Gastbeitrag

Warum fördert Prostitution Gewalt und Frauenhass in unserer Gesellschaft, Frau Schmid?

Jeder vierte Mann in Deutschland hat laut einer Studie schon einmal für Sex bezahlt. Autorin Barbara Schmid kritisiert: Prostitution trage dazu bei, die niedrige Position der Frau in unserer Gesellschaft zu manifestieren.

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Barbara Schmid
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Die Prostituierte Ana liegt in einem Zimmer des Laufhauses „Sex Inn“ im Frankfurter Bahnhofsviertel auf einem Bett. © picture alliance/dpa

Mannheim. Mein erster Berührungspunkt mit Mannheim war die Lupinenstraße. Genauer Lupinenstraße Nummer 7 in der Neckarstadt-West, im alten Rotlichtviertel mit seinen bunten Häuschen. Zugang nur für Männer oder eben für Frauen und Mädchen, die sich dort anbieten (müssen). Dort fing im September 2000 für ein junges Mädchen aus Bayreuth die Leidenszeit als Zwangsprostituierte an. Jahre später habe ich Katharinas Biografie geschrieben, mein erstes Buch zum Thema Prostitution, „Schneewittchen und der böse König“.

Inzwischen ist einige Zeit vergangen. Ein paar Mal war ich seither in Mannheim, um in Schulen über Prostitution und die Gefahr zu sprechen, die von Loverboys ausgeht. Das sind meist junge Männer, die jungen Mädchen die große Liebe vorspielen, um sie später als Prostituierte auszubeuten. Auf so eine Masche war Katharina hereingefallen. Sie hat ihrer vermeintlichen großen Liebe in mehr als zehn Jahren über eine Million Euro eingebracht und musste in dieser Zeit die schier unvorstellbare Zahl von 25 000 Männer „ertragen“.

Prostitution fördert den Frauenhass

Jetzt werden Sie vielleicht sagen – schrecklich – aber was geht mich das an? Eine Menge, leider. Denn es macht etwas mit einer Gesellschaft, wenn täglich hunderttausende Männer Sex kaufen. Jeder vierte Mann hat es schon einmal getan, belegen Studien. Es geht hier also um unsere Männer, Väter, Brüder, Söhne, Freunde, Nachbarn und Kollegen. Prostitution trägt dazu bei, die niedrige Position von Frauen in der Gesellschaft zu manifestieren. Sie fördert Frauenhass und Respektlosigkeit. Und die Gewalt gegen Frauen nimmt bei uns immer mehr zu. Schon 12 Millionen Frauen sind in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt geworden.

Für mich ist Prostitution eine der Ursachen für die zunehmende Misogynie, die wir gerade überall erleben. Frauen fühlen sich oft nicht sicher im öffentlichen Raum, abends in der Bahn, wir werden angemacht, angerempelt und auf unsere fuckability überprüft. Darum habe ich mein zweites Buch über Prostitution geschrieben und gehe in „Die (un)verborgene Gewalt gegen Frauen“ auf Spurensuche. Ich habe dafür mit vielen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Therapeuten und Therapeutinnen, Experten und Expertinnen der Justiz und Polizei gesprochen, mit Prostituierten, Aussteigerinnen, Zuhältern und Freiern. Ich habe Simon Hägggström getroffen, den schwedischen Polizisten, der zum Schrecken der Sexkäufer in Stockholm geworden ist, mich mit NGOs unterhalten, mir ihre Arbeit etwa auf dem Berliner Straßenstrich angesehen, der mitten in einem Wohngebiet liegt.

Für mich ist Prostitution eine der Ursachen für die zunehmende Misogynie, die wir gerade überall erleben.
Barbara Schmid

Vermutlich geht es den meisten von Ihnen so wie mir, als ich Katharina kennenlernte. Ich hatte keine Ahnung von Prostitution. Ja, ich hatte schon mal gehört, dass sie nicht mehr sittenwidrig ist in Deutschland, dass sie 2002 liberalisiert worden ist. Als es damals hieß, das sollte ein „Job wie jeder andere“ sein, fand ich das ziemlich merkwürdig.

Und darum möchte ich Ihnen jetzt heute mal einen kurzen Abriss geben über das, was bei uns los ist. Aber auch am Ende einen Ausweg aufzeigen. Eine bessere und sicherere Welt für uns Frauen ist möglich, Respekt, Anerkennung und Gleichberechtigung sind machbar, auch in Deutschland.

Was ist los in Deutschland? Eine Zustandsbeschreibung

Wir haben in Deutschland schätzungsweise 250.000 Prostituierte. Genau weiß das niemand. Und offiziell angemeldet sind etwa 32.000. Die meisten von ihnen machen das nicht freiwillig. Sie werden gezwungen, machen es aus finanzieller Not und sind Opfer von Loverboys geworden. Die meisten der Frauen und Mädchen kommen aus den Armutsgebieten dieser Welt, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, aus Afrika und asiatischen Ländern. Viele sprechen unsere Sprache nicht. Das führt mitunter zu besonders unwürdigen Praktiken: Den Prostituierten werden Preise für die „Dienstleistungen“ auf die Hände geschrieben. Und auf dem Berliner Straßenstrich werden die Preise gelegentlich auf danebenstehenden Mülltonnen geschmiert. Ich beschreibe das hier in der weiblichen Form, weil die meisten Menschen in der Prostitution weiblich sind, es gibt dort aber auch Männer und Transpersonen.

Zehn bis 20 Freier pro Tag sind für viele Prostituierte der bittere Alltag
Barbara Schmid

Zehn bis 20 Freier pro Tag sind für viele Prostituierte der bittere Alltag und sie müssen ihnen meistens Zugang gewähren zu all ihren Körperöffnungen. Die Preise sind gesunken, weil es zu viele Frauen gibt, Drogenabhängige machen es schon mal für fünf Euro. Der Gebrauch von Kondomen ist seit 2017 vorgeschrieben, wird aber von vielen Männern abgelehnt. Für mich ist das schwer nachzuvollziehen – angesichts der vielen sexuell übertragbaren Krankheiten in diesem Bereich. Aus Gesprächen mit Prostituierten weiß ich, dass die Frauen ungern auf Kondome verzichten. Aber es bringt eben mehr Geld. Und ihre Zuhälter bestimmen meistens, was Sie anbieten müssen. Um dieses Leben zu ertragen, nehmen die meisten Prostituierten Drogen und die Selbstmordrate ist unter ihnen erheblich höher als in anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Es gibt ein paar wenige Frauen, die das freiwillig tun, die dem Pretty-Woman-Image entsprechen, das uns gerne im Fernsehen und Talkshows präsentiert wird. Aber das ist eine wirklich kleine Minderheit, zehn Prozent vielleicht. Und sie arbeiten in der Regel auch nicht im Massengeschäft, etwa auf der Straße. Wir haben es hier mit Escort Frauen und Dominas zu tun, die gut verdienen. Gerade bei Dominas gibt es noch eine Besonderheit, sie haben keinen Körperkontakt mit ihren Kunden und damit erleiden sie auch keine körperlichen Schäden, wie die meisten anderen.

Geschäftszweig von Kriminellen

Das Geschäft mit dem Sexkauf ist in den letzten Jahren immer brutaler geworden. Das berichten die Frauen und das lässt sich auch gut nachlesen in den sogenannten Freier-Foren, in denen die Männer ihre „Erlebnisse“ schildern. Die Frauen werden darin begutachtet und bewertet, wie auf einem Viehmarkt. Die Sprache ist rassistisch, sexistisch und kaum auszuhalten. Die Männer geben sich als ganz harte Kerle, die auch merken, wenn sie den Frauen weh tun und dass sie bestimmte Praktiken nicht mitmachen wollen, aber einfach weitermachen, weil sie haben ja dafür bezahlt.

Wissenschaftliche Studien belegen, dass Sexkäufer gewaltbereiter gegenüber Frauen allgemein sind, dass sie sich eher als Nicht-Sexkäufer vorstellen können, mal eine Frau zu vergewaltigen und dies zum Teil auch schon einmal getan haben. Therapeutinnen berichten aus ihrer Praxis, dass die Nutzung von Prostituierten auch zu sexueller Gewalt in Beziehungen führt, weil dadurch Männern das Bild vermittelt wird, sie hätten ein Recht auf Sex und die Frauen müssen sich fügen. Mehr als die Hälfte der Sexkäufer ist verheiratet oder fest liiert.

Die Gastautorin



Barbara Schmid ist Journalistin, Autorin und Podcasterin . Sie hat zuletzt 20 Jahre für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gearbeitet und war zuvor Hauptstadtkorrespondentin für die Bild am Sonntag .

2006 war sie Sprecherin für das Kulturprogramm der Fußball-WM . 2020 hat sie die Biografie der Zwangsprostituierten Katharina M. veröffentlicht, „Schneewittchen und der böse König“.

Sie ist Mitglied im Bundesverband Nordisches Modell und im Verein DIAKA, der sich für eine Welt ohne Menschenhandel einsetzt. Barbara Schmid lebt im Rheinland und in Ligurien.

Barbara Schmid: „Die (un)verborgene Gewalt gegen Frauen“, erschienen im mvg Verlag, 224 Seiten, 18 Euro.

Es gibt noch eine andere, sehr bedenkliche Auswirkung der Prostitution, die Deutschland zum Bordell Europas und zur Drehscheibe von Armuts- und Zwangsprostitution gemacht hat. Seit der Liberalisierung sind der Polizei oft die Hände gebunden. Der Staat unternimmt zu wenig gegen die Geschäfte von kriminellen Clans und Organisierter Kriminalität. Dabei ist Frauenhandel einer ihrer Geschäftszweige, hinzu kommen Waffen-, Drogen-, und Organhandel sowie Verbrechen aller Art. Internationale Organisationen wie die UN oder auch das Europäische Parlament kritisieren immer wieder, dass hierzulande eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fehlt, und in diesem Zusammenhang geht es immer um Menschenhandel und Prostitution.

Sexkauf verbieten – der Ausweg?

Was kann man also tun, um unser Land sicherer für Frauen zu machen und mit Prostitution verbundene Kriminalität wirksam zu bekämpfen? Darüber wird bei uns erbittert gestritten. Die Grünen und weite Teile der SPD verteidigen immer noch die selbstbestimmte Sexarbeiterin und wollen nicht wahrhaben, dass es um Zwangsarbeit und Menschenhandel geht. Acht Länder weltweit, angefangen mit Schweden, haben einen Paradigmenwechsel vorgenommen. Sexkauf wurde dort verboten. Freier werden bestraft, Prostituierte entkriminalisiert, ihnen wird der Ausstieg ermöglicht und sie bekommen dabei staatliche Unterstützung.

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Es kam nicht zu der befürchteten Vergewaltigungswelle, weil Männer nicht wüssten wohin mit ihrem Trieb. Im Gegenteil. Schweden hat 1999 damit angefangen, später kam Norwegen dazu, darum wird es das Nordische Modell genannt, obwohl inzwischen auch Frankreich, Nordirland, Irland und Kanada dazu gehören. Das Kaufen einer Frau zur sexuellen Befriedigung wird etwa in Schweden mit Gefängnis geahndet. Prostitution und Menschenhandel gingen spürbar zurück.

Das Wichtigste aber – die Gesellschaft hat sich verändert. Dort gab es wie bei uns heute große Vorbehalte gegen ein Sexkaufverbot. In Schweden war ursprünglich die Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen dagegen. Heute sind über 70 Prozent dafür. In Frankreich, das die Reform erst 2016 umgesetzt hat, ist die Zustimmung noch höher und liegt bei fast 80 Prozent. Der Respekt gegenüber Frauen und Familie ist in Ländern mit einem Sexkaufverbot erheblich größer, Gleichstellung wird nicht mehr diskutiert, sondern gelebt.

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