Mannheim. In der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause hatte sich der Deutsche Bundestag mit zwei Gesetzesentwürfen zur Regelung der Suizidhilfe befasst. Beide Entwürfe erhielten keine ausreichende Mehrheit. Was bedeutet das jetzt für Menschen, die wegen Krankheit oder Lebenssattheit Suizidhilfe in Anspruch nehmen möchten?
Es ist kein Geheimnis, dass die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, der ich als Präsident vorstehe, keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regulierung der Suizidhilfe sehen kann. Die von Gegnern und zum Teil auch von Befürwortern des assistierten Suizids immer wieder behauptete gesetzliche „Grauzone“ oder gar ein gesetzlich „unregulierter Zustand“ sind für uns nicht erkennbar. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht so gesehen, denn es hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 den Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet, ein wie auch immer geartetes legislatives Schutzkonzept zu verabschieden.
Für Ärzte und Ärztinnen existiert schon jetzt in Deutschland ein eindeutiger rechtlicher Handlungsrahmen
Für Ärzte und Ärztinnen, die bei einem freiverantwortlichen Suizid eines ihrer Patienten assistieren, existiert schon jetzt in Deutschland ein klarer und eindeutiger rechtlicher Handlungsrahmen. Organisationen, die Freitodbegleitungen anbieten oder, wie die DGHS, vermitteln, arbeiten transparent und überprüfbar, da nach jeder Freitodbegleitung die örtlich zuständige Kriminalpolizei informiert wird, die dann ein förmliches Todesermittlungsverfahren einleitet. Assistiert ein Suizidhelfer bei einem Suizid, ohne dass die suizidwillige Person einsichts- und entscheidungsfähig und somit nicht freiverantwortlich handelt, liegt regelmäßig ein Totschlag gemäß Paragraf 212 des Strafgesetzbuches vor.
Ein Notausgang in Form einer organisierten Freitodbegleitung, wie sie in der Schweiz bereits seit Jahrzehnten praktiziert und auch in Deutschland von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit getragen wird, ist somit auch in unserem Land legal möglich. Das heißt: Wer in einer freiverantwortlichen und sorgfältig abgewogenen Entscheidung zu dem Entschluss gekommen ist, selbstbestimmt aus dem Leben gehen zu wollen, hat auch in Deutschland die Möglichkeit, auf professionelle Hilfe Dritter zurückgreifen zu können.
In dem von einer fraktionsübergreifenden Gruppe um die Bundestagsabgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) entwickelten Gesetzesvorschlag waren an sich einige gute Ansätze enthalten, um Betroffenen und Ärztinnen und Ärzten ein reguliertes Prozedere an die Hand zu geben.
Der Gastautor
- Professor Robert Roßbruch studierte Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften und Philosophie in Marburg und Gießen.
- Seit 1990 arbeitet er als Rechtsanwalt in Koblenz mit eigener Kanzlei, die sich auf gesundheits- und pflegerechtliche Fragen spezialisiert hat.
- Seit 2009 ist Roßbruch Honorarprofessor für Gesundheits- und Pflegerecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.
- Seit Juli 1997 ist er alleiniger Herausgeber der Zeitschrift Pflege-Recht, die laut eigenen Angaben europaweit einzige monatlich erscheinende Fachzeitschrift für Rechtsfragen in der stationären und ambulanten Pflege. Weitere Infos unter www.rossbruch-verlag.de
- Robert Roßbruch ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), die sich seit ihrer Gründung 1980 für die Verbesserung der Bedingungen für Schwerstkranke und Sterbende einsetzt, Infos unter www.dghs.de
Der Entwurf sah allerdings eine Pflichtberatung vor, die wir grundsätzlich ablehnen. Natürlich muss suizidwilligen Menschen, die einen Beratungsbedarf haben, die Option einer ergebnisoffenen, niederschwelligen Beratung ermöglicht werden, um ihre Überlegungen rund um ihr eigenes Lebensende mit einem kompetenten Gesprächspartner erörtern zu können. Mit dem telefonischen Beratungsangebot Schluss.PUNKT, das über eine kostenfreie Nummer erreichbar ist, wird die DGHS diesem Bedarf bereits seit über drei Jahren gerecht. Dieses Beratungsangebot wird jeden Monat von rund 300 Personen in Anspruch genommen.
Sich aus dem Leben zu verabschieden, wenn es einem (aus welchen Gründen auch immer) zur Last geworden ist, gehört zum Wesenskern persönlicher Freiheit. Die Menschen möchten am Lebensende nicht bevormundet werden und erwarten vom Staat, dass er die Voraussetzungen für ein würdiges Ausscheiden aus dem Leben schafft. Im Übrigen wissen wir von sehr vielen Fällen, dass die Gewissheit, Herr über das eigene Leben zu bleiben und jederzeit den Notausgang benutzen zu können, die Leidensfähigkeit und den Willen zum Durchhalten eher stärkt und somit präventiv wirkt.
Wie sieht aber nun die aktuelle Situation aus? Der in früheren Jahren so oft heraufbeschworene massive „Dammbruch“ bei der Durchführung professioneller Freitodbegleitungen ist ausgeblieben. Im Jahr 2022 hat die DGHS 229 Menschen ein selbstbestimmtes Sterben ermöglicht, in dem sie Betroffene auf deren Antrag hin an regional tätige professionelle Freitodhelfer vermittelt hat.
Die Menschen erwarten vom Staat, dass er die Voraussetzungen für ein würdiges Sterben schafft
Diese Freitodhelfer sind regelmäßig in einem interdisziplinären Team, bestehend aus einem Juristen oder einer Juristin und einem Arzt oder einer Ärztin, tätig. Diese interdisziplinären Teams unterstützen die Suizidwilligen und deren Angehörige umfassend.
Im Jahre 2023 wird die Anzahl der von der DGHS vermittelten Freitodbegleitung voraussichtlich auf 350 ansteigen. Dies ist zahlenmäßig ein sehr geringer Anstieg, verglichen mit der Gesamtzahl der Suizide (rund 10 000) sowie der Gesamtzahl aller Sterbefälle in Deutschland (etwa 1 000 000) im Jahre 2022. Dieser Anstieg ist im Wesentlichen durch drei Faktoren gekennzeichnet. Zum einen wird erst langsam in der breiten Bevölkerung bekannt, dass man nicht mehr in die Schweiz fahren muss, um eine professionelle Freitodbegleitung in Anspruch zu nehmen, sondern dass diese Option nunmehr auch in Deutschland ganz legal in Anspruch genommen werden kann.
Zum anderen hat dies mit der Altersstruktur unserer Gesellschaft zu tun, die bekanntlich immer älter wird. Damit gewinnt auch der sogenannte Alterssuizid an Bedeutung. Hinzu kommt, dass immer mehr schwerkranke, leidende und hochaltrige Menschen, nicht mehr bereit sind, ein langes, anonymes und oft unwürdiges Sterben in den bestehenden Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Altenpflege, welches regelmäßig mit erheblichen Einbußen an Lebensqualität und einem weitgehenden Autonomieverlust einhergeht, hinzunehmen. Deshalb möchten sie unter Zuhilfenahme einer professionellen Freitodbegleitung dieses für sie inhumane und unwürdige Dahinsiechen selbstbestimmt beenden.
Auch ohne eine gesetzliche Regelung zur Suizidhilfe dürfen sich Ärztinnen und Ärzte den Wünschen ihrer Patienten nach einem sicheren suizidgeeigneten Medikament meines Erachtens nicht entziehen. Das in der Schweiz bewährte Natrium-Pentobarbital ist zurzeit mit dem geltenden Betäubungsmittelgesetz in Deutschland nicht für den Zweck der Selbsttötung erhältlich. Eine Erwerbserlaubnis hat das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte bisher noch in keinem einzigen Fall erteilt, obwohl ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 in einem Präzedenzfall diesen Weg eröffnete.
Für zwei schwererkrankte Mitglieder der DGHS klage ich die Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung als beauftragter Rechtsanwalt vor den Verwaltungsgerichten ein. Am 26. Oktober findet die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig statt. Dort wird nun in letzter Instanz entschieden, ob dieses Medikament nun auch in Deutschland von Ärztinnen und Ärzten rezeptiert werden darf.
Bei alledem sollte natürlich keine Ärztin und kein Arzt zu einer Mitwirkung beim Suizid verpflichtet werden
Für die DGHS ist und bleibt eine entsprechende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zentral. Da wir die in den bislang eingebrachten Gesetzesentwürfen vorgesehenen Änderungen im Betäubungsmittelgesetz nicht für ausreichend erachten, haben wir selbst entsprechende Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes erarbeitet und dem Bundesgesetzgeber unterbreitet.
Bei alledem sollte natürlich keine Ärztin und kein Arzt zu einer Mitwirkung beim Suizid verpflichtet werden. In einem liberalen Rechtsstaat muss jedoch das grundgesetzlich verbriefte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch bei der Entscheidung über das eigene Lebensende verteidigt werden. Und dafür setze ich mich ein.
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