Die Burg der Mönche

Sie thront weithin sichtbar majestätisch auf einem Bergsporn hoch über dem Kochertal bei Schwäbisch Hall: die Großcomburg. Ihre einzigartigen, über 900 Jahre alten Kunstschätze machen sie weltberühmt. Trotz der Reichtümer war der Lebenswandel in dem Kloster nicht immer korrekt.

Von 
Peter W. Ragge
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Kirchenkämpfe, ungezogene Mönche und Kleinodien, die zu den wertvollsten Kunstschätzen Baden-Württembergs zählen – die Comburg, wie sie auch genannt wird, birgt ein paar spannende Geschichten. Das ahnt man nicht, wenn man sich zu Fuß auf den Weg macht, die alte Landstraße von der ehemaligen Freien Reichsstadt Schwäbisch Hall zum Dorf Steinbach läuft. Hoch droben erhebt sich ein trutziger Bau.

Erste Vorboten sind schon in der Landschaft zu entdecken – zahlreiche Heiligenfiguren sowie die Reste von undurchdringlich eng geflochtenen Hecken, einst die äußere Umgrenzung des Territoriums. Es folgen mehrere Wachtürme. „Alle bis auf eines sind erhalten, das ist schon außergewöhnlich“, sagt Kunsthistoriker Ulrich Knapp, der sich schon im Studium mit der Großcomburg befasste und für ein Symposium der Staatlichen Schlösser und Gärten den aktuellen Stand der Bauforschung zusammengefasst hat.

Schießscharten und Türme

„Außergewöhnlich“ oder „ungewöhnlich“ – diese Worte fallen häufig, während man mit Knapp über das markante mittelalterliche Bauwerk im Kochertal spricht. „Ritterliches Idealbild der Gralsburg“ hat es schon 1907 Eugen Gradmann in einer Beschreibung der Kunstdenkmäler im damaligen Königreich Württemberg genannt. Und tatsächlich ist es ja zunächst einmal eine Burg, wohl im 10. Jahrhundert angelegt zum Schutz der nahen Saline durch die Grafen von Rothenburg.

Gleich vier Grafen dieses Stammes – Burkhard, Rugger, Emehard und Heinrich – werden dann 1078, in manchen Quellen auch 1079 als Stifter eines Benediktinerklosters genannt, das zunächst nur einen Teil der wehrhaften Festung einnimmt. Mit Schießscharten versehene Wehrtürme und – teils neun Meter hohe – Wehrmauern aus wuchtigem Bruchstein sind weitgehend erhalten, nur wenige Gebäude wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Abbruch verkauft. So fühlt man sich noch heute beim steilen Weg hinauf, wenn man die drei Tore passiert hat, mitten in der Großcomburg stehend eben eher wie in einer Burg.

„Es wirkt hier alles weniger als Kloster, vielmehr eher wie in einer Burg“, bestätigt auch Ulrich Knapp und gebraucht wieder das Wort „ungewöhnlich“: „Es ist schon ungewöhnlich, dass sich dieser Charakter der Burg nahezu vollständig erhalten hat. Es gab über die Jahrhunderte nur wenig Veränderungen.“

Begehbarer Wehrgang

Freilich seien die vielen Tore zwar geeignet gewesen, Personen- und Warenverkehr zu kontrollieren, als richtige Verteidigungsanlage dürfe man sie indes nicht betrachten. Selbst die dicksten Gemäuer „haben gegen marodierende Banden oder Räuber geholfen und hatten einen psychologisch-optisch abschreckenden Effekt“, so der Kunsthistoriker. „Wären sie wirklich heftig mit Geschützen beschossen worden, hätte sie nicht standgehalten“ – doch belagert worden ist die Großcomburg nie. Aber die Perspektive der Verteidiger kann man heute noch einnehmen – denn der Wehrgang auf der Ringmauer, die das Kloster umgibt, ist für Besucher begehbar.

„Ungewöhnlich“ sagt Knapp auch dazu, ebenso zu noch aus dem 11. Jahrhundert erhaltenen Klosterbauten. „Das ist wirklich spektakulär“, so der Kunsthistoriker, belegt eine Holzuntersuchung von Balken im ehemaligen Kapitelsaal doch gar das Jahr 1019. Als herausragend wertet er ebenso die Sechseckkapelle, offiziell Erhardskapelle. „Ein vergleichbares Stück gibt es nicht“, hebt der Kunsthistoriker hervor. Sie steht auf einer Geländestufe – ist daher von unten zweistöckig mit steiler Treppe nach oben, von der Kirche aus gesehen aber nur einstöckig.

Das markante zweistufige Dach mit seiner sehr spitzen Pagodenform, darunter ein sechseckiger Kapellenraum mit einer Säule genau im Zentrum sowie der Umgang mit romanischen Bögen gibt den Forschern aber noch heute Rätsel auf. „Eine genaue Funktion zu nennen ist schwierig, da gibt es unterschiedliche Deutungen“, so Knapp. Eine ist, dass hier einfach nur ein Übergang zwischen den zwei Ebenen der Burg geschaffen werden sollte. Als denkbar gilt eine Art Heiliggrabkapelle, wie es sie im Mittelalter oft neben Kirche gibt. Zuletzt hat sie einfach nur als Archiv gedient.

Anders die Kirche St. Nikolaus – sie ist noch heute geweiht, der kleinen katholischen Kirchengemeinde des Orts vorbehalten und wird von ihr genutzt. Dabei hat sie die Größe einer Kathedrale, errichtet direkt auf dem Fels auf dem höchsten Punkt des mehrfach terrassierten Areals. Für das Jahr 1088 ist die Weihe des weithin sichtbaren, die Wehrmauern bewusst überragenden Baus überliefert. „Es war die größte romanische Kirche Süddeutschlands in jener Zeit“, verweist Knapp auf die Länge von 65 Metern.

Prachtvoller Leuchter

Doch das heutige Gotteshaus ist ein barocker Neubau, von 1706 bis 1715 entstanden. „Trotzdem hat man viel romanische Substanz erhalten“, freut sich Knapp, insbesondere die drei steinernen Türme der mittelalterlichen Kirche. Im Langhaus prallen die Gegensätze der Stilrichtungen zwar aufeinander, aber sie stören sich dennoch nicht: da ein Lesepult aus Stein aus dem 12. Jahrhundert, dort aber der reich verzierte Hochaltar mit vier vergoldeten Statuen sowie vier ebenso üppig geschmückte Seitenaltäre.

Aber nicht nur im Barock hat man alle Kostbarkeiten aufgeboten, um Gott zu ehren. Das beweisen zwei bis heute erhaltene Zeugnisse des Mittelalters: der berühmte Radleuchter und das Antependium. Die von um die Jahre 1125/1130 stammenden Kupfertafeln zur Verkleidung des Altars zeigen das Jüngste Gericht – Christus als Weltenrichter, um ihn herum angeordnet die zwölf Apostel, alle bis hin zu den Gesichtszügen und Gewändern, Füßen und Frisuren bis in kleinste Details herausgearbeitet sowie verziert mit viel Gold, Silber, geschliffenen Steinen und farbigen Emailbändern. „Einzigartig“, fasst Ulrich Knapp da kurz zusammen. Es gilt als das älteste kupfervergoldete Antipendium in ganz Deutschland und Hauptwerk der süddeutschen Goldschmiedekunst des 12. Jahrhunderts.

Aber nicht nur am Altar glänzt es, auch über den Köpfen der Gläubigen – und genau platziert über den Stiftergräbern: der Comburger Radleuchter. „Im 11. und 12. Jahrhundert waren solche Werke weit verbreitet“, weiß Knapp. „Aber heute ist er neben denen in Hildesheim und im Aachenener Dom einer von nur noch drei Exemplaren, die es im deutschsprachigen Raum noch komplett gibt – und trotz einiger Verluste der mit Abstand am besten erhaltene Radleuchter“, hebt der Kunsthistoriker hervor und spricht von einem „riesigen Schatz“.

Riesig – das gilt schon für die Ausmaße: Er weist einen Durchmesser von fünf Metern sowie einen Umfang von 16 Metern auf, und die auf den zwei geschmiedeten Eisenringen aufgesetzten Türmchen sind bis zu einem Meter hoch.

Symbol für das Paradies

Aber hier beeindruckt nicht allein die Größe. Schließlich soll er nicht allein eine Lichtquelle und das allgegenwärtige Licht Gottes darstellen, sondern ein Symbol für das Himmlische Jerusalem, das Paradies sein. Zwölf vergoldete Kupferbleche sowie zwölf Türmchen stehen für die zwölf Apostel wie für die zwölf Stämme Israels. Da funkelt es, da strahlt es zwischen Christusdarstellungen, Heiligenfiguren, Kriegern, Engeln, lateinischen Inschriften und geometrischen sowie floralen Ornamenten – alles filigran bis in winzige Details ausgearbeitet, obwohl für die Gläubigen vom Kirchenschiff so genau gar nicht zu erkennen. Gestiftet hat ihn, wie auch eine Inschrift verrät, Abt Hartwig (1104-39), unter dem das Kloster seine größte Blüte erlebt.

Aber die währt nicht lange. Der Leuchter übersteht zwar den Bauernkrieg 1525, weil er abgenommen und in Einzelteilen in der Erde vergraben wird. Auch beim Abriss der romanischen Kirche bleibt er erhalten. In der Weihnachtsnacht 1848 reißt das tragende Seil und der Leuchter stürzt auf den Boden des Kirchenschiffs. Aber er wird saniert, auch während des Zweiten Weltkriegs ausgelagert und so geschützt.

Das Benediktinerkloster indes kann sich nicht halten. Nach dem Aussterben der Stifterfamilien kommt es oft zu Zwist, wer für den Schutz des Klosters verantwortlich zeichnet. Zunächst sind es die Staufer, nach deren Machtverlust überträgt Wittelbacher-König Ludwig der Bayer die Aufgabe 1318/1319 an die Reichsstadt Schwäbisch Hall, 150 Jahre später an den Bischof von Würzburg. Der hat aber nicht viel Freude an dem Kloster, das durch wirtschaftliche Niedergang sowie Streit zwischen Abt und Konvent von sich Reden macht.

Das verringert die Akzeptanz bei im Land – und bedeutet weniger Unterstützung. Während andere Klöster gut davon leben, dass ihnen Schenkungen gemacht werden, um – so der damalige Glaube – nach dem Tod des Stifters die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen, kann die Großcomburg kaum davon profitieren.

Dazu kommt: Die Comburger Mönche, die aus dem Adel stammen, sind aufmüpfig und halten nicht viel von den strengen benediktinischen Regeln der Einfachheit, Askese und Armut. Sie pochen auf eigenen Besitz, essen an Fastentagen Fleisch und sollen sogar beim Tanzvergnügen im nahe gelegenen Dorf Gschlachtenbretzingen beobachtet worden sein. Reformbemühungen des Benediktinerordens und des Bischofs schlagen fehl. Der Konvent weigert sich, einen „gemeynen man“ (also Nichtadlige) aufzunehmen.

Bollwerk gegen Reformation

Das bedeutet das Aus als Benediktinerkloster. Am 5. Dezember 1488 wandelt es Papst Innozenz VII. in ein weltliches Chorherrenstift um. Die Männer werden zu Säkularkanonikern – also Priester ohne Ordensregel, ohne Gelübde, ohne Habit, aber doch zeitweise gemeinsamem Leben und gemeinsamem Gebet.

Nach einer zeitgenössischen Chronik sind dadurch „aus schlechten Mönchen schlechte Chorherren geworden“, doch richtig erforscht hat man diese Epoche bis heute nicht. Belegen lassen sich aber neuer wirtschaftlicher Aufschwung der Gemeinschaft, kräftige Bautätigkeit sowie die Gründung einer sehr reichhaltigen Klosterbibliothek.

Die Reformation ab 1517 geht weitgehend an der Comburg vorbei. Sie bleibt eine katholische Insel im evangelischen Land, ein Bollwerk der Papstkirche gegen den neuen Glauben der schnell evangelisch gewordenen benachbarten Reichsstadt sowie des Umlandes.

Invaliden-Kaserne

Wie in der Kurpfalz, so führt letztlich Napoleon auch im Kochertal zu einschneidenden Änderungen. Bei der Säkularisation, also der Verstaatlichung von Kirchengütern, wird das zum Bistum Würzburg gehörende Stift 1803 aufgehoben und fällt an das Herzogtum Württemberg. Friedrich I. von Württemberg fackelt nicht lange: Den Kirchenschatz (allein zwölf Zentner Silber) lässt er in der Ludwigsburger Münze einschmelzen, die wertvolle Bibliothek mit 3500 Bänden abtransportieren. 130 kostbare Handschriften befinden sich heute in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.

1807 bis 1810 residiert in der Großcomburg der beim Vater gar nicht wohlgelittene Prinz Paul von Württemberg. 1817 übernimmt das Württembergische Ehreninvalidencorps die Anlage. Fast 90 Jahre lang, bis 1909, leben hier bis zu 200 dienstunfähig gewordene Soldaten und ihre Familien. Der letzte Angehörige stirbt erst 1925. Zwischendurch gibt es immer mal wieder „typisch schwäbische Reibereien, wer was nutzen darf und wer die Aborte putzt“, weiß Knapp aus alten Akten.

1926 entsteht auf der Comburg eine der ersten Heimvolkshochschulen in Württemberg – doch in der Zeit des Nationalsozialismus wird sie aufgelöst. Nun ziehen in dem alten Kloster eine Bauhandwerkerschule, Hitler-Jugend und Reichsarbeitsdienst ein, schließlich Kriegsgefangene und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befreite Zwangsarbeiter und wieder Kriegsgefangene. Seit 1947 ist die Burg Sitz der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung, Teil der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen, die alle Gebäude bis auf die Kirche und die Kapellen nutzt.

Großcomburg

  • Anschrift: Großcomburg, Comburg 5, Comburger Weg, 74523 Schwäbisch Hall.
  • Öffnungszeiten: Klosterareal und Wehrgänge tagsüber frei zugänglich – Montag bis Sonntag 8 bis 18 Uhr.
  • Stiftskirche St. Nikolaus: Nur mit Führung, Erwachsene 5 Euro, Ermäßigte 2,50 Euro, Familien 12,50 Euro, wird regelmäßig im Zeitraum 1. April bis 31. Oktober angeboten, derzeit aber nicht wegen Coronavirus.
  • Führungen: Anmeldung und Information zu Gruppenführungen beim Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, Außenstelle Comburg, Tel. 07 91/93 02 082, E-Mail poststelle.comburg@zsl.kv.bwl.de.
  • Actionbound: Auf individuelle Art und unabhängig von Führungszeiten kann mit dem Actionbound die Anlage des ehemaligen Benediktinerklosters entdecken. Dazu benötigt man ein Smartphone/Tablet mit Android- und iOS-Betriebssystemen. Der QR-Code kann vor Ort gescannt werden. Der Bound ist aber auch im Internet auf der Seite https://www.actionbound.com/bound/klostercomburg zu finden.
  • Anfahrt: Mit dem Zug bis Bahnhof Schwäbisch Hall, dann mit dem Bus Linie 4 bis Haltestelle „Steinbach Comburg“. Mit dem Auto über die A 6 bis Ausfahrt 42 Kupferzell, dann B 9 bis Schwäbisch Hall, dort Ausschilderung folgen oder Navi „Großcomburger Weg“ eingeben. Parkplätze am Fuß des Bergs vorhanden. pwr

Redaktion Chefreporter

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