Debatte

Warum dürfen wir uns auf die Zukunft freuen, Herr Dettling?

Von 
Daniel Dettling
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Eine bessere Zukunft ist möglich. So wird es uns etwa gelingen, die Wirtschaft bis 2050 klimaneutral zu machen – davon ist Zukunftsforscher Daniel Dettling überzeugt. © Istock

Wir leben in einer Epoche der Krisen. Die gegenwärtige Pandemie ist dabei nur ein Ereignis. Weitere Krisen können folgen oder sind bereits im Anmarsch: der Klimawandel mit den verbundenen Szenarien von Dürre, Wasserknappheit, Unwetter, Überschwemmungen und Ernteausfällen. Terroranschläge mit Biowaffen und Cyberkriege. Massenmigration oder eine neue Finanzkrise.

Noch nie haben die Menschen mehr Zeit, mehr Bildung, eine bessere Gesundheit und höhere Einkommen gehabt.

Wer in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufgewachsen ist, müsste als 40- oder 50-Jähriger heute längst tot sein. Nukleares Wettrüsten, Waldsterben, Tschernobyl, AIDS - die Prognosen für unsere heutige Zeit ließen nur das Allerschlimmste zu. Es sei unverantwortlich, in diese Welt noch Kinder zu setzen, hörte die junge Generation damals von Lehrern, Politikern und den eigenen Eltern. Die Geburtenrate sank danach tatsächlich, die große Katastrophe blieb jedoch aus.

Umfragen und Studien kommen heute zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die allermeisten Deutschen sehen ihr eigenes Leben als gut und bezeichnen sich selbst als glücklich, für die generelle und gemeinsame Zukunft sehen sie dagegen schwarz. Bestätigt hat diesen Befund eine Studie des Rheingold-Instituts im Oktober. Fast zwei Drittel der Deutschen (61 Prozent) sagen, dass Deutschland vor einem Niedergang stehe.

Die frühere Vision des technologischen Fortschritts steht heute nicht mehr für sozialen Aufstieg und eine bessere Welt. Stattdessen dominiert die Angst vor der Zukunft. Viel Arbeit für die selbst ernannte „Fortschrittskoalition“ aus SPD, Grünen und FDP. Fast 90 Prozent der in der Rheingold-Studie Befragten fürchten drastische Veränderungen durch Krisen wie Corona und den Klimawandel. Drei Viertel (76 Prozent) sind der Ansicht, dass „die jüngere Generation es nicht mehr so gut haben wird wie wir“.

Dabei geht es der Menschheit besser als je zuvor. Lebenserwartung, Bildung und Gesundheit - die Indikatoren des menschlichen Fortschritts haben sich global enorm verbessert. Noch nie in der Geschichte haben die Menschen mehr Zeit, mehr Bildung, eine bessere Gesundheit und höhere Einkommen gehabt.

Weltweit hat sich der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen in den letzten 20 Jahren mehr als halbiert. Fast 90 Prozent der Menschen haben Zugang zu Bildung und können lesen und schreiben. Die Mehrheit lebt heute in einer freien Demokratie mit geschützten Rechten. Selbst Terrorismus, Naturkatastrophen und Kriminalität gehen zurück. Der globale Wohlstand und damit die Chancen für immer mehr Menschen wachsen.

  • Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik (www.zukunftspolitik.de).
  • Er ist Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (degepol).
  • Sein neues Buch heißt „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von Morgen“ und ist im Kösel Verlag erschienen.

In Afrika ist die Lebenserwartung seit 1950 von 37 Jahren auf heute 65 Jahre bei Frauen gestiegen. Bis 2050 wird sie sich der europäischen Lebenserwartung angeglichen haben. Für die zweite Hälfte des Jahrhunderts wird der Höhepunkt des Bevölkerungswachstums erwartet. Danach wächst die Weltbevölkerung nicht mehr, sondern sie sinkt.

„Überbevölkerung“ ist ein aussterbender Begriff, der uns keine Angst mehr machen muss. Der Grund für diese Entwicklung: Immer mehr Frauen haben Zugang zu Bildung und können ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten.

Die Menschheit hat ihre beste Zeit nicht hinter, sondern vor sich. Aus den beschriebenen Trends werden fünf Prognosen.

Erstens: Wir werden zwar älter, bleiben aber kreativ und innovativ. Erstmals in der Geschichte der Menschheit wird das globale Bevölkerungswachstum in diesem Jahrhundert seinen Höhepunkt (Peak) überschreiten. Sobald die Lebensqualität einer Gesellschaft steigt, nimmt die Geburtenrate ab. Die Begriffe „Überalterung“ und „Überbevölkerung“ sterben aus.

Immer mehr 70- bis 80-Jährige üben Spitzenfunktionen aus. Treiber der demografischen Entwicklung sind der medizinische Fortschritt, die gestiegene Lebenserwartung und ein globaler Wertewandel, der das Thema Lebensqualität in den Mittelpunkt stellt. Afrika wird in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts China als demografisch stärksten Kontinent ablösen. Nach Schätzungen des IWF wird das Bruttosozialprodukt Afrikas Ende des Jahrhunderts höher sein als das des Euroraums.

„Überbevölkerung“ ist ein aussterbender Begriff, der uns keine Angst mehr machen muss.

Zweitens wird die Welt friedlicher. Wir leben heute in der friedlichsten Welt aller Zeiten. Erstmals seit 2013 sind die Konflikte auf der Welt weniger geworden. Aus fernen Ländern werden Nachbarn, aus fremden Gesellschaften werden Netzwerke, die voneinander abhängen. Kriege wie zuletzt im Irak und in Afghanistan wird es nicht mehr geben. Europa hat die Chance, zur globalen Friedensmacht zu werden. Auf dem europäischen Kontinent befinden sich 17 der 25 friedlichsten Länder weltweit.

Drittens: Eine globale Mittelschicht entsteht, die wohlhabender sein wird als alle Generationen zuvor. Zum ersten Mal seit der Ersten Industriellen Revolution gehört mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung zur Mittelschicht. Bis 2050 werden 60 Prozent der Mittelschichten außerhalb der westlichen Welt leben. Eine Welt ohne extreme Armut und Hunger ist damit möglicher denn je. Gesellschaften, die offen sind für Migration, profitieren mehr als geschlossene Gesellschaften.

Viertens: Bis 2030 werden wir den „Carbon Peak“, den Höhepunkt des globalen CO2-Ausstoßes, erreichen. Es wird uns gelingen, die Wirtschaft weltweit bis 2050 klimaneutral zu machen. Wir werden mit erneuerbarer und grüner Energie so viel fliegen und Autofahren können, wie wir wollen. Die Kreislaufwirtschaft ersetzt bis 2050 die lineare Verschwendungswirtschaft. Ein globaler Zukunftsmarkt entsteht mit globalen Klimainvestitionen von ein bis zwei Billionen Euro jährlich.

Der neue grüne Kapitalismus kann nicht nur eine bessere Welt schaffen, sondern uns auch wohlhabender machen und dafür sorgen, dass es gerechter zugeht als im alten Kapitalismus. Es geht um Gewinne und Jobs. Mutige Maßnahmen für den Klimaschutz erhöhen die globalen Unternehmensgewinne um 26 Billionen US-Dollar jährlich und könnten in den nächsten zwölf Jahren 65 Millionen neue Jobs weltweit schaffen.

Europa hat die Chance, zur globalen Friedensmacht zu werden.

Das Wachstum an Einkommen würde die Mehrausgaben für Investitionen bei weitem übertreffen. Der UN-Klimarat schätzt die gesamten negativen Auswirkungen des Klimawandels bis 2070 auf 0,2 bis zwei Prozent des Einkommens pro Person weltweit und geht davon aus, dass im Durchschnitt jeder Mensch auf der Welt bis 2070 um 356 Prozent reicher sein wird als heute.

Bleibt fünftens die Zukunft der Demokratie. Laut dem Demokratieindex 2020 des britischen Wirtschaftsmagazins „Economist“ hat sich der globale Index mit Ausbruch der Corona-Pandemie verschlechtert. Nur etwa die Hälfte der Menschheit lebt heute in einer Demokratie. Viele Zahlen und Trends sprechen jedoch für mehr Demokratie weltweit. Bereits der Begründer der Aufklärung, Immanuel Kant, prognostizierte vor 250 Jahren, dass Demokratien keine Kriege untereinander führen, weil sie die Freiheit zur Entscheidung ihren Bürgern und nicht Despoten überlassen.

Umfragen zufolge sind in fast allen Regionen der Welt emanzipative Werte wie Gleichberechtigung der Geschlechter, persönliche Entscheidungsfreiheit, Meinungsfreiheit und politische Mitwirkungsrechte auf dem Vormarsch. Demokratie und Freiheit tragen zum weltweiten Wohlstand stärker bei als autoritäre Systeme. In Ländern, in denen Frieden herrscht, ist das Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum zwischen 1945 und 2005 dreimal höher ausgefallen als in jenen, in denen dies nicht der Fall war. Mehr als die Hälfte der freien Demokratien lebt in Europa.

Liberale Systeme sind, das zeigen Patentanmeldungen und Erfindungen wie Impfstoffe gegen Corona, lernfähiger und innovativer als autoritäre Systeme und Diktaturen.

Für den beschriebenen Wandel zum Besseren braucht es „vier Reiter des Optimisten“, auf die auch Andrew McAfee in seinem Buch „Mehr aus weniger“ setzt: ein akzeptiertes Leitbild, technologischer Fortschritt, Marktwirtschaft und bürgernahes Regieren. Für die Zukunft nach der Pandemie werden wir alle vier Reiter brauchen im Kampf gegen Hunger, Kriege, Klimawandel, Hass und Populismus. Wir können aus weniger Armut, Hunger und Klimazerstörung mehr Wohlstand, Frieden und Freiheit für alle Generationen auf der Welt machen.

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