Debatte

Ist Romantik heute überflüssig, Frau Newerla?

Es gibt viele Beziehungen, die Menschen einander näher bringen – das muss aber nicht immer die klassisch romantische sein. Warum wir uns von dieser Vorstellung lösen sollten, erklärt Andrea Newerla. Ein Gastbeitrag

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Andrea Newerla
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Gastautorin Andrea Newerla sagt, dass es neben der romantischen Liebesbeziehung, die noch stets der Goldstandard unter den Beziehungen ist, auch andere, sehr nahe Beziehungen existieren, die wertvoll für uns sind. © istock

Es ist kaum verwunderlich, dass romantische Szenen fast automatisiert in unseren Köpfen ablaufen, wenn wir verliebt sind. Sie lassen uns fantasieren, wie es idealerweise sein wird mit dem Menschen, für den wir auf einmal ganz besondere Gefühle entwickelt haben. Da fliegen uns Schmetterlinge im Bauch umher, begleitet von romantischen Bildern. Den Wenigsten von uns ist dabei bewusst, dass das Skript, dem unsere Liebesgeschichten folgen, bereits feststeht und seit Jahrhunderten ungefähr gleich abläuft: Verliebt, verlobt, verheiratet. Es ist ein wunderschönes Skript, geradezu ein Diktat, welches uns da immer wieder von Neuem vorgelesen wird und welches wir jedes Mal mit neuer Leidenschaft mitschreiben.

"Die Geschichten erzählen von der Schönheit und Leichtigkeit der Liebe und haben eine enorme Strahlkraft"

Diese Geschichten erzählen von der Schönheit und Leichtigkeit der Liebe und haben nach wie vor eine enorme Strahlkraft. Dabei sieht die bittere Realität unseres intimen Zusammenlebens eher so aus: Seit Jahrzehnten sinkt die Anzahl an Heiratswilligen, zugleich steigt die Scheidungsrate, Ein-Personen-Haushalte nehmen stetig zu und wo wir hinsehen, stemmen alleinerziehende Mütter und Väter ihren Alltag mit Kindern, leben Senioren und Seniorinnen allein und vereinsamen, sind Singles frustriert und überfordert von einem schier unendlichen Angebot auf dem Datingmarkt bei gleichzeitiger Unverfügbarkeit von tatsächlichen Dating-Partnern oder -partnerinnen.

Viele Menschen sind heute an einem Punkt, an dem sie enttäuscht feststellen: So, wie es uns immer erzählt wurde und wie wir es uns oft erträumt haben, ist es einfach nicht. Unser persönliches Liebesglück ist oftmals nicht von Dauer, und häufig machen wir Trennungserfahrungen, die schneller kommen als gedacht. Etliche suchen ihr Glück dann eben woanders: nächste Beziehung – und der Liebeszauber geht von vorne los. Im Gepäck ist die Hoffnung, dass das mit dem Glück diesmal endlich klappen wird.

"Wir fragen nicht, warum wir uns keine anderen Sehnsuchtsorte ersinnen wollen als romantische"

Wonach wir in diesen Momenten eher nicht fragen, ist die soziale Beschaffenheit unserer romantischen Träume, Sehnsüchte und Wünsche – und unseres permanenten Scheiterns. Wir fragen nicht, warum in unseren Köpfen immer wieder die Filme mit den schönen, romantischen Skripten ablaufen, die uns unsere persönlichen Liebesgeschichten vorzuschreiben scheinen. Wir fragen nicht, warum diese Geschichten so wirkmächtig sind und wir uns keine anderen Sehnsuchtsorte ersinnen wollen als romantische. Wir fragen nicht, warum wir kaum andere Vorstellungen von einem glücklichen und zufriedenen Zusammenleben haben als die der romantischen Liebesbeziehung und der im besten Fall daraus erwachsenden Kleinfamilie. Wir fragen nicht ganz grundsätzlich nach den Regeln, Funktionen und Normen unserer persönlichen Liebesgeschichten. Es ist fast so, als würden wir uns nicht trauen, da genauer hinzuschauen. Vielleicht, weil wir dann erkennen – oder sagen wir: anerkennen – würden, wie viel Gesellschaft in unseren Schlafzimmern steckt.

Und genau hier möchte ich mit meinem Buch „Das Ende des Romantikdiktats“ ansetzen und herausarbeiten, wie eng unsere persönlichen und sehr nahen Beziehungen sowie unsere Vorstellungen von Intimität, Beziehungen und Liebe geprägt sind durch die Gesellschaft, in der wir leben.

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Die Krisen, die viele von uns in ihren Liebesbeziehungen, Ehen und Familien erleben und die heute zu vielen Brüchen und Zerwürfnissen führen, sind eng verbunden mit gesellschaftlichen Mechanismen, Regeln, Strukturen und Normen. Über diese Verwobenheiten von Intimität und Gesellschaft sprechen wir allerdings kaum, und mehr noch: Diese sind uns oft nicht einmal bewusst.

Dabei wäre es überaus hilfreich, würden wir anfangen über diese Dinge nachzudenken und zu sprechen – auch das auch außerhalb unserer Schlafzimmer und fernab des Privaten. Dann würden wir nämlich erkennen, dass wir nicht alleine sind mit den Herausforderungen in Sachen Liebe, dass viele ähnliche Nähe-, Beziehungs- und Liebeskrisen erleben, dass wir es hier mit Mustern zu tun haben, die sich beständig wiederholen. Wir würden erkennen, dass romantische Beziehungen als diejenige Form des Zusammenlebens, die wir als ganz normal wahrnehmen, Ergebnis historisch-gesellschaftlicher Prozesse sind. Prozesse, die zeigen, dass unsere nahen Beziehungen nicht „schon immer“ auf der Vorstellung der romantischen Liebe basierten, sondern sich im Laufe der Zeit verändert haben und dies auch in Zukunft weiter tun werden.

Die Gastautorin

Andrea Newerla ist promovierte Soziologin und forschte zuletzt als Senior Scientist an der Paris Lodron Universität Salzburg zu Intimitäten, Onlinedating und Beziehungsmustern jenseits heteronormativer Standards.

Ihre Forschungserkenntnisse dienen als Ausgangsfragen einer neuen Perspektive auf unsere intimen Beziehungen und bieten die Grundlage der Betrachtung sich wandelnder gesellschaftlicher Verbindlichkeiten für ihr Buch „Das Ende des Romantikdiktats“.

Sie gilt als eine der bekanntesten Stimmen der soziologischen Intimitätsforschung und war als Expertin unter anderem bereits bei Aspekte (ZDF), scobel und Kulturzeit (3sat) oder in der taz geladen.

Mehr unter andrea-newerla.de/

Ich bin überzeugt davon, dass in all diesen Erkenntnissen ein großes Potenzial schlummert, welches wir kaum ausschöpfen. Denn wenn es so ist, dass wir als Menschen unser intimes Leben selbst herstellen, dass es sich stetig gewandelt hat und auch weiterhin wandeln wird, dann bedeutet das für uns, dass wir es heute aktiv gestalten können. Und auch, dass wir es in Zukunft anders gestalten dürfen.

Möglicherweise begegnen wir den Krisen und dem ständigen Scheitern auf andere Weise, wenn wir verstanden haben, wie die soziale Beschaffenheit unserer nahen Beziehungen ist. Vielleicht können wir dann sehen, dass neben der romantischen Liebesbeziehung, die noch stets der Goldstandard unter den Beziehungen ist, auch andere, sehr nahe Beziehungen existieren, die wertvoll für uns sind.

Was ist zum Beispiel mit unseren Freundschaften? Ist es nicht unsere Erfahrung, dass sie viel eher von Dauer sind als unsere romantischen Liebesbeziehungen? Oder was ist mit selbstgewählten Familien? Oder unseren Wohngemeinschaften? Können dies nicht auch Orte sein, die uns ein Zuhause bieten, die Raum bieten zur Planung von Zukunft und wo wir nahe Beziehungen führen können, die uns erfüllen und zufrieden machen, in denen wir uns gehalten, geborgen und geliebt fühlen?

Nicht, dass wir uns da falsch verstehen: Ich habe nicht vor, die romantische Liebe zu ihrem Ende zu bringen. Ganz im Gegenteil! Sie ist ein fantastisches Gefühl, auf das wir auch in Zukunft auf gar keinen Fall verzichten sollten. Vielmehr möchte ich dazu anstiften, das romantische Ideal von seinem hohen Sockel zu schupsen, welches die romantische Liebe, wie wir sie kennen, stets als das höchste Maß der Dinge erscheinen lässt. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Es gibt auch Alternativen, andere Beziehungen, die wir als nah und bedeutsam empfinden und innerhalb derer wir uns unsere Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte erfüllen können. Und vielleicht können wir damit letztendlich auch die romantische Liebe retten, denn sie krankt heute daran, alles sein und erfüllen zu müssen.

"Machen wir uns also auf den Weg und bringen wir das Romantikdiktat zu seinem Ende"

Machen wir uns also gemeinsam auf den Weg und bringen wir das Romantikdiktat, – die immergleiche Geschichte von der Liebe, die einfach nicht hält, was sie verspricht –, zu seinem Ende. Erfinden wir gemeinsam andere Geschichten, die von Liebe und Nähe erzählen, von bedeutsamen, aber eben nicht zwangsläufig romantischen Beziehungen. Seien wir dabei kreativ, probieren wir uns aus und wagen wir auch einmal etwas Neues. Denn es gibt sie, die andere Möglichkeiten des Sich-Nah-Seins, des Miteinanders.

Unsere intimen Verhältnisse werden sich nicht allein in der Theorie verändern: Das Know-how dafür erlangen wir nicht allein über das Nachdenken, sondern nur über „verschiedene Versuche zu leben“ (Amia Srinivasan). Es geht also nur über die Praxis. Aber: Für eine Praxis, die wir aktiv gestalten wollen, ist es unerlässlich, zunächst eine gemeinsame Sprache zu finden, die es uns ermöglicht, über intime Selbstverständlichkeiten ins Gespräch zu kommen. Holen wir das intime Leben aus den stillen Kämmerlein unserer Schlafzimmer heraus, um es aktiver und bewusster zu gestalten. Und dafür müssen endlich über Intimität reden – Let’s talk about intimacy!

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