Debatte

Warum sollte sich jeder mit seinem Nachlass beschäftigen?

Mit der eigenen Endlichkeit beschäftigt sich kein Mensch gern. Doch dabei könnte man seinen Nachkommen viel Arbeit und Ärger ersparen. Ein Gastbeitrag.

Von 
Marcel Sonnenberg
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Wer sein Testament selbst verfasst, muss einige Formalitäten beachten. © picture alliance/dpa/dpa-tmn

Mannheim. In Deutschland sterben jedes Jahr rund 1.000.000 Menschen. Das sind rund 20.000 pro Woche. Die Lebenserwartung liegt aktuell bei etwa 78 Jahren bei Männern und 83 Jahren bei Frauen, Tendenz leicht fallend.

Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland bei der Lebenserwartung keine Spitzenstellung ein; mehr als 20 Länder weisen derzeit höhere Werte auf. Ein Umzug unter diesem Gesichtspunkt wäre nach Österreich, in die Schweiz oder in das „Longevity-Land“ Monaco zu empfehlen. Doch diese Verstorbenen hinterlassen fast immer ein Erbe – manche ein kleineres oder sogar überschuldetes, andere ein etwas größeres.

Pro Nachlass werden im Schnitt 121.500 Euro vererbt

Im Jahr 2023 haben die Finanzämter in Deutschland Erbschaften und Schenkungen im Wert von 121,5 Milliarden Euro steuerlich veranlagt. Wer hier rechnerisch fit ist, stellt fest, dass pro Nachlass im Schnitt etwa 121.500 Euro vererbt wurden. Damit nimmt Deutschland eine Position im oberen Mittelfeld ein.

Der tatsächliche Wert der Vermögensübertragungen liegt aber deutlich höher. Denn Schenkungen und Erbschaften, die innerhalb der Freibeträge liegen, werden steuerlich nicht erfasst. Ehepartner haben beispielsweise einen Freibetrag von 500.000 Euro, Kinder von 400.000 Euro und Enkelkinder von 200.000 Euro.

Die Bereitschaft, sich mit dem eigenen Nachlass zu beschäftigen, nimmt eher ab.
Marcel Sonnenberg

Und die Tendenz der übertragenen Vermögenswerte ist steigend. Im Gegensatz dazu nimmt die Bereitschaft, sich mit dem eigenen Nachlass zu beschäftigen, eher ab.

Im Jahr 2023 wurden im Zentralen Testamentsregister rund 314.800 Testamente registriert, während etwa 123.700 Erbverträge und 65.400 weitere erbfolgerelevante Urkunden erfasst wurden. Studien zeigen: Nur etwa ein Drittel der volljährigen Personen in Deutschland hat ein Testament oder einen Erbvertrag. Rund 9 Prozent geben an, keine Erben zu haben. Es gibt daher viele Sterbefälle, bei denen zwar Vermögen vorhanden ist, aber keine klare Regelung existiert.

Ich bin Nachlasspfleger. Ich werde dann eingesetzt, wenn Menschen sterben und keine Angehörigen erreichbar oder existent sind. Sterbefälle werden den Amtsgerichten routinemäßig durch die Ordnungs- und Standesämter gemeldet. Gibt es Handlungsbedarf – etwa bei der Räumung einer Wohnung oder der Kontenauflösung – werde ich gerufen.

Meine Aufgabe ist es, den Nachlass zu sichern, zu verwalten und Erben zu suchen, denen er übergeben werden kann. Wenn der Nachlass überschuldet ist, informiere ich die Gläubiger und übergebe beispielsweise dem Vermieter die Wohnung.

Das Gesetz sagt dazu in § 1960 BGB: „Bis zur Annahme der Erbschaft hat das Nachlassgericht für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht.“ Das gilt auch, wenn der Erbe unbekannt oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat. Hinter dieser nüchternen Formulierung verbergen sich oft bewegende Geschichten.

Meine Aufgabe ist es, den Nachlass zu sichern, zu verwalten und Erben zu suchen, denen er übergeben werden kann.
Marcel Sonnenberg

Manche Verstorbene lebten einsam, isoliert von Nachbarn und Verwandten. Andere hinterließen große Vermögen – ohne je geregelt zu haben, was damit geschehen soll. Manchmal sind auch einfach die Testamente unverständlich oder schlicht unwirksam. Besonders berührend sind Fälle, in denen man beim Betreten der Wohnung sofort merkt, wie viel Leben, Geschichte und vielleicht auch Einsamkeit sich hinter der Tür abgespielt haben.

Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein ehemaliger Opernsänger verstarb – seine Wohnung war voll mit Schallplatten, alten Notenheften, Bühnenfotos. Niemand hatte sich seit Jahren bei ihm gemeldet. Am Ende gingen seine persönlichen Schätze – soweit sie nicht zu verkaufen waren – in den Müll, weil kein Erbe auffindbar war.

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Nicht selten finde ich auch Hinweise auf Geheimnisse, Familienkonflikte oder unerfüllte Wünsche. Das kann traurig, aber auch faszinierend sein. Nehmen wir die Geschichte von Karl-Heinz. Landwirtschaft war sein ganzes Leben. Überall im Haus waren Bücher, CDs und anderes aus der Landwirtschaft. Angefangen vom Traktor Quartett zur Berechnung der Flächenbewirtschaftungssoftware. Er hatte durch die Familie den Hof, das Land und das Geld geerbt. Kinder hatte er keine. Sein einziger Freund war offensichtlich sein Esel, der in der Scheune wohnte. Karl Heinz hatte ein Testament geschrieben und in diesem sein gesamtes Vermögen einer gemeinnützigen Einrichtung vererbt. Dieses Testament hatten die Nichten dem Nachlassgericht übergeben und bestätigt, dass er sich dies immer gewünscht habe.

Erben ist oft auch eine emotionale Sache

Leider hatte er auf den Umschlag des Testamentes geschrieben, dass es sich um eine Kopie handelt und das Original bei einem Notar hinterlegt sei; obendrein war es nicht unterschrieben. Diesen Notar konnte aber niemand ausfindig machen, sodass die Echtheit des Testamentes eher fraglich war. Als seine Nichten erfuhren, dass dies Testament möglicherweise ungültig ist, da kein Original vorhanden ist, stellten diese sofort einen Erbscheinsantrag und erhoben Anspruch auf das Erbe. Meine Frage, ob sie denn einen Teil oder das ganze Erbe im Sinne des Verstorbenen spenden würden, hätte ich mir sparen können.

Und ebenso spannend wie die Geschichten der Verstorbenen sind oft die der Erben. Denn Erben ist nicht nur finanziell, sondern oft auch emotional. Wenn Geschwister unterschiedlich oder gar nicht bedacht wurden, reißt das alte Wunden auf. In manchen Fällen sprechen Angehörige nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder miteinander – oder endgültig nie wieder. Stellen Sie sich vor, dass Sie nichts oder den Pflichtteil erhalten und ihr Bruder ein Haus und Geld. Ihre Eltern schreiben zudem ins Testament, dass Sie schon „klarkommen werden“ während ihr Bruder ein wenig „Unterstützung“ nötig hat. Wie fühlt sich das an?

Der Tod ist nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft

Hinzu kommt, dass der Tod in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema ist. Niemand spricht gern über die eigene Endlichkeit. Der aktuelle Hype um „Longevity“ in den Medien zeigt das deutlich: Wir reden lieber über Lebensverlängerung als über Abschied und Verantwortung.

Selbst sehr kranke Menschen regeln ihre Nachlässe oft nicht. Schauen Sie einmal in Ihren Keller – oder den Ihrer Eltern. Was finde ich dort? Kaffeegeschirr, Babykleidung, Schränke, Bilder, Opas Ski. Wer soll das sortieren, wenn Sie sterben? Und warum werfen Sie es nicht vorher weg?

Vielen Erben ist nicht klar, wie umfangreich und anstrengend ein Nachlass sein kann.
Marcel Sonnenberg

Vielen Erben ist nicht klar, wie umfangreich und anstrengend ein Nachlass sein kann. Sie müssen oft das Vermögen oder die Schulden mühsam ermitteln und sich mit der Erwartungshaltung Dritter auseinandersetzen – etwa Vermietern (Miete, Räumung), Gläubigern oder Erbengemeinschaften. Ein Stromversorger verlangt Mahngebühren, selbst wenn man seit Wochen versucht, herauszufinden, wer der Anbieter ist.

Man wickelt das ganze Leben eines Menschen ab: Mietrecht, Versicherungen, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht, Erbrecht sowieso, Bank- und Kapitalmarktrecht, Sozialrecht – alles kann relevant werden.

In den seltensten Fällen haben die Verstorbenen zudem mit den zukünftigen Erben über den Nachlass gesprochen. Welches Vermögen ist da, wer bekommt was ? Meist wissen die Erben wenig bis nichts über den Nachlass oder sind erstaunt, was entgegen der Ankündigung des Verstorbenen nicht da ist.

Der Gastautor



Seit dem Jahre 2000 ist Marcel Sonnenberg als Rechtsanwalt überwiegend mit der Ermittlung und Verwaltung von Vermögen betraut. Er übt diesen Beruf laut eigenen Angaben gerne und mit Leidenschaft aus und schätzt es sehr, sich mit anderen darüber auszutauschen.

Sein Mitteilungsbedürfnis ist so groß, dass er regelmäßig über seinen Beruf in allen Medien, dem Fernsehen , Zeitungen oder den s ozialen Medien , gefragt oder ungefragt, berichtet, einen Podcast betreibt und Bücher schreibt.

Keine zentrale Auskunftsstelle für Bankkonten und Versicherungen

Und denken Sie nicht, dass Sie automatisch überall Auskunft bekommen, nur weil Sie Erbe sind. Sie brauchen Erbscheine. Nachweise, persönliche Vorsprachen. Datenschutz hat Priorität – und kostet Nerven. Es gibt zudem in Deutschland keine zentrale Auskunft für Bankkonten oder Versicherungen. Sie müssen daher wissen, welche Bank sie ansprechen oder suchen müssen und stets persönlich vorstellig werden. Leider hat sich die Politik seit Jahren einer solchen zentralen Stelle verweigert und man kann nur erahnen, wie viele Milliarden auf toten Konten liegen.

Deutschland hinkt der Digitalisierung hinterher. Sie können zwar bei Behörden Termine online vereinbaren; eine digitale Bearbeitung findet leider sehr selten statt. Das macht Erben zu einer mitunter aufwendigen Angelegenheit.

Digitale Nachlässe werden zunehmend komplexer

Auch digitale Nachlässe werden zunehmend komplexer: Passwörter, Online-Banking, soziale Netzwerke – oft liegen Informationen oder Verträge ausschließlich digital vor. Ohne Vollmachten oder klare Anweisungen sind diese kaum zugänglich. Wer regelt den „digitalen Keller“? Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass dies in Zukunft ein wachsendes Problem werden wird und Verwandte mitunter Konten nicht werden finden können. Mir geht es dabei nicht anders. Ich bin – wenn auch nur vorübergehend – regelmäßig in der Position des Erben. Und kenne daher die Probleme.

Was mich in vielen Fällen aber am meisten berührt: Wie einsam viele Menschen in ihrer letzten Lebensphase waren. Es macht traurig, wenn man sieht, dass jemand Hilfe gebraucht hätte – oder einfach nur ein paar freundliche Worte. Hier wird mir bewusst, wie schnell das Leben eines Menschen enden, seine Spuren verwischen und es sich anfühlt, als wäre er niemals da gewesen.

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