Von Tebogo Nimindé-Dundadengar und Olaolu Fajembola
Viel ist bereits zu Rassismus gesagt und geschrieben worden. In einer Vielzahl von Büchern, Artikeln, Blogs und Posts wird auf das Thema aufmerksam gemacht. Zielgruppe sind dabei aber fast ausschließlich Erwachsene. Das kann bei stark verletzenden und beängstigenden gesellschaftlichen Themen zunächst auch sinnvoll sein. Gleichzeitig stellt sich für Eltern und andere Bezugspersonen von Kindern aber natürlich eine sehr wichtige Frage: Wie spreche ich mit Kindern über Rassismus? Ist dieses Thema nicht viel zu brutal? Zerstöre ich nicht ihre angeborene Unschuld? Bringe ich sie erst durch ein solches Gespräch auf den Gedanken, dass es Verletzungen rechtfertigende Unterschiede zwischen Menschen gibt?
Für Eltern von Kindern, die potenziell von Rassismus bedroht sind, oder jene Eltern, die selbst Opfer von Rassismus sind, gibt es eine solche Wahlfreiheit nicht. Spätestens dann, wenn ihr Kind aufgrund der Hautfarbe nicht mitspielen darf oder sie verbale Angriffe erfahren, müssen Eltern reagieren. Denn sie stärken und schützen ihr Kind nur, wenn sie mit dem Kind sprechen und es dadurch vorbereiten. Der Luxus oder das Privileg, die eigenen Kinder von diesem Thema fernzuhalten und ihre „Unschuld“ so lange wie möglich zu bewahren, existiert für betroffenen Familien nicht. Daraus ergibt sich für uns die logische Konsequenz, dass wir mit allen Kindern über Rassismus sprechen sollten, nicht nur mit den potenziellen Opfern.
Die Gastautorinnen
Tebogo Nimindé-Dundadengar und Olaolu Fajembola sind die Gründerinnen der Onlineplattform Tebalou.
Neben dem Verkauf von vielfältigem Spielzeug und Kinderbüchern bieten sie auch Seminare und Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen an. Gemeinsam möchten die Psychologin und die Kulturwissenschaftlerin Eltern ermutigen, das Thema Rassismus mit Kindern zu besprechen.
Im Beltz Verlag haben die Autorinnen den Erziehungsratgeber „Gib mir mal die Hautfarbe. Mit Kindern über Rassismus sprechen“ veröffentlicht.
Im Rahmen des Mannheimer Literaturfestivals lesen.hören sprechen sie am Mittwoch, 16. März, in der Alten Feuerwache über das Thema. Bereits am Dienstag, 15. Februar, gibt es bei der VHS Ludwigshafen einen Online-Vortrag.
Viele Erwachsene sind überzeugt, wenn es um das Thema Rassismus im kindlichen Kontext geht, dass Kinder keine Unterschiede sehen und dementsprechend keine Unterschiede machen und völlig unvoreingenommen auf alle Menschen zugehen. Alltagsbeobachtungen und Berichte von betroffenen Kindern zeigen jedoch, dass Kinder bereits im Kindergartenalter Rassismuserfahrungen machen. Das bedeutet nicht, dass Kinder kleine Rassisten sind, sondern, dass sie rassistisches Wissen gelernt haben. Auch wissenschaftlich ist dies hinreichend belegt. Bereits im Alter von drei bis sechs Monaten können Säuglinge phänotypische Unterschiede von Menschen erkennen und im Alter von drei bis fünf Jahren haben sie die gesellschaftlich vorherrschenden Vorurteile gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen verinnerlicht. Dementsprechend kann es dazu kommen, dass ein Kind dem anderen sagt, du darfst nicht mitspielen, weil deine Haut braun ist. Dieses Kind ist kein Rassist, es hat jedoch gelernt, helle Haut ist gesellschaftlich besser angesehen als dunklere Haut.
Woher aber kommt dieses Wissen, wenn wir davon ausgehen dürfen, dass nicht alle Eltern und Bezugspersonen ausgemachte Rassisten sind und Kindern dieses Wissen explizit vermitteln? Die Wissenschaftlerin Linda Christensen beschreibt die Quellen dieses Wissens als „secret education“. Also eine Art heimlicher Bildung. Diese vermittle Kindern in Büchern, Filmen, traditionellen Reimen und anderen Medien, was als begehrenswert und nicht begehrenswert angesehen wird. In dieser „heimlichen Bildung“ werden weiße Menschen regelmäßig als Heldinnen und Helden, als Anführerinnen und Anführer präsentiert, während nicht-weiße Menschen in Nebenrollen gedrängt oder als „Wilde“ und Bösewichte porträtiert werden. Wer ist handlungsfähig? Wer kann richtig sprechen? Wer ist gut und wer ist böse?
Neben dem Sprechen über Rassismus ist es also auch unablässig, dass wir uns die Kinderbücher, Filme und Kinderlieder, die unsere Kinder konsumieren, genau anschauen. Werden hier Vorurteile reproduziert oder wird gar rassistische Sprache verwendet? Insbesondere auch bei den so heiß geliebten Klassikern aus der eigenen Kindheit sind Eltern oft schockiert ob der Sprache und Bilder, die dort gezeigt werden.
Die wichtige Frage aber bleibt: Wie spreche ich mit Kindern über Rassismus? Unsere Antwort ist: Behutsam. Es geht nicht darum, kleinsten Kinder die Brutalität rassistischer Übergriffe zu schildern. Das würde sie höchstwahrscheinlich überfordern. Es geht vielmehr darum, ihnen von Anfang an ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, dass Menschen unterschiedlich sind und einige genau darum ungerecht behandelt werden. Kinder besitzen einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Gepaart mit einer schier unstillbaren Neugierde und großer Kreativität ist dies der Nährboden, um mit Kindern konstruktive, schöne, ernste und manchmal auch lustige Gespräche über Rassismus und Gerechtigkeit zu führen.
Wo und wie aber fangen wir an? Antirassistische Erziehung lässt sich im Grunde als ein Weg oder als eine bestimmte Haltung verstehen. Es ist jedenfalls keine punktuelle Aktion oder ein Gespräch, dass einmal geführt wird und dann ist auch gut, wie diese Geschichte mit den Blumen und Bienen. Ein System, dass über Jahrhunderte gewachsen ist, lässt sich nicht mal eben aus den Köpfen, Kinderbüchern und unbewussten Einstellungen eliminieren. Dieser Weg beginnt bei uns als Erwachsenen. Wir können Kindern nichts beibringen, von dem wir selbst kaum eine Ahnung haben. Was vermitteln wir unseren Kindern, auch unbewusst, weil wir uns nie tiefgründig mit dem Thema Rassismus beschäftigt haben?
Wir plädieren deshalb dafür, zunächst die Antworten auf einige Fragen für sich selbst zu erörtern. Was genau weiß ich über Rassismus? Kann ich diesen definieren und weiß ich, wie dieser entstanden ist? Wie wurde in meiner Kindheit über Ausländer oder die vermeintlich „Anderen“ gesprochen? Wie wird heute in meinem persönlichen Umfeld über sie gesprochen? Die Beantwortung dieser Fragen und eine Selbstreflexion geben uns eine gute Grundlage, um Rassismus im kindlichen Alltag zu erkennen - und um dann auch mit Kindern darüber sprechen zu können.
Wie aber genau kann nun ein erstes Gespräch über Rassismus mit Kindern aussehen? Auch wenn wir uns vornehmen, ganz in Ruhe eine ausführliche Unterhaltung zu führen, sind es meist Alltagssituationen, in denen Kinder uns fordern und nach Antworten verlangen. „Warum hat der Mann so braune Haut?“, fragt der Fünfjährige laut im voll besetzten Bus, während er mit dem Finger auf einen schwarzen Mann zeigt. Kinder sind neugierig, sie stellen Fragen, damit sie durch die Antworten ihre Umwelt verstehen lernen. Nicht nur die Antwort auf diese Frage, sondern auch die Art, wie wir auf bestimmte Fragen reagieren, geben unseren Kindern Informationen zu bestimmten Themen.
Reagieren wir also mit einem „Psst, sowas fragt man nicht!“, oder versuchen das Thema anderweitig zu beenden, so vermitteln wir Kindern im Zweifel, dass wir über dunkle Hautfarbe nicht sprechen (wollen). Daran anschließend ist die Schlussfolgerung nicht abwegig, dass damit (der Hautfarbe) wohl etwas nicht stimmt oder stimmen kann. Dabei ist die Antwort auf diese Frage sehr einfach: Menschen haben mehr oder weniger Melanin im Körper. Dies bestimmt, wie dunkel oder hell ihre Haut, Augen und Haare sind.
Die eigene Unsicherheit in Bezug auf das Thema Rassismus lässt Eltern stocken oder unsicher reagieren. Zusätzlich sollten wir Kindern natürlich auch vermitteln, dass es für andere Menschen unangenehm sein kann, wenn wir mit dem Finger auf sie zeigen und über sie sprechen. Es geht darum, das Thema zu entemotionalisieren und den Kindern Fakten über die Unterschiedlichkeit von Menschen zu erklären. Ein Kind, das schon weiß, dass es Melanin gibt oder Menschen kleinwüchsig sein können oder Menschen aus unterschiedlichen Gründen Kopfbedeckungen tragen, wird im Zweifel nicht fragend mit dem Finger auf diese Menschen zeigen.
Was aber, wenn im eigenen Umfeld wenig Vielfalt repräsentiert ist und das Kind selten auf unterschiedliche Menschen trifft? Hier empfehlen wir, als Hilfsmittel vielfältige Kinderbücher auszuwählen. Es geht dabei nicht darum ein Kinderbuch über Rassismus zu wählen, sondern bei jedem beliebigen Kinderbuchthema eines auszuwählen, in dem unterschiedliche Menschen dargestellt sind und ganz verschiedene Rollen übernehmen beziehungsweise Aufgaben erledigen. Es kann zum Beispiel ein Wimmelbuch über den Kindergarten sein, in dem Kinder mit unterschiedlicher Hautfarbe, mit oder ohne Behinderung, dicke und dünne Kinder gezeigt werden. Ein solches Buch kann insbesondere bei kleinen Kindern sehr gut als Gesprächseinstieg genutzt werden. Zunächst lässt sich so gemeinsam die Vielfalt der unterschiedlichen Menschen entdecken. In einem zweiten Schritt können wir ein Kind fragen, ob es weiß, dass Kinder manchmal wegen ihrer dunklen Hautfarbe geärgert oder ausgeschlossen werden und ob das Kind so etwas schon einmal mitbekommen hat oder ob es ihm oder ihr selbst passiert ist.
Kinder reagieren daraufhin oft empört, weil ein solches Verhalten absolut gegen ihren Gerechtigkeitssinn verstößt. Hier lassen sich gemeinsam kreative Lösungen finden, wie in einer solchen Situation vorgegangen werden kann. Die Kinder werden so für Alltagsrassismus sensibilisiert und können in entsprechenden Situationen reagieren. Sie entwickeln Handlungskompetenzen.
Auch wenn wir insbesondere mit jüngeren Kindern einfache Sprache verwenden und von „ärgern“ und „nicht Mitspielen lassen“ sprechen, ist es wichtig, das Wort Rassismus zu benutzen. Ein Kind wird zunächst natürlich nicht die Komplexität des Themas verstehen. Aber es wird über die Zeit mit immer mehr Informationen, die es diesem einen Begriff zuordnen kann, ein sehr klares Bild davon bekommen, was Rassismus ist. Das ist die Grundvoraussetzung: Rassismus zu erkennen, um dann auch antirassistisch handeln zu können.
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