Mannheim. Es ist viel Schnee gefallen in diesem Winter. Also ziehen am 4. Februar 1839 Offiziere der Mannheimer Garnison auf 18 Schlitten durch die Straßen. Zwei Regimentskapellen sorgen für die passende Musik. Das gefällt den Mannheimern, also wiederholt der Adel am nächsten Tag das Spektakel und am Tag danach wagt sich die Bürgerschaft an eine bunte Schlittenpartie in den Straßen der Stadt. Diese Schilderungen in der Stadtchronik sind die allererste Erwähnung eines Fasnachtszuges in Mannheim – und damit nur zwei Jahre später als in Mainz, wo 1837 mit dem „Krähwinkler Landsturm“ der erste Umzug stattfindet.
Karnevalistisches Treiben gibt es schon vorher. Bereits Kurfürst Carl Theodor schätzt Maskenbälle im Schloss, an denen teilweise auch die Bürgerschaft teilnehmen darf. Nach dem Wegzug des kurfürstlichen Hofes 1778 richtet das Nationaltheater Kostüm- und Maskenbälle für die Bevölkerung aus. In Wirtshäusern wird ebenso gefeiert und getanzt – aber nur in den Räumen. Das „Lärmen der Masken, das Musizieren auf den Straßen und das Herumlaufen der Masken bey hellem Tage“ ist laut Polizeiverordnung von 1807 verboten und wird mit „24-stündigem Gefängnis“ bestraft.
Aber der Trend zum Feiern unter freiem Himmel, wohl über die Schiffer aus dem Rheinland kommend, ist nicht aufzuhalten. Schließlich sind seit 1835, durch den Beitritt Badens zum Deutschen Zollverein, Grenzen gefallen. Schifffahrt, Handel und Wirtschaft erleben dadurch einen großen Aufschwung. Als die Bürger am 6. Februar 1839 mit Schlitten „allerlei Allotria“ treiben, so damalige Aufzeichnungen, haben sie etwas Besonderes dabei: Acht Pferde ziehen den Nachbau eines Schiffs auf Kufen, „Narrenschiff“ genannt. Und an den Straßenrändern wird „Narrenschiff Ahoi!“ gerufen – der erste Beleg für den bis heute üblichen närrischen Schlachtruf.
Am 9. Februar 1839 gründet Franz von Davans mit 34 Jugendfreunden die „Räuberhöhle“, eine der ältesten bis heute bestehenden bürgerschaftlichen Vereinigungen der Stadt. Ihre Gründung ist schon geprägt vom bürgerlichen Selbstbewusstsein und der liberalen Aufbruchstimmung im Vorfeld der 1848er-Revolution. Ein Karnevalsverein ist die „Räuberhöhle“ keinesfalls – aber ein entscheidender Kristallisationspunkt der Mannheimer Gesellschaft, von deren Mitgliedern viele Initiativen ausgehen.
„Räuberhöhle“ stellt Geschichte der Jagd dar
So initiiert die „Räuberhöhle“ am 1. März 1840 auch den ersten Mannheimer Maskenzug. Er startet mittags um 12 Uhr im Ehrenhof des Schlosses durch die Breite Straße und die Planken. „St. Hubertus und seine Gesellen“ lautet das Motto, und er ist zeitgenössischen Überlieferungen zufolge dank der Arbeit von Kunstmaler Erich Fröhlich äußerst kunstvoll gestaltet. So zeigen Kostüme die unterschiedlichen Epochen, beginnend bei den Nibelungen, an.
Das „Mannheimer Journal“ schildert, dass zwei Herolde zu Pferd und zwei Herolde zu Fuß den Zug anführen. Darauf folgt der Schutzpatron der Jagd, Sankt Hubertus, zu Pferd, umgeben mit bunten Fahnen sowie einer Schar Trompeter mit Pauken. Nibelungen werden auf der Jagd im Spessart dargestellt, Kaiser Maximilian mit Gefolge. Die Epoche des Dreißigjährigen Krieges ist ebenso Thema wie die herzogliche Parforcejagd und der „Jäger aus Kurpfalz“ aus der Kurfürstenzeit. Dessen Wagen wird sogar sechsspännig gezogen. Die Akteure in den Kostümen sind angesehene Bürger – Kaufleute, Bankiers, Partikuliere, Offiziere.
„Die fünfte Abteilung, die Größte, die moderne Jagd, zeichnete sich ebenfalls in ihrer Art durch Echtheit der Kostüme und Nonchalance aus. Der Zug schloss ab (...) mit einem großen Wagen mit einem Naturalienkabinett, Wild, Obst, Wein, Gemüse und Blumen“, schreibt das „Mannheimer Journal“. In den Straßen habe sich eine „ungeheure Menschenmasse“ gedrängt, und doch sei „nicht das mindeste Störende vorgefallen“, so der Bericht.
Aktuelle Fasnachts-Termine
Termin: Der 70. Gemeinsame Fasnachtszug der Städte Mannheim und Ludwigshafen startet am Fasnachtssonntag, 2. März um 13.31 Uhr am Stadthaus N 1 in Mannheim.
Umfang: 2500 Teilnehmer - Wagen, Musikzüge, Garden und Fußgruppen – mit 70 Zugnummern von beiden Seiten des Rheins sind angemeldet. „Mol hiwwe, mol driwwe, ihr Leit, schaut her, in dem Joahr widda Monnem, des freut uns doch sehr!“ lautet das Motto.
Zugstrecke: 3,5 Kilometer wird die Zugstrecke sein. Die Route beginnt wie bisher am Schloss, geht über N 1 zum Paradeplatz, führt aber dann gleich über die Planken – und damit vorbei an den Ständen vom Fasnachtsmarkt – zum Wasserturm, um den Friedrichsplatz herum und zurück durch die Fressgasse vorbei am Quartier Q 6/Q 7 bis zum Rathaus E 5, wo sich der Zug auflöst.
Sprecherstationen: Paradeplatz Jürgen Schreiweis, Planken P 5 Hans-Joachim Bender und Werner Barth, Rosengarten Dieter Augstein, Q 6/Q 7 Miriam Frank und Matthias Baier.
Fasnachtsmarkt: Bis 4. März steigt der große Fasnachtsmarkt. Rund 60 Schausteller sind rund um den Wasserturm, entlang der Planken und am Paradeplatz dabei. Am Samstag, 1. März ziehen das Prinzenpaar und zahlreiche Fasnachter im Anschluss an die traditionelle Närrische Bootsfahrt der Karnevalkommission von der Kurpfalzbrücke bis zum Wasserturm. Auf Höhe Münzstraße wird es in den Planken eine kleine Bühne geben, von der aus das Stadtprinzenpaar die Bürger begrüßt. Am Dienstag, 4. März findet die traditionelle Straßenfasnacht statt. Vom Wasserturm entlang der Fußgängerzone Planken, in der „Münzstraße“ zwischen P 6 und P 7 bis zum Paradeplatz wird viel geboten. Höhepunkte sind unter anderem die verschiedenen Musikbühnen, etwa die Feuerio-Bühne in P 7, die Peter-Schneider-Musikbühne in P 6/P 7, die Havana-Bühne in P 6, die DJ-Dream-Bühne in O 4/O 5 sowie die Kübler & Schüßler Gastro-Bühne am Paradeplatz. Auf der DJ-Dream-Bühne treten von 14.11 bis 22 Uhr internationale DJs mit elektronischer Musik auf. Initiator und Organisator ist der Vorsitzende des Mannheimer Schaustellerverbands, Stephan Schuster, der unter dem Label „Sound of Planet“ in Kooperation mit der VTM internationale DJs auf die Bühne in Mannheim bringt. pwr
„So verschiedenartig auch die Meinungen seyn mögen, welchem Zeitabschnitte der Jägerei in der Darstellung der Vorzüge einzuräumen sey, so herrscht doch darüber nur eine Stimme, daß das Ganze mit Pracht, Geschmack und charakteristischer Treue durchgeführt worden ist“, schließt der Bericht, dankt für „edlen Eifer und unermüdete Ausdauer“ und hofft, dass so „ein Karnevalsfest begründet“ worden sei, welches jedes Jahr „in steigender Potenz“ wiederkehren solle. Tatsächlich wird dieser Umzug „mit so großem Beifall aufgenommen“, so das „Mannheimer Journal“, dass er am Tag darauf wiederholt werden muss. Es ist der Rosenmontag, und daher endet der Umzug diesmal vor dem Theater im Quadrat B 3, wo weiter gefeiert wird.
In seinen „Denkwürdigkeiten“ gibt Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, deutscher Reichskanzler 1894 bis 1900, einen Brief an seine Mutter von 1840 wieder, als er in Heidelberg studiert. Darin schwärmt er vom „prachtvollen Maskenzug“: „Prächtige Kleidung, schöne Pferde, hunderte Hauptpersonen“ erwähnt er, große historische Treue und viel Aufwand.
Durch den großen Erfolg ermutigt, richtet die „Räuberhöhle“ 1841 einen weiteren großen Maskenzug aus. Diesmal lautet das Motto „Hochzeit Friedrichs II. mit Isabella von England“, die 1235 im Wormser Dom stattgefunden hatte. Davon sind nicht so viele Details überliefert, aber dass es sich um 30 Zugnummern und glanzvolle, stilechte Kostüme gehandelt haben soll und „erste Kreise der Gesellschaft“ mitgewirkt haben. Erstmals werden ein Prinz Karneval und ein Till Eulenspiegel als Teilnehmer erwähnt. Die Presse jubelt, dass „wie in Cöln und Mainz“ auch in Mannheim „Held Carneval“ gehuldigt werde. Und als ein Teilnehmer wird Friedrich Hecker erwähnt, Rechtsanwalt, Mitglied der „Räuberhöhle“ und 1848 einer der führenden Köpfe der badischen Revolution.
In der 1907 erschienenen Stadtgeschichte von Friedrich Walter werden weitere, kleinere Fasnachtsumzüge in 1841 und 1842 erwähnt. Sie gehen auf die Karnevalsgesellschaften „Wallhalla“ und „Narrhalla“ zurück, die seinerzeit in der Oberstadt (südlich der Planken) und der Unterstadt (nördlich der Planken) agieren. Durch die Revolutionsjahre 1848/49 kommt das närrische Treiben indes zum Erliegen. 1859 ist davon die Rede, dass der gemeinsame Maskenumzug der „Narrhalla“, der „Wallhalla“ sowie der „Extra- und Zipfel-Narren“ unter dem Motto „Einigkeit macht stark“ unter viel Beifall gar drei Mal durch die Stadt marschiert, ehe er bei einem Maskenball im Nationaltheater endet.
1860 bis 1865 sind kleinere Umzüge der „Narrhalla“ und der „Sacknarren“ belegt, ehe durch dieKriege (1866 Preußen gegen Österreich, 1870/71 Deutschland gegen Frankreich) keinem zum Lachen zumute ist. Danach sind es die „Extra-Narren“, die mit den Gesangvereinen Liederhalle, Harmonie, Flora und Sängerhalle einige Jahre Fasnachtsumzüge in den Quadraten veranstalten.
In Feudenheim, damals noch selbstständig, gründet sich 1888 im Gasthaus „Zum Ochsen“ die Karnevalsgesellschaft „Heiterkeit“. Außer Sitzungen im „Schwanen“ ziehen auch die Feudenheimer Narren durch den Ort. Doch all diese früheren Mannheimer Karnevalsvereine existieren nicht mehr, und auch die Umzüge schrumpfen den – teils ohnehin nur sehr spärlichen - Überlieferungen zufolge, bis 1893 nur noch von einer kleinen Kappenfahrt die Rede ist.
„Sehenswürdigkeit ersten Ranges“
Das ändert sich 1897/98. Ein Stammtisch im „Habereckl“ in Q 4 wird Keimzelle für den Feuerio, die bis heute noch existierende größte und älteste Karnevalsgesellschaft Mannheims. Bereits am 20. Februar 1898 fährt das „närrische Comitee“ bei einer „Kappenfahrt mit 20 Chaisen“ (Kutschen) durch die Quadrate, erst am 3. März 1898 formiert sich aus dem noch losen Stammtisch und dem „Comitee“ der erste Elferrat unter dem Namen Feuerio.
Der eigentliche erste Fasnachtszug des Feuerio erfolgt 1899, als der Verein mit Heinrich I. (Heinrich Weinrich) erstmals einen Fasnachtsprinzen kürt – was er bis heute tut. 1899 wird auch die Kleppergarde ins Leben gerufen mit Kindern aus Waisenhäusern, denen man einen schönen Tag machen will und sie deshalb zum Umzug in bunte Fransenkostüme steckt.
Bis zum Ersten Weltkrieg zeichnet dann der Feuerio für die Umzüge, die Jahr für Jahr größer werden, verantwortlich. Ab 1907 wirkt die „Große Karneval-Gesellschaft Neckarvorstadt“ mit. Gerade der 1914 soll „eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges“ gewesen sein, so zeitgenössische Berichte. Doch dann ist Krieg, und erst 1928 geht es weiter – mit einem prächtigen Maskenzug zum 30-jährigen Bestehen des Feuerio, an dem sich zahlreiche andere Vereine und Betriebe sowie zum ersten Mal der Ludwigshafener Verein „Rheinschanze“ beteiligen, 1929 dann Artisten vom Zirkus Knie. 1929 übernimmt der Verkehrsverein die Organisation, 1933 erfolgt durch die Nazis die Gleichschaltung der Narren. 1935 wird erwähnt, dass der Umzug erstmals hundert Gruppen umfasst. Der Zweite Weltkrieg beendet aber das närrische Treiben.
Die Pause ist lange, denn erst 1951 formiert sich wieder ein Fasnachtszug. Es ist das Geburtsjahr der Tradition „emol hiwwe, emol driwwe“. Zum Jubiläum „111 Jahre Mannheimer Fasnachtszug“ gibt es erstmals eine Gemeinschaftsveranstaltung mit den Ludwigshafener Fasnachtern. Zur Organisation wird, angeregt vom Verkehrsverein und zunächst unter seinem Dach, die Karnevalskommission Mannheim als Dachorganisation gegründet.
100 000 Zuschauer kommen zur Premiere in den Quadraten, gar 200 000 im Jahr darauf in Ludwigshafen. 1960 wird mit 142 Zugnummern ein Rekord erreicht. Ab 1963 einigen sich die Fasnachter beider Städte, den Zug nicht mehr ausufern zu lassen und sich auf maximal 111 Nummern zu beschränken. Immer mal wieder fällt der Umzug auch aus – 1962 wegen des Mauerbaus in Berlin, eines Grubenunglücks in Völklingen und der Flutkatastrophe in Norddeutschland, ebenso wegen des ersten Golfkriegs 1991 und dann wegen der Corona-Pandemie.
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