Zeitreise

Warum der Straße in Germersheim ein Museum gewidmet wird

Vom Trampelpfad zur Autobahn - das ist das Motto des Deutschen Straßenmuseums in Germersheim. Es ist europaweit einzigartig und befasst sich mit der Geschichte und dem Bau von Straßen.

Von 
Peter W. Ragge
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Blickfang vor historischem Gebäude: Dreiradwalze von 1955 vor dem Zeughaus der Festung Germersheim, in dem das Deutsche Straßenmuseum untergebracht ist. © Deutsches Straßenmuseum

Ein Arzt ist schuld. Dem Schweizer Mediziner Ernest Guglielminetti reicht es, dass auf der Straße vor seiner Praxis in Monaco immer so viel Staub aufgewirbelt wird. Also holt er 1902 Teer aus der Apotheke, erhitzt ihn und bedeckt damit die Straße. „Dr. Goudron“ (Doktor Teer) hat man ihn daraufhin mit Spitznamen genannt, „und so fing es an, dass man Straßen teerte“, erklärt Jürgen Menge, Vorsitzender des Deutschen Straßenmuseums. „Heute gilt Teer als krebserregend, man verwendet Bitumen als Bindemittel, ein Abfallprodukt der Erdölindustrie“, sagt Menge. Die ganze Geschichte, die Technik, das Gerät, die Arbeitsweisen – das alles zeigt er in dem Germersheimer Museum. „Vom Trampelpfad zur Autobahn“ lautet das Motto.

„Alle benutzen Straßen, aber kaum einer weiß, was dahintersteckt“, so Menge. Dabei handele es sich um eine „besondere Kulturgeschichte“ rund um die Fortbewegung über Jahrtausende hinweg, der man sich hier widme. Und während es einige Verkehrsmuseen gebe, sei die Einrichtung in Germersheim „europaweit das einzige Museum, das sich umfassend mit der kultur- und technikgeschichtlichen Bedeutung der Straße beschäftigt, die ja von allen genutzt wird - als Fußgänger, Autofahrer, mit dem Rad“, so Menge, der früher Referatsleiter im rheinland-pfälzischen Verkehrsministerium war und nun ehrenamtlich den Trägerverein führt.

„Erst die geistigen Leistungen der Ingenieurwissenschaft und der tüftelnden Menschen haben Erfindungen und Entdeckungen hervorgebracht, die uns heute so mobil machen“, betont er. Das wolle man zeigen und„einen etwas anderen Blick auf die Straße“ ermöglichen.

Alte Festung bietet tollen Rahmen

Die Idee zu dem Museum ist in den 1970er Jahren entstanden. 1989 wird von Vertretern der Verwaltung, der Wissenschaft und der Bauwirtschaft der Trägerverein gegründet, 1990 mit Hilfe staatlicher Zuschüsse und vieler Sponsoren der erste Teilbereich des Museums eröffnet. Aus Anfangs 800 Quadratmeter sind inzwischen 5000 Quadratmeter mit über 2000 Exponaten geworden.

Präsentiert werden sie an einem besonderen Ort: im Zeughaus der Festung Landau, 1834 bis 1861 von den – damals die Pfalz beherrschenden – Bayern gegen die Franzosen errichtet und ab 1920 bis auf die Stadttore und wenige Gebäude geschleift. „Ein fantastischer Ort“, schwärmt Menge mit Recht von den Gewölben des alten Materialdepots, wo nun die Geschichte des Straßenbaus dargestellt wird.

Die dicke, schwarze Masse wird im Fass erhitzt und dann auf die Straße gespritzt: Asphaltmaschine von 1925. © Deutsches Straßenmuseum

Zweifel, dass dies ein Museum wert sein könnte, zerstreut Menge sofort - nicht nur mit vielen spannenden Exponaten, sondern auch mit Argumenten. Straßen seien immerhin „unverzichtbarer Bestandteil jeder Volkswirtschaft“, für den Austausch von Gütern ebenso unverzichtbar wie für die Fortbewegung der Menschen. Sie seien „nicht nur wesentlicher Bestandteil unseres Lebens, sondern Lebensraum“, betont der Vorsitzende, und gingen zurück bis zur Antike.

Das erste Museumsexponat ist ein einfaches hölzernes Wagenrad. „Um 3500 vor Christus erfunden, war es die Voraussetzung für jede Fortbewegung außer zu Fuß“, hebt Menge hervor. Steinhaufen dienen als erste Wegweiser. Ein alter römischer Meilenstein mit lateinischer Inschrift sowie Angabe der Entfernung nach Speyer, datiert um das Jahr 307/308 n. Chr. und an wichtigen Passagen in regelmäßigen Abständen von 1,5 Kilometern (römische Meile) aufgestellt, steht für das einst umfassende römische Straßennetz. Entdeckt worden ist er 1824 durch einen Holzfäller im Bienwald.

„Bereits im römischen Reich gab es unter Kaiser Augustus ein europaweit verzweigtes, strukturiertes Straßennetz“, hebt Menge hervor. Damit seien Fernreisen in Tagesetappen planbar gewesen, zudem habe es den Römern militärisch ermöglicht, sich auszubreiten und ihr großes Reich auch zu beherrschen. Gerade Speyer stellt einst einen wichtigen Knotenpunkt an der linksrheinischen Römerstraße von Basel nach Köln über Mainz dar.

Hitler und die Legende von den Autobahnen

Aber mit dem Untergang des Römischen Reiches ist das vorbei. „Im Mittelalter ist dieses Netz nicht mehr gepflegt worden und nach und nach verschwunden“, bedauert Menge. Auch schon von den Römern, in anderen Völkern aber nicht praktizierte Techniken gehen verloren. Das zeigt ein alter germanischer Bohlenweg von um 800 v. Chr., in einem Moor bei Osnabrück gut erhalten und 1982 ausgegraben.

Über Jahrhunderte hinweg sind es dann wirklich nur Trampelpfade oder Furchen, auf denen sich die Menschen fortbewegen. „Und wenn eine Furche kaputt war, hat man halt zehn Meter weiter versucht, weiterzukommen – Straßenbau hat keine Rolle gespielt“, erläutert Menge. Erst ab dem Spätmittelalter werden vereinzelt städtische Straßen gepflastert sowie Stein-, zumeist aber Holzbrücken errichtet. Im 17. Jahrhundert beginnen dann zwei Franzosen, der Reimser Advokat und Gelehrte Nicolas Bergier sowie Hubert Gautier aus Toulouse, anknüpfend an Römerstraßen, mit dem Bau von Verkehrswegen.

So hat man früher Tunnel gebaut: Modell in Originalgröße im Straßenmuseum. © Deutsches Straßenmuseum

Weitere Impulse gehen Anfang des 19. Jahrhunderts vom schottischen Ingenieur John MacAdam aus. Sein – falsch ausgesprochener – Name „Makadam“ steht für einen Wegebau aus drei Lagen Schotter, wobei die Körnungen von unten nach oben immer feiner und mit Walzen sowie Zugabe von Wasser verdichtet werden. „Das backt dann richtig zusammen“, so Menge. Die Technik sei „in Europa sehr verbreitet“ gewesen. Doch gerade die deutsche Kleinstaaterei mit unzähligen, teils winzigen Fürstentümern verhindert lange die Entstehung eines einheitlichen Straßennetzes in Deutschland bis weit ins 19. Jahrhundert, ergänzt Simon Sporenberg, der Ausstellungsleiter des Straßenmuseums.

Wie Wege angelegt, Straßen gebaut, Untergrund mühsam verdichtet und Pflaster gelegt werden - das lässt sich im Museum an vielen nachgestellten Szenen, Beispielflächen und Modellen gut nachvollziehen. Und man sieht auch, wie nach der aufwendigen Handarbeit mit einfachen erst hölzernen, dann stählernen Stampfern bis hin zu modernen Rüttelplatten die Technik Einzug hält. Das zeigt etwa eine von 1800 stammende, per Pferd gezogene Straßenwalze oder die von 1925 stammende Asphaltspritzmaschine. Der schwarze, dickflüssige Stoff ist in einem großen Fass, wird erhitzt „und unter Druck mit einer Pumpe auf die Straße gespritzt“, wie Sporenberg erläutert.

Was ist besser? Heiß- oder Kaltasphalt, bald der berühmte Flüsterasphalt oder Betonbelag - da gehen unter Straßenbauern die Meinungen teils bis heute, auseinander. „Entscheidend ist die Griffigkeit, da gibt es klare Definitionen“, stellt Menge fest. Wie per Bohrkern ebenso wie mit Laboranalysen die Qualität eines Straßenbelags getestet wird oder das Recycling erfolgt, zeigt die Ausstellung ebenso.

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Ausführlich widmet sich das Museum dem Autobahnbau. Pioniere sind nämlich nicht, wie oft behauptet wird, die Deutschen. Als erste Autobahn der Welt gilt die 1924 eröffnete Strecke Mailand-Varese in Italien, immerhin 20 Kilometer lang. Zuvor ist als erste autobahnähnliche Strecke in Deutschland 1921 die AVUS in Berlin, die „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße“ als erste Straße in Europa, auf der ausschließlich Autos fahren dürfen, eröffnet worden – aber sie dient eher als Rennstrecke.

Die erste richtige deutsche Autobahn weiht Konrad Adenauer ein - in seiner Funktion als Kölner Oberbürgermeister am 6. August 1932. Knapp 20 Kilometer lang verbindet sie als A 555 Köln und Bonn. Gebaut wird sie ab 1929 mit Geldern der preußischen Rheinprovinz und auch Hilfe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Zuvor war schon 1926 der „Verein zur Vorbereitung einer Autostraße Hansestädte-Frankfurt am Main-Basel“ (Hafraba) gegründet worden, hat die geplante Trasse aber nicht - wie angedacht - privat finanzieren können.

Im Museum nimmt das bewusst einen breiten Raum ein, weil die Verantwortlichen mit einer Legende aufräumen wollen. „Es war nicht Hitler, der die Autobahnen initiiert hat“, stellt Mende klar. Und auch als der Diktator nach der Machtübernahme den Autobahnbau forciert, sind trotz der von ihm verordneten weitgehenden Handarbeit nie mehr als 124.000 Arbeiter dafür tätig - für den Abbau der Arbeitslosigkeit sorgt das Vorhaben also nicht, betont er.

Winterdienst und historische Maschinen

Ein Ausstellungsteil lässt nachvollziehen, wie die Vermessung funktioniert, wie sich die Technik der Leitplanken entwickelt hat oder wie aus den einstigen Wegeaufsehern die modernen Autobahnmeistereien geworden sind und wie deren Winterdienst abläuft. Dafür ist der Standort des Museums prädestiniert: „Rheinland-Pfalz war das erste Bundesland, das Feuchtsalz im Winterdienst eingesetzt hat“, hebt Menge hervor.

Pioniere im Tunnelbau dagegen sind die Österreicher. Einst werden die Bergdurchbrüche mit Holzstämmen gesichert, heute mit Betonhüllen - und beide Bauweisen sind in Originalgröße dargestellt. Der moderne Brückenbau lässt sich an Modellen nachvollziehen. Und eine von der Decke baumelnde viereckige „Heuer-Ampel“ von 1926 zeigt, dass einst der Verkehr auf großen Kreuzungen nur mit Hilfe von Zeigern auf einem einzigen Gerät geregelt worden ist.

Auch wenn das Straßenmuseum bewusst kein Automuseum sein will - auf ein Exponat ist Menge dann doch besonders stolz: Einen Opel von 1924, „das erste vom Band gelaufene Auto Deutschlands“, wie er erklärt. Gleich daneben steht eine echte Dampfwalze von 1925. Viele weitere imposante Großgeräte wie Straßenwalzen, Raupenfertiger, ein kompletter Walzenzug oder ein historischer Betonzertrümmerer finden sich im hinteren Außengelände, während vor dem Eingang ein Straßenfertiger von 1965 und eine Radwalze von 1955 die Besucher begrüßen. Bei vielen dieser Exponate ebenso wie in einigen neu eingerichteten Räumen zeigt sich die Unterstützung, die berühmte Hersteller solcher Spezialfahrzeuge – Vögele und die Wirtgen-Gruppe - dem Museum gewährt.

Menge will aber noch mehr. Er wolle das Museum „auf einen neuen Level heben“, kündigt er an – und erste Schritte sind schon sichtbar. Mit Simon Sporenberg, der seine Ausbildung bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg absolvierte, ist ein professioneller Ausstellungsleiter gefunden worden. Das Thema Straße habe „Riesenpotenzial“, ist er überzeugt. Mit Hilfe von EU- und Landesmitteln läuft eine Modernisierung der Ausstellung, die um moderne Aspekte wie Verkehrssicherheit. Radverkehr, automatisiertes Fahren und Elektromobilität ergänzt werden soll. Zudem will Sporenberg viele Informationen moderner, zeitgemäßer, mit Mitmach- und Medienstationen vermitteln.

Redaktion Chefreporter

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