Das Geschehen kommt skurril daher. Ein Mann mit Oberlippenbart und Militärmantel erwacht 2014 auf dem Gelände eines Wohnblocks in Berlin-Mitte; in der Nähe spielen Kinder. Der Mann ist Adolf Hitler, Deutschlands Diktator von 1933 bis 1945, das Ganze eine Szene aus der Filmsatire „Er ist wieder da“ nach dem Bestseller von Timur Vermes.
So irreal der Plot, so instruktiv diese Darstellung. Sie zeigt, wo der Diktator vor 75 Jahren, am 30. April 1945, durch eigene Hand den Tod findet. Denn kaum einer weiß, wo die Stelle ist. Der Amtssitz des Mannes, der für einen Krieg mit Millionen Toten und das Menschheitsverbrechen des Holocaust verantwortlich zeichnet, ist verschwunden.
Seit dem Kaiserreich gilt der Be-reich zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz als Regierungsviertel, sein Herzstück, die Wilhelmstraße, als dessen Synonym wie in London die Downing Street. An der Ecke zur Voßstraße steht die Reichskanzlei, seit Otto von Bismarck als Sitz des Regierungschefs genutzt.
Wahn von Größe
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht erringen und ihr Führer Hitler Reichskanzler wird, zieht er hier ein. „Keine Macht der Welt wird mich jemals wieder lebend hier rausbringen“, sagt er am Abend des 30. Januar 1933, als er sich am Balkon den jubelnden Massen zeigt. Zumindest damit sollte er Recht behalten.
Das Gebäude selbst ist ihm ver-hasst, Relikt der Weimarer Demokratie, viel zu klein, eher „Repräsentanz eines Seifenkonzerns“, wie er spottet. In einer Skizze bringt er 1935 zu Papier, wie er sich einen Neubau vorstellt. Albert Speer, sein willfähriger Architekt, soll sie umsetzen.
Es wird ein Anbau an das bestehende Gebäude, aber x-mal größer. Sämtliche 18 Häuser auf dieser Seite der Voßstraße, darunter Gesandtschaften und ein Ministerium, werden abgerissen. Auch sonst ist der Aufwand immens. Ein 1:1-Modell wird errichtet, um zu sehen, wie das Ganze wirkt. Geld spielt keine Rolle. Am Ende betragen die Baukosten 90 Millionen Reichsmark, nach heutiger Kaufkraft 400 Millionen Euro. 4500 Arbeiter sind im Einsatz.
Im Januar 1938 beginnen die Arbeiten. Schon im August ist der Rohbau fertig. „Das ist kein amerikanisches Tempo, das ist deutsches Tempo“, sagt Hitler stolz. Doch er will noch mehr: Dass der Bau zu seinem Neujahrsempfang im Januar 1939 fertig ist. Die ganze Welt soll Deutschlands neue Größe hautnah spüren. Und das Gebäude dient dazu: 421 Meter lang und 22 Meter hoch, zu Stein gewordener Wahn, der Mensch wird verzwergt.
Der Mosaiksaal ist 46 Meter lang und 16 Meter hoch, die Marmorgalerie misst 146 Meter und damit doppelt so viel wie der Spiegelsaal von Versailles. Man muss 300 Meter zurücklegen, bis man ins Allerheiligste gelangt, ins Arbeitszimmer Hitlers.
Das ist 400 Quadratmeter groß und zehn Meter hoch, der riesige Teppich trägt ein Hakenkreuzmuster, das Wandgemälde zeigt die Schlacht im Teutoburger Wald. Der mannshohe Globus ist eine Sonderanfertigung, Hitlers Schreibtisch 3,5 Meter breit, mit einer Mars-Figur in der Mitte. Nie wird ein Foto Hitlers am Schreibtisch publiziert; er würde daran einfach zu klein wirken.
Überhaupt ist das Haus keine ideale Regierungszentrale. „Diese Funktion ist vernachlässigt zu Gunsten der Inszenierung“, sagt Architekturhistoriker Wolfgang Schäche. Das gilt nicht nur für Türen, vor denen Wachposten stehen und hinter denen sich nur eine Wand befindet.
Das letzte Refugium
Hitler selbst ist selten hier. Seit Beginn des Russlandfeldzuges im Juni 1941 residiert er in seinem Hauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen oder auf dem Obersalzberg. Der Krieg rückt aber näher. Die Alliierten haben bald die Lufthoheit. 1943 befiehlt Hitler, zu dem 1936 unter dem Festsaal errichteten Bunker einen neuen Schutzraum zu bauen, der als Führerbunker in die Geschichte eingeht. Acht Meter unter der Erde mit vier Meter dicker Stahlbetondecke.
Doch die Ausstattung ist spärlich. Die 23 Räume sind jeweils um die zehn Quadratmeter groß. Hier gibt es keinen Prunk, ein Bild Friedrichs des Großen ist der einzige Schmuck. Steingut-Fliesen statt Marmor – der Unterschied zu oben könnte nicht größer, kaum aussagekräftiger sein.
Als die Ostfront näher rückt, verlässt Hitler die Wolfsschanze und zieht am 16. Januar 1945 in die Reichskanzlei ein – zunächst in die Wohnräume oben. Doch als diese am 3. Februar durch amerikanische Bomber zerstört werden, wechselt er hinunter in den Führerbunker. Und wird ihn nur noch selten verlassen.
Etwa am 20. März. Im Garten nehmen Hitlerjungen Aufstellung, halbe Kinder, die sich in missbrauchtem Idealismus der Roten Armee entgegenstellen. Dafür werden sie von Hitler mit dem Eisernen Kreuz ausgestattet und an der Wange getätschelt – mit einer Hand, die zittert, wie Wochenschau-Bilder zeigen.
Unbeirrt befiehlt Hitler Tausende sinnloser Opfer. Die militärische Elite versagt. „Es hätte nur eines einzigen mutigen Generals bedurft, ihm (Hitler) einfach den Hals zuzudrücken – der Mann war ja so schwächlich“, sagt Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller: „Stattdessen haben sie vor ihm weiter Männchen gemacht.“
Am 20. April 1945 erreicht die Rote Armee den Stadtrand von Berlin. Kanonenfeuer ist zu hören, als im Bunker Hitlers 56. Geburtstag begangen wird. Als einen der Gratulanten und letzten offiziellen Besucher im Führerbunker überhaupt ver-merkt das Gästebuch den Königlich-Thailändischen Gesandten.
„Nicht in den Zoo“
Am 29. April 1945 diktiert Hitler der Sekretärin Traudl Junge sein politisches und persönliches Testament. Im Anschluss heiratet er Eva Braun, die seit 7. März ebenfalls im Bunker lebt. Am 30. April nehmen sich beide das Leben. Ihre Leichen werden im Garten mit Benzin übergossen und verbrannt. Hitler selbst hat dies befohlen; er wolle nicht „im Moskauer Zoo ausgestellt“ werden. Ein ruhmloses Ende. Die NS-Wochenschau vermeldet dennoch, der Führer sei „bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend gefallen“. Lügen über Lügen bis zum Schluss.
Tags darauf nehmen sich hier Propagandaminister Joseph Goebbels und seine Frau das Leben, nachdem diese ihre sechs Kinder vergiftet hat oder hat vergiften lassen; klar ist das nicht. Bald darauf das Ende: Die Wehrmacht kapituliert.
Die Sowjets besetzen die Reichskanzlei, deren Mauern erstaunlich intakt sind. Im Vorfeld der Alliierten Konferenz im nahen Potsdam im Juli 1945 besuchen auch der britische Premier Churchill und US-Präsident Truman das Bauwerk, der sowjetische Parteichef Stalin nicht. Mag sein, dass ihm der Ort als Menetekel für Diktatoren erscheint.
Doch was tun mit dem Gebäude? Die Angst herrscht vor, eine Kultstätte zu erhalten. Schon damals gibt es Schmierereien wie „Es lebe der Führer!“ 1947 sprengen die Sowjets das Gebäude. Wo das Material landet? Es gibt viele Mythen. Die nahe U-Bahn-Station Mohrenstraße sei 1950 mit diesem roten Stein gebaut worden. Doch auch die Russische Botschaft und das Sowjetische Ehrenmal werden genannt. Die Symbolik würde passen, doch bewiesen ist nichts.
Am Bunker selbst beißen sich die Sprengtrupps die Zähne aus: Die Betondecke bleibt standhaft, neigt sich nur nach oben. Sie wird mit Erde bedeckt und gerät in Vergessenheit – erst recht, als sie nach dem Bau der Mauer 1961 in deren Schatten liegt.
Wohnungen auf Bunker
Doch 1984 beschließt die DDR, das Gelände für Wohnungsbau zu nutzen. Bei Errichtung eines Plattenbaus in der Wilhelmstraße 1988/89 werden Reste des Vorbunkers beseitigt, vom Führerbunker die Stahlbetondecke und einige Wände entfernt, die verbleibenden Hohlräume verfüllt. Bodenplatte und restliche Außenwände bleiben in der Erde.
1990 wird entlang der Ebertstraße der Bunker der SS-Fahrbereitschaft entdeckt; die Wände des acht mal 30 Meter großen Areals zeigen noch bunte, aber schaurige Gemälde mit NS-Motiven. Die Behörden beschließen, die Räume zu versiegeln.
Ansonsten ist nichts übrig. Über dem Ort, an dem Hitler sich erschießt, liegt ein Parkplatz, über dem Ehrenhof, in dem einst die Staatsgäste vorfahren, ein Kindergarten. Und an der Ecke besteht ein China-Restaurant: die „Peking-Ente“.
Informationen für Historisch Interessierte
- Teile der Ausstattung der Reichskanzlei sind im Deutschen Historischen Museum in Berlin (Schreibtisch Hitlers und sein Globus) sowie im Imperial War Museum in London (Reichsadler) zu besichtigen.
- Die Originaltestamente Hitlers liegen im amerikanischen Nationalarchiv in Washington. Sein Gebiss wird im Archiv des russischen Geheimdienstes FSB in Moskau verwahrt und wurde erst im Jahr 2000 erstmals öffentlich präsentiert.
- Kunstgegenstände aus der Reichskanzlei befinden sich in den Hauptstädten der Siegermächte, so im Kreml in Moskau (Kronleuchter) und im Pentagon in Washington (Gemälde). Gartenfiguren der Reichskanzlei wurden am 20. Mai 2015 in Bad Dürkheim entdeckt.
- Über das Leben im Bunker berichten Zeitzeugen in ihren Memoiren, so Traudl Junge, von 1942 bis zu Hitlers Tod seine Sekretärin, in ihrem Buch „Bis zur letzten Stunde“ (2002), und Rochus Misch, bis zum Ende Chef-Telefonist im Führerbunker, in seinem Buch „Der letzte Zeuge“ (2008).
- Die Fernsehdoku aus der Reihe „Geheimnisvolle Orte“ zeigt eine Computerrekonstruktion der Reichskanzlei. Von der 45-minütigen Sendung gibt es eine CD im Handel.
- Der Spielfilm „Deutschland im Jahre Null“ von Roberto Rosselini aus dem Jahre 1947 zeigt die Reichskanzlei im damaligen Zustand.
- Den letzten Tagen im Führerbunker widmet sich der Spielfilm „Der Untergang“ aus dem Jahre 2004. Gemäß Plänen des Vereins Berliner Unterwelten e. V. wurde dafür der Bunker in den Bavaria-Studios München im Maßstab 1:1 nachgebaut. Dies macht den Film ebenso sehenswert wie die darstellerische Leistung von Bruno Ganz in der Rolle Hitlers. -tin
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