Aktuell wird viel über wirtschaftliche Abhängigkeiten von China diskutiert. Und es stimmt, dass in einigen Bereichen Abhängigkeiten bestehen, die potenziell problematisch sind, weil darüber politischer Druck ausgeübt werden könnte. Allerdings droht hier, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn internationale Arbeitsteilung – auch mit schwierigen Partnern wie China – ist die Grundlage unseres Wohlstandes. In die zugrundeliegenden, oft sehr komplexen Prozesse politisch einzugreifen, sollte sehr genau begründet sein und auch dann nur in Ausnahmefällen passieren.
Zunächst muss betont werden, dass Arbeitsteilung in der Wirtschaft eine von Grund auf positive Angelegenheit ist. Denn sie erhöht den Wohlstand, beschleunigt Innovationen und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig bringt jede Art der Arbeitsteilung logischerweise gewisse Abhängigkeiten mit sich. Denn es ist ja gerade der Kern der Arbeitsteilung, sich auf einen Arbeitsschritt zu spezialisieren, den man besonders gut beherrscht, und andere Arbeitsschritte nicht mehr selbst durchzuführen, sondern die entsprechenden Produkte aus dem Ausland einzuführen.
Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von seiner internationalen Verflechtung. Der Wohlstandsgewinn, den wir ihr zu verdanken haben, lässt sich sogar beziffern: 2021 hat CESifo in einem Arbeitspapier den theoretischen Wohlstandsverlust durch eine Deglobalisierung und Rückkehr zur Autarkie mit etwa 19 Prozent angegeben. Doch es ist ja gerade dieser Wohlstand, der nicht nur unseren ausgeprägten Sozialstaat möglich macht, sondern darüber hinaus auch dringend benötigt wird, um die Herausforderungen einer Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft stemmen zu können.
Internationale Arbeitsteilung kann aber dann problematisch werden, wenn auf einer Seite eine Art Monopol für Vorprodukte entsteht, die kritisch für den Produktionsprozess sind. Daher sollte wirtschaftliche Verflechtung immer mehrere unterschiedliche Partner einbeziehen. Aktuell besteht Sorge, dass China viele solcher Monopole geschaffen hat und damit deutsche Partner von China erpressbar geworden sind oder drohen, es zu werden.
In einer Studie, die die Konrad-Adenauer-Stiftung 2021 zusammen mit dem ifo Institut erstellt hat, wurde deutlich, dass dies für die große Mehrheit industrieller Lieferketten nicht zutrifft. Die deutsche Wirtschaft ist im Gegenteil recht gut diversifiziert. Nur im Bereich einiger Metalle und insbesondere bei Batterierohstoffen besteht tatsächlich eine einseitige Abhängigkeit von China, vor allem aufgrund der starken Konzentration der Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe.
So erfolgt beispielsweise annähernd 100 Prozent des weltweiten Refinings von Graphit in China; bei Nickel, Lithium und Kobalt liegen etwa zwei Drittel der globalen Refining-Kapazitäten in China. Problematisch ist hierbei, dass diese Rohstoffe dringend für die Energie- und Mobilitätswende sowie die weitere Digitalisierung benötigt werden. Ein Verzicht hierauf ist deshalb kurzfristig nicht möglich – oder aber mit enormen politischen Kosten verbunden.
Wie kann darauf sinnvoll und mit Augenmaß reagiert werden? Sicherlich nicht mit Versuchen, all diese Rohstoffe in Deutschland oder Europa zu produzieren. Denn viele davon kommen in Europa kaum vor, und der Aufbau einer nennenswerten Weiterverarbeitung würde lange dauern und vermutlich teurer sein als in anderen Weltregionen. Es gibt auch kaum deutsche und europäische Explorations- und Entwicklungsfirmen, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Es ist daher die bessere Idee, Anreize zu schaffen, dass kritische Rohstoffe für die deutsche Industrie verstärkt außerhalb Chinas eingekauft werden. Hierzu bieten sich etwa Instrumente wie Rohstoffpartnerschaften an, diese müssen dann aber auch ernsthaft umgesetzt werden und nicht – wie bisher meist – Lippenbekenntnisse bleiben.
Um die dominante Position Chinas im Bereich der Weiterverarbeitung strategischer Rohstoffe zu mindern, wäre es darüber hinaus im deutschen und europäischen Interesse, den Aufbau entsprechender Refining-Kapazitäten in Ländern Subsahara-Afrikas zu unterstützen, also dort, wo sich ein großer Teil der Lagerstätten befindet. Von einem solchen Aufbau würden beide Seiten profitieren: wir durch eine größere Diversifizierung in der Beschaffung und die Partnerländer durch eine höhere Wertschöpfung und zusätzliche Arbeitsplätze vor Ort. Mit entsprechender Ernsthaftigkeit umgesetzt, könnte eine solche Maßnahme auch wirkungsvoller sein als viele aktuelle Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit.
Auch die verstärkte Gewinnung strategischer Rohstoffe durch Recycling sollte nicht aus dem Blick verloren werden, auch wenn hinsichtlich Qualität und Reinheit hier aktuell noch gewisse Limitierungen bestehen. Die EU-Kommission hat sich kürzlich zum Ziel gesetzt, ab dem Jahr 2030 mindestens 15 Prozent des Bedarfs an strategischen Rohstoffen durch Recycling abzudecken. Nötig wäre dafür in jedem Fall die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Eine Maßnahme, die auch in anderen Bereichen der heimischen Rohstoffgewinnung durch verstärktes unternehmerisches Engagement Abhängigkeiten von China reduzieren könnte.
Den Produktionsort bestimmter Güter politisch zu steuern, ist grundsätzlich kein sinnvolles Vorgehen. Es gibt ja schließlich einen Grund dafür, dass gerade dort produziert wird, wo es ohne politischen Eingriff geschieht – es ist dort schlicht am günstigsten. Auch für die deutsche Wirtschaft ist es richtig, das so zu belassen. Denn wir haben aktuell weitgehend Vollbeschäftigung, es ist in vielen Regionen sehr schwer, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Auch Flächen für neue Produktionsanlagen sind knapp, ganz zu schweigen von Strom aus erneuerbaren Quellen.
In einer solchen Situation bedeutet eine politisch angeschobene Produktion, dass Arbeitskräfte aus bisher ohne Subventionen funktionierenden Firmen zu anderen abgezogen werden, die nur deshalb existieren, weil sie staatlich unterstützt werden. Man schwächt also mit diesem Vorgehen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, weil produktive Unternehmen durch solche ersetzt werden, die nur durch Zuschüsse funktionieren. Diese Zuschüsse sind Extrakosten, die der deutsche Steuerzahler ansonsten nicht hätte.
Es kann gute Gründe dafür geben, diese Kosten in Kauf zu nehmen. Die grundlegende Versorgung mit unverzichtbaren Rohstoffen oder lebenswichtigen Medikamenten kann ein solcher Grund sein. Das sollte dann aber sehr transparent gehandhabt werden. Und zwar so, dass jedem, der es wissen will, klar wird, dass wir diese Sicherheit auf Kosten unserer Wettbewerbsfähigkeit einkaufen. Das ist eine politische Entscheidung, über die am Ende auch die Wählerinnen und Wähler mitbestimmen sollten.
Abhängigkeiten bestehen in einigen Bereichen – und das kann durchaus problematisch sein. Um dieses Problem zu adressieren, gibt es aber bessere Lösungen, als Steuergelder dafür auszugeben, um Produktionen künstlich in Deutschland anzusiedeln. Vielversprechender ist es zum einen, die Lagerhaltung bei bestimmten Produkten auszubauen. Das betrifft neben strategischen Rohstoffen zum Beispiel auch Medikamente, bei denen eine Unterbrechung bestehender Lieferketten mit deutlich schwerwiegenderen Auswirkungen verbunden ist als bei anderen Verbrauchs- und Konsumgütern.
Um Anreize für eine verstärkte Lagerhaltung zu schaffen, sollte rasch ihre steuerliche Benachteiligung abgeschafft werden. Denn durch die aktuellen Regelungen erhöht die Lagerhaltung das Umlaufvermögen, aber erst die Nutzung der Rohstoffe berechtigt zu einem Betriebsausgabenabzug. In seinem letzten Jahresgutachten hatten die fünf Wirtschaftsweisen bereits auf diese Problematik hingewiesen.
Zum anderen lassen sich Abhängigkeiten auch durch Innovation reduzieren, indem neue Produkte und Verfahren entwickelt werden, die den Einsatz bestimmter kritischer Rohstoffe nicht mehr erforderlich machen. Das geschieht beispielsweise aktuell bei der Entwicklung von Akkus, die ganz ohne Lithium auskommen.
Anstatt also viel Geld für den Aufbau von Produktionsstandorten auszugeben, die Techniken nutzen, die in anderen Ländern besser beherrscht werden, sollten eher die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung verbessert sowie in die Bildung investiert werden.
Die Gastautoren
Jan Cernicky (oben) ist Leiter der Abteilung Wirtschaft und Innovation bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Zuvor war er unter anderem Leiter der Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in der DR Kongo und in Kenia.
Gunter Rieck Moncayo ist Referent für Wirtschaft und Handel bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Zuvor war er unter anderem Leiter des Regionalprogramms „Soziale Ordnungspolitik in Lateinamerika“ der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Santiago de Chile.
Innovation ist eines der drei Schwerpunktthemen der Konrad-Adenauer-Stiftung. In diesem Kontext werden Themen der digitalen und nachhaltigen Transformation sowie der wirtschaftspolitischen Grundlagen für eine innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft behandelt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/meinung/debatte_artikel,-debatte-sollten-wir-uns-wirtschaftlich-von-china-loesen-herr-moncayo-und-herr-cernicky-_arid,2116319.html