Debatte

Wie lässt sich eine Scheidung emotional bewältigen?

Eine Scheidung ist Gefühlschaos pur. Wie man trotzdem gestärkt aus der ganzen Sache kommt, weiß die Heidelberger Anwältin Estell Baumann. Ein Gastbeitrag.

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Estell Baumann
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Leicht ist es nicht, wenn die Liebe zerbricht und es zur Scheidung kommt – doch es liegt darin auch die Chance auf einen Neubeginn. © Getty Images

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Heidelberger Anwältin Estell Baumann erklärt, wie man emotional gestärkt aus einer Scheidung geht.
  • Ein starkes Mindset hilft, Trennung als Wachstum und Neubeginn zu sehen.
  • Baumann plädiert für respektvolle, lösungsorientierte Trennungen zum Wohl aller Beteiligten.
  • Kinder sollten in Trennungssituationen nicht emotional belastet werden.

Eine Trennung oder Scheidung ist eine der größten Herausforderungen im Leben. Sie wirft unzählige Fragen auf, bringt Unsicherheiten und Ängste mit sich und fühlt sich oft wie ein emotionaler Ausnahmezustand an. Doch während viele glauben, allein mit dem richtigen Wissen über Gesetze, Finanzen und Formalitäten gut durch diese Lebensphase zu gelangen, übersehen sie einen entscheidenden Faktor.

Denn Wissen allein reicht nicht. Es hilft, aber es schützt einen nicht vor Wut, Schmerz oder der Angst vor der Zukunft. Es bewahrt auch nicht davor, in alte Muster zurückzufallen oder aus Unsicherheit Entscheidungen zu treffen, die man später bereut. Die innere Haltung, die mentale Stärke und der Blick auf die Situation – das, was man auch als Mindset bezeichnet –, kann genau das bewirken und dazu beitragen, dass man wächst und letztendlich mehr gewinnt, als man verliert. Wer versteht, dass die innere Einstellung den Verlauf und das Ergebnis einer Scheidung maßgeblich beeinflusst, kann diesen Prozess wirklich ohne Scherben meistern.

Estell Baumann begleitet Menschen durch schwierige Zeiten © Estell Baumann

„Ich möchte, dass Sie meinen Mann vernichten.“ Das sagte vor einigen Jahren eine Frau in der Erstberatung zu mir. Wir haben nicht zueinander gefunden. Aber ihr Satz ließ mich nicht mehr los.

Immer häufiger begegneten mir nämlich Menschen, die genau das erwarteten: eine Anwältin mit „Haaren auf den Zähnen“, einen „harten Hund“; jemanden, der kämpft, gewinnt, vernichtet. Ich verstand plötzlich, welches Bild manche von mir hatten. Und ja. Es war vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen. Ich habe gekämpft und wollte gewinnen. Immer. Ich war jung, ehrgeizig, hungrig auf Anerkennung. Ich wollte im „Focus“ und im „Stern“ in den Besten-Listen stehen. Sichtbar sein in einer Branche, die oft von Lautstärke lebt.

Doch was ich lange nicht gesehen habe: Ehrgeiz und Verbissenheit im Job vernebeln die Sicht. Und das Bestreben, Erwartungen der Mandanten zu erfüllen, auch. Wer auf der einen Seite gewinnt, hinterlässt auf der anderen oft Trümmer. Und mittendrin stehen vielleicht noch Kinder.

Ich wollte das nicht mehr – und unweigerlich hat sich plötzlich mein ganzes Mindset verändert. Ich begleite nach Möglichkeit keine Rosenkriege mehr, trage nicht mehr dazu bei, dass Fronten sich verhärten und glaube daran, dass Scheidungen respektvoll, achtsam und lösungsorientiert funktionieren. Ich als Anwältin kann das aber nicht allein umsetzen. Die Mandanten sind gefragt, ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten.

Zur Gastautorin



Estell Baumann ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Familienrecht, Mediatorin und zertifizierter Coach.

Sie studierte Rechtswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg . Ihre Ausbildung zur Mediatorin absolvierte sie in München, die zum zertifizierten Coach in Karlsruhe.

Zunächst arbeitete sie als Scheidungsanwältin in der Kanzlei Roth, Klein und Partner in Mannheim. Im November 2016 machte sie sich mit zwei Kolleginnen selbstständig und gründete die Kanzlei EBK – Kanzlei für Familienrecht in Heidelberg.

Gerade ist ihr Buch „Scheidungen ohne Scherben“ bei GU erschienen. Darin begleitet Estell Baumann Betroffene vom ersten Moment der Unsicherheit an („ Bleiben oder gehen?“) über den rechtlichen und emotionalen Prozess bis hin zu dem Punkt der Neuausrichtung – rechtlich, aber auch emotional.

Mannheimer Scheidungsanwältin erklärt, warum Wissen allein nicht reicht

Viele Menschen stürzen sich nach einer Trennungsentscheidung erst einmal in einen Informationsrausch. Das ist okay und gibt vermeintlich Sicherheit. Gesetze googeln, in Foren fortbilden, Ratschläge von Freunden einholen. Alles verständlich. Wissen ist wichtig, wobei der Königsweg natürlich eine auf den Fall zugeschnittene Rechtsberatung ist.

Wissen hilft, klare Entscheidungen zu treffen, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen und die eigenen Rechte zu verstehen. Aber es gibt eine oft übersehende Schattenseite: Zu viel Wissen ohne die richtige innere Haltung kann einen überfordern. Plötzlich sieht man überall Risiken, kämpft mit Worst-Case-Szenarien und verliert sich in Details, die vom Wesentlichen ablenken – nämlich davon, sich auf ein neues Leben vorzubereiten.

Außerdem verändert Wissen nichts an den Emotionen. Es kann einem erklären, was gerade passiert, aber nicht, wie man damit umgehen kann. Und hier kommt das Mindset ins Spiel.

Wachstum oder Stillstand? Scheidungsexpertin erklärt die Rolle der eigenen Haltung

Egal, ob man die Trennung selbst möchte oder ob man verlassen wurde, in beiden Fällen wird man Emotionen erleben, die einen herausfordern. Trauer, Wut, Enttäuschung, Angst, Erleichterung – oft alles gleichzeitig.

Der Unterschied zwischen denen, die nach der Scheidung stärker und glücklicher werden, und denen, die jahrelang in der Vergangenheit feststecken, liegt nicht darin, was sie erleben, sondern wie sie damit umgehen.

Menschen mit einem starken Mindset sehen eine Scheidung nicht nur als Ende, sondern auch als Neubeginn. Sie verstehen, dass Schmerz ein Teil des Prozesses ist, aber sie bleiben nicht darin stecken. Sie nutzen diese Erfahrung, um sich selbst besser kennenzulernen, um alte Muster zu hinterfragen und um bewusster zu entscheiden, was sie in ihrem nächsten Lebenskapitel anders machen möchten.

Estell Baumann über die drei Säulen eines starken Mindsets in der Scheidung

Akzeptanz statt Widerstand: Je mehr man sich gegen die Realität sträubt, desto mehr leidet man. Das bedeutet nicht, dass man alles gut finden muss. Aber anzunehmen, dass die Situation nun mal so ist, wie sie ist, nimmt einem den inneren Kampf. Wenn man akzeptiert, dass sich Dinge verändern, kann man sich auf Lösungen konzentrieren, statt endlos um das Problem zu kreisen.

Verantwortung statt Opferrolle: Es ist leicht, den Ex-Partner, den Anwalt, das Gericht oder „die Umstände“ für das eigene Unglück verantwortlich zu machen. Doch solange man sich als Opfer fühlt, gibt man anderen die Kontrolle über sein Leben. Ein starkes Mindset bedeutet, Verantwortung für das eigene Glück zu übernehmen, und zwar unabhängig von dem, was passiert ist.

Zukunftsorientierung statt Vergangenheitsfokus: Die Vergangenheit kann niemand mehr ändern. Aber man kann entscheiden, wie man die eigene Zukunft gestaltet. Menschen, die nach einer Trennung aufblühen, richten ihren Blick bewusst nach vorne. Sie fragen sich nicht nur „Warum ist das passiert?“, sondern vor allem: „Was mache ich jetzt daraus?“

Mannheimer Scheidungsanwältin appeliert: Kinder nicht vergessen

Wenn Eltern sich trennen, sind es oft die Kinder, die die tiefsten Narben davontragen. Nicht, weil eine Trennung per se schädlich ist, sondern weil sie zu oft im Schatten ungelöster Konflikte, emotionaler Verletzungen und unreflektierter Reaktionsmuster stattfindet. Als Scheidungsanwältin sehe ich es immer wieder: Die alten Beziehungsmuster setzen sich in der Trennung fort und triggern genau dort, wo es am meisten schmerzt.

Kinder geraten dabei leicht ins Drama-Dreieck. Eine Dynamik aus Täter, Opfer und Retter, die Eltern selbst häufig unbewusst reproduzieren. Plötzlich wird das Kind zum Verbündeten gegen den anderen Elternteil gemacht, fühlt sich verantwortlich für das emotionale Gleichgewicht der Mutter oder des Vaters oder muss zwischen Fronten navigieren, die eigentlich nie seine gewesen wären. Es verliert dabei oft das Gefühl von Sicherheit, Zugehörigkeit und emotionaler Freiheit.

Gerade deshalb appelliere ich unermüdlich an alle Beteiligten, ihren Teil dazu beizutragen, dass die Trennung und Scheidung in gewisser Weise sozial nachhaltig verläuft, also Familienbande nicht zerrissen, sondern transformiert werden.

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Wichtig: Nicht nur Zeit, sondern auch Kosten und Nerven sparen

Eine Scheidung kann teuer sein – finanziell, emotional und zeitlich. Doch sie muss es nicht sein. Wer strategisch vorgeht und sich nicht von Wut oder Angst leiten lässt, kann sich viel ersparen.

  • Zeit: Ein bewusster Umgang mit Konflikten und Emotionen verhindert endlose Streitereien und Verzögerungen. Je klarer man ist, desto weniger lässt man sich triggern und verheddert sich nicht. Nicht jeder eröffnete Kriegsschauplatz muss bedient werden und nicht jede Nebelbombe verdient eine Antwort.

  • Kosten: Eine außergerichtliche Einigung oder Mediation kann tausende Euro sparen. Doch dafür braucht es nicht nur rechtliches Wissen, sondern auch die Fähigkeit und den Willen, konstruktiv mit dem Ex-Partner zu kommunizieren.

  • Nerven: Je weniger man sich von negativen Emotionen leiten lässt, desto gelassener geht man durch den Prozess. Das schützt die mentale Gesundheit – und die der Kinder, falls sie involviert sind. Als Scheidungsanwältin sage ich oft: „Bleiben Sie bei sich und bleiben Sie sachlich.“ Und ja, mir ist bewusst, wie schwer das ist.

Doch es hilft dabei, mit klarem Kopf Entscheidungen zu treffen, emotionale Stolperfallen zu vermeiden und die Trennung als Chance für persönliches Wachstum zu sehen. Denn eine Scheidung bedeutet nicht nur das Ende einer Beziehung – sie ist auch der Beginn eines neuen Kapitels. Und jeder hat es in der Hand, dieses Kapitel nach den eigenen Regeln zu schreiben und entscheidet, welche Tür sich öffnet. Immer.

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