Debatte

Warum ist Heimkehren nicht immer einfach?

Von 
Uta-Caecilia Nabert
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Mit gepacktem Koffer geht es endlich nach Hause – doch eine Rückkehr fühlt sich nicht immer auch wie eine Heimkehr an. Sondern manchmal einfach nur nach belanglosem Alltag. © Istock

Gerade noch im Van auf der Küstenstraße unterwegs, jetzt im Polo auf der A7. Gerade noch fremde Kulturen studiert, jetzt das BWL-Skript im Hörsaal. Gerade noch an der Strandbar gejobbt, jetzt wieder Großraumbüro. Die meisten Reiseberichte enden dort, wo die Reise aufhört. Aber was ist mit der Rückkehr, dem Alltag, der unweigerlich folgt?

Ja, wie ist das? Nach meiner fast zwei Jahre dauernden Weltreise - über Russland, China, Südostasien Australien, Neuseeland - habe ich es erlebt. Es war schwer. Sehr schwer.

Die Gastautorin Uta-Caecilia Nabert

Uta-Caecilia Nabert ist Journalistin und Autorin und hat seit ihrem Volontariat beim „Mannheimer Morgen“ zwei Mal die Welt bereist.

Beim ersten Mal fuhr sie mit Bus und Bahn von Deutschland nach Neuseeland - über Russland, die Mongolei, China, Südostasien, Australien. In Neuseeland lebte sie über ein Jahr.

Nachdem sie zurückkam, versuchte sie, sich wieder in ihr altes Leben zu integrieren, zog zu ihrem Verlobten und arbeitete in der Redaktion eines Lebensmittelmagazins. Eine Trennung und Kündigung später fuhr sie mit dem Containerschiff nach Kanada. Zwei Jahre und ein Buch später kam sie ein zweites Mal nach Deutschland zurück.

Heute arbeitet sie in Bensheim als Redakteurin bei der „Christoffel-Blindenmission“. Die NGO verbessert die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen in den ärmsten Regionen der Erde.

Im neuen Beruf kann sie nicht nur texten und sich dafür einsetzen, dass die Welt ein besserer Ort wird, sondern auch ab und zu reisen.

In ihrem Buch „Wieder da und doch nicht hier“, vor Kurzem im Delius Klasing Verlag erschienen, geht es um Weltreisende und wie sie sich nach dem großen Abenteuer wieder in ihrem alten Leben zu Hause zurechtzufinden - mit Gastbeiträgen, etwa von Helge Timmerberg oder Joachim Meyerhoff, und Ratgeberteil.

Das Problem: Ich hatte mich verändert, mein Zuhause eigentlich nicht. Die Lücke, die ich hinterlassen hatte, passte nicht mehr zu mir. Ihre Form war immer noch dieselbe, doch meine nicht. Man könnte sagen, ich war aus ihr herausgewachsen. Ich war daheim, zurück im grauen Alltag, und beobachtete, wie mein Leben vom größten Abenteuer zurück auf Normalmaß schrumpfte. Der begehbare Kinofilm, zu dem es geworden war, wurde wieder zur mäßig interessanten Vorabendserie. Zeitverschwendung.

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Das hatte einige Konsequenzen: Vor der Reise hatte ich einen Partner gehabt. Wir wollten heiraten. Nach der Reise hielt mich nichts mehr bei ihm. Keinem Vergleich konnte er noch standhalten. Vor der Reise war die Zukunft klar gewesen, nach der Reise war gar nichts mehr klar - bis zur Trennung.

Das zweite Problem: Vor der Reise akzeptierte ich meinen von Überstunden geprägten Job in einer kleinen Agentur für Public Relations. Nach der Reise war ich dazu nicht mehr bereit. Allein der Gedanke, wieder täglich acht Stunden und mehr in einem Büro abzustumpfen, machte mich panisch.

Das dritte Problem: die deutsche Mentalität. Vor der Reise konnte ich die bösen Blicke, die herübergerufenen Grobheiten vorüberziehender Jugendlicher noch … ich weiß nicht. Ertragen? Akzeptieren? In Deutschland ging man wohl so miteinander um. Doch auf meiner Reise hatten mir vor allem die Neuseeländer vorgelebt, was es heißt, nett zu sein.

Sind Sie einmal aus dem Bus gestiegen und haben dem Fahrer zugerufen: „Danke Ihnen! Schönen Tag noch“? In vielen Teilen der Welt machen das die Menschen. Ja, wirklich! Haben Sie einmal einen Laden betreten und der Kassiererin fröhlich zugerufen: „Hallo, wie geht es ihnen denn heute so?“ - Klingt komisch? Nicht auf Englisch: „Hi, how are you?“ Was sagt es über eine Gesellschaft, wenn sie die einfachsten Grußformeln nicht mehr beherrscht?

In der Wochenzeitung „Die Zeit“ verglich einmal die Journalistin Anne-Sophie Balzer nach einem Nordamerika-Urlaub die Kanadier mit den Deutschen. Sie war erstaunt, wie schnell sie sich in Toronto mit einer Kellnerin angefreundet hatte. Nach nur drei Besuchen im Café ging das Gespräch der beiden weit über: „Hi“ und: „How are you?“ hinaus. Über das Verhalten ihrer Mitmenschen zu Hause schrieb Balzer dagegen: „Zuletzt beschimpfte mich [in Berlin] ein Mann als eingebildete Schlampe, ein anderer spuckte in der U-Bahn auf den Sitz neben mir. Und vor ein paar Wochen riss ein älterer Herr direkt vor meinem Haus eine Frau an ihrem Schal vom Fahrrad, weil sie ohne Licht fuhr.“ Balzers Fazit: „Ignoriert zu werden, ist wohl das Beste, was einem in Berlin passieren kann.“

Ich wusste genau, was die Journalistin meint. Auch ich spürte, zurück in Deutschland, diese soziale Kälte. Doch es lag auch an mir: Ich lehnte alles ab, sah nur noch, was nicht stimmt in meinem Land - teils zu Recht, wie mir Balzers Artikel vor Augen führte.

Zugleich wurde mir klar, dass meine schlechte Stimmung viel mit mir selbst zu tun hatte, beziehungsweise mit meiner Situation. Und irgendwann wollte ich wissen, ob es anderen Weltenbummlern auch so ging. Ich begann, sie zu interviewen:

Unter anderem sprach ich mit David, der in Südamerika unterwegs gewesen war, sich dort verliebt hatte, aber vorzeitig nach Hause fliegen musste, weil er Thrombose bekam. Seine Reise hatte er als Transformation in ein neues Leben geplant. Er hatte nie wieder in seine Heimat zurückkehren wollen, höchstens als Besucher. Nun lag er auf dem Sofa seiner Mutter und es graute ihm davor, an seinen alten Arbeitsplatz zurückzukehren.

Ich sprach mit Valeska, die in Berlin ein recht aufregendes Leben lebte, doch immer wieder in Tränen ausbrach. Sie sehnte sich zurück in die große Welt. Ich sprach mit Stephanie, einer professionellen Pianistin, die sich nach einem Sabbatical, einer Auszeit in Honduras, weigerte, Klavier zu spielen und klassische Konzerte zu geben. Deswegen stritt sie sich nun mit den Eltern.

Meine Recherchen waren Selbsttherapie. Ich erkannte, dass ich mit meinen Erlebnissen nicht alleine war, dass sich bestimmte Probleme bei vielen wie ein roter Faden durch ihr Heimkehrer-Dasein spinnen, bis sie zu einem massiven Problem-Knäuel werden, einem handfesten Postreise-Blues, einem „reverse culture shock“. Ich erkannte: Die Heimkehr stellt für viele Weltreisende eine große Herausforderung dar, vielleicht sogar den härtesten Teil des Abenteuers. Sie alle haben schon wieder heimischen Boden unter den Füßen, da sind ihr Herz und ihre Gedanken noch lange nicht daheim.

Und nun die gute Nachricht: Meine Recherchen ergaben, dass es im Schnitt zwei Jahre dauert, bis man wirklich wieder zu Hause ankommt. Und diese schmerzhafte, konfliktreiche Zeit ist eine Riesenchance zu wachsen. Obwohl - das ist nicht ganz richtig. Gewachsen ist man während der Reise - oft über sich hinaus. Es ist paradox: Diese Welt, in die wir Reisenden aufbrechen, ist so groß und weit, dass sie uns überwältigen, uns zu viel werden, uns kleinmachen müsste. Doch gerade sie ist es, die uns groß werden lässt. Sie gibt uns Raum, uns zu entfalten, und lässt uns spüren, was möglich ist.

Die Herausforderung ist es nun, nach der Heimkehr diesen Raum weiterhin für sich einzufordern. Nur dann kann man groß bleiben. Das ist nicht immer möglich: Wer ein Studium beginnt, muss sich eventuell an den Stundenplan einer Uni halten. Wer wieder arbeiten geht, muss sich an die Vorgaben der Arbeitsstelle halten. Oder? Nein! Viele, mit denen ich gesprochen habe, haben Enge nicht mehr zugelassen, sie haben ihr Leben verlassen, aus dem sie rausgewachsen waren. Dafür mussten sie Konflikte austragen, Risiken eingehen, mit Partnern brechen, Freundschaften beenden, Jobs kündigen, Lebensläufe umschreiben.

Und sie alle haben es geschafft, sie sind sich treu geblieben und leben jetzt das Leben, das sie leben wollen. Anfangs war es nie einfach, doch langfristig und nachträglich hat sich für alle die Weltreise als Glücks- und Karriere-Booster bewährt.

David ist nach Thailand gegangen, sobald er gesund war. Er unterrichtet heute Englisch und in seiner Freizeit sonnt er sich auf der Dachterrasse seiner neuen Freundin. Valeska ist immer noch in Berlin, doch sie arbeitet nun in einem bekannten Start-up in der Position ihrer Wahl. Dafür musste sie viele Male die Stelle wechseln, war eine Zeit lang selbstständig und hatte auch den Mut, einige Angebote abzulehnen, obwohl sie gut bezahlt waren. Stephanie gibt ihre Konzerte heute auf der Gitarre und hat sich mit ihren Eltern versöhnt. Und ich? Ich lasse mich schon lange nicht mehr in einer Agentur ausbeuten, sondern bin glückliche Texterin bei einer Hilfsorganisation. Außerdem habe ich das Buch „Wieder da und doch nicht hier“ geschrieben.

George Moore sagte einst: Der Mensch bereist die Welt auf der Suche nach dem, was ihm fehlt. Und er kehrt nach Hause zurück, um es zu finden.“ Und wenn wir es nicht finden? Entweder wir wandern aus, oder wir schaffen uns in unserer Heimat die Welt, wie sie uns gefällt. Darin besteht die Chance der Rückkehr. Und dann ist es auch eine Heimkehr.

PS: Vor zwei Tagen habe ich beim Aussteigen dem Busfahrer ein „Vielen Dank“ zugerufen. Ich glaube, er hat sich gefreut.

Freie Autorin

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