld verdienen wollen und müssen. Es entsteht so Abhängigkeit von Fördertöpfen. Gleichzeitig ist es Standard in Kenia – auch weil es nicht so viele Ärzte und Ärztinnen gibt –, bei gesundheitlichen Problemen zunächst in die Apotheke zu gehen. Das Start-up TIBU Health kombiniert diese Aspekte und setzt Ärztinnen und Ärzte in kenianischen Apotheken ein – also dort, wo die Menschen ohnehin zuerst hingehen.

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Ähnlich in der Landwirtschaft: Ein Brunnen liefert Wasser – bis die Pumpe ausfällt. Irri-Hub in Kenia setzt dagegen auf angepasste Bewässerungssysteme und Regenauffanglösungen, die Landwirte und Landwirtinnen zuverlässig durch Trockenzeiten bringen. Betrieben von lokalen Teams, die damit Einkommen erzielen. Und in der Sanitärversorgung zeigen Bio-Toiletten-Modelle wie WashKing in Ghana, dass Hygiene, Recycling und Beschäftigung zusammengehen: Gebührenmodelle finanzieren Wartung und Löhne, anstatt nach Projektende zu versanden.

Solche Lösungen haben eines gemeinsam: Sie sind geschäftlich tragfähig und damit dauerhaft. Deshalb investieren wir die Spenden, die wir als Impacc bekommen, in Start-ups wie TIBU Health, Irri-Hub und WashKing. Wir sind überzeugt, dass Entwicklung gelingt, wenn Unternehmer und Unternehmerinnen vor Ort Strukturen aufbauen, die bleiben.

Warum uns Entwicklungshilfe auch in Deutschland betrifft

Bei Entwicklungshilfe stellen viele oft die Frage: Warum soll uns das in Deutschland interessieren, wir haben hier doch auch genügend Probleme? Ganz einfach: Weil Afrikas Zukunft auch unsere Zukunft ist. Der Kontinent wächst rasant – 1,5 Milliarden Menschen, die Hälfte jünger als 18. Millionen junger Menschen drängen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Finden sie keine Perspektiven, wachsen Instabilität und Migrationsdruck. Finden sie gute Arbeit, entstehen Märkte und somit Chancen für Handel, Partnerschaften und gemeinsame Sicherheit.

Deshalb haben auch wir in Deutschland ein Interesse daran, Jobs in den Ländern Afrikas zu schaffen. Unternehmer und Unternehmerinnen wissen, wie das gelingt, denn sie wissen, was Skalierung bedeutet. Sie investieren in Teams, Technologien und tragfähige Geschäftsmodelle, weil Wirkung entsteht, wenn etwas funktioniert. Genau diese Logik braucht die Entwicklungszusammenarbeit: Kapital, das Gründer und Gründerinnen vor Ort stärkt; Know-how, das Geschäftsmodelle schärft; und Geduld, die ermöglicht, dass aus kleinen Lösungen große Arbeitgeber:innen werden.

Konkret heißt das:

  • Kapital dorthin lenken, wo Jobs entstehen. Nicht in kurzfristige Projektbudgets, sondern in tragfähige Unternehmungen mit lokalem Management.
  • Erfolg an Jobs messen. Nicht an Ausgaben, sondern an Arbeitsplätzen, Einkommen und der Zahl der Menschen, deren Lebensunterhalt stabiler wird.
  • Partnerschaften auf Augenhöhe. Lokale Gründer und Gründerinnen sind die Experten ihres Marktes. Wir bringen Kapital und Erfahrung – nicht die Deutungshoheit.

Entwicklungshilfe darf nicht länger bedeuten, Almosen zu verteilen. Sie muss bedeuten, Abhängigkeiten zu beenden. Sie muss Menschen befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Ich sehe darin übrigens auch gerade für den deutschen Mittelstand eine Chance, der oft sozial engagiert ist und (karitativ) unterstützt, aber unternehmerisch tickt und Wirkung sehen will. Start-ups in Afrika können genau dieses Feld sein, um Mehrwert zu schaffen. Denn die beste Hilfe ist die, die irgendwann nicht mehr gebraucht wird. Deshalb sollten wir keine Spenden-Abhängigkeit mehr schaffen, sondern Jobs.

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