Der Schornsteinfeger, das vierblättrige Kleeblatt, ein Cent-Stück oder das Marzipanschwein – sie alle stehen symbolisch für Glück. Wir alle sind irgendwie auf der Suche nach Glückseligkeit, nach dem perfekten Zustand, wo alle Dinge im Lot sind. Aber was ist Glück überhaupt? Ist es nichts weiter als eine Zukunftsverheißung? Kann jeder Glück gleich empfinden oder ist es individuell unterschiedlich? Gibt es kollektives Glücksempfinden oder sogar eine allgemeine Regel, wie man dem wahren Glück am nähesten kommt? „Glück ist kein ‚Nice to have’ – es ist die Basis für ein gutes und gelingendes Leben“, sagt Gina Schöler. Die Mannheimer Kommunikationsdesignerin hat sich selbst zur Glücksministerin ernannt.
Dabei komme es besonders auf einen achtsamen Umgang mit uns selbst und anderen an und darauf, das Glück im Hier und Jetzt zu suchen. „Oft sind es die kleinen Dinge, die alltäglichen Begegnungen, die wohltuenden Momentaufnahmen, die unsere Seele nähren“, so Schöler. Der Mediziner und Kabarettist Eckart von Hirschhausen sagt: „Glück ist keine Frage des Schicksals, sondern in weiten Teilen eine Sache von innerer Einstellung und Übung. Glück fällt nicht vom Himmel – Glück kann man lernen.“ Der Buchener Glücksforscher Jochen König meint, dass Glück authentisch sein muss, um als solches empfunden zu werden, und es bedarf der Kontraste mit nicht glücklichen und bisweilen ausgesprochen unglücklichen Momenten. Führt der Weg zum Glück also durch ein Tal der Tränen? Kann Glück nur wahrhaftig empfinden, wer Schmerz, Verzweiflung, Verlust und Trauer zulässt? In der Philosophie stehen oft tugendhaftes Verhalten und Pflichterfüllung für die Annäherung an den Zustand der Glückseligkeit. Für Aristoteles etwa liegt der Schlüssel zum Glück in unseren Tugenden verborgen – wenn wir unsere Fähigkeiten in vollen Zügen ausschöpfen.
Rein situativ kann man Glück als die Abwesenheit von Unglück oder Pech bezeichnen. Ein Dachziegel, der beim Sturm vom Dach fällt und mich knapp verfehlt, zum Beispiel. Oder ein Verkehrsunfall, den ich miterlebe, aber von dem ich nicht unmittelbar betroffen bin. Hier bekommt Glück schicksalhafte Züge. Wir können es mitunter nicht beeinflussen. So gesehen kann ich die Tatsache, dass ich in einem freiheitlich-demokratischen Land mit Wohlstand, solider Sozialstruktur, intaktem Bildungs- und Gesundheitswesen und rechtsstaatlicher Garantie auf Meinungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit geboren bin, als großes Glück bezeichnen. Aber auch hierzulande gibt es Unterschiede: Bin ich einziges Kind eines Akademikerehepaars mit Oberklassenlimousine und schmuckem Einfamilienhaus in München oder siebter Sprössling einer bildungsfernen Großfamilie in einer Plattenbausiedlung im Berliner Stadtteil Neukölln?
Glück ist relativ und es ist extrem subjektiv. Ein Motorradfahrer, der nach einem schweren Unfall mit seiner Beinprothese wieder mühsam das Gehen erlernt, wird ganz andere Glücksmomente empfinden als ein Langstreckenläufer, der bei den Olympischen Spielen um die Medaillen kämpft. Ein Kind in Burkina Faso, das täglich kilometerweit zum nächsten Brunnen laufen muss, um an sauberes Trinkwasser zu kommen, hat eine andere Vorstellung von Glück als ein Kind hierzulande, das für einen Schluck sauberes Wasser nur den Wasserhahn aufzudrehen braucht. Von vielem, was für uns selbstverständlich ist, können Menschen in anderen Ländern und Kulturkreisen nur träumen.
Das stellt uns vor ein Dilemma. Wenn wir uns tatsächlich mal beklagen – und sei es auch noch so berechtigt: Es gibt immer irgendjemanden auf der Welt, dem es garantiert schlechter geht als einem selbst. Was ist schon der vorübergehende finanzielle Engpass, der mich dazu zwingt, bestimmte Wünsche hintanzustellen, gegen die Armut einer alten Frau, die mit 450 Euro im Monat über die Runden kommen muss? Was ist der lästige grippale Infekt mit Schnupfen, Heiserkeit und Gliederschmerzen gegen die Brustkrebsdiagnose einer 30-jährigen Frau? Sind wir moralisch zur ewigen Glückseligkeit verdammt? Wohl kaum, denn natürlich können auch die Ärmsten der Armen und von Krankheit Betroffene Glück verspüren. Sie lachen, tanzen, springen, sind lebensfroh, weil sie sich an denselben – großen wie kleinen – Dingen erfreuen wie andere auch. Das Entscheidende ist eine Perspektive, die Besserung und Veränderung der momentanen Lebenssituation beziehungsweise Leidensphase zum Positiven verheißt.
Doch was ist, wenn man schon so gut wie alles hat? Den meisten Deutschen geht es gut. Wir können uns fast jeden Wunsch erfüllen. Eigentlich haben wir allen Grund, glücklich zu sein, und doch sagt man gerade uns Deutschen eine gewisse Miesepetrigkeit nach. Laut Weltglücksbericht des US-Meinungsforschungsinstituts Gallup landet Deutschland unter den weltweit glücklichsten Ländern gerade mal auf Rang 17. Immerhin: Laut dem aktuellen Glücksatlas der Deutschen Post waren die Deutschen 2019 so zufrieden wie noch nie. „Zum Spitzenwert tragen die anhaltend gute Beschäftigungslage und die positive Entwicklung der Haushaltseinkommen bei sowie eine solide Robustheit der Menschen gegenüber medialen Schlechtwettermeldungen“, sagt Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg.
Diese Studien zeigen: Materieller Wohlstand ist zwar nicht unerheblich, macht aber allein nicht glücklich. Trotzdem ist das Streben nach Mehr ein wichtiger Faktor. Von Hirschhausen sagt, die Unzufriedenheit treibt uns an, die Suche nach dem Glück ist viel stärker ausgeprägt als die Fähigkeit, Glück zu genießen. Auch der Hirnforscher Manfred Spitzer kommt zu diesem Ergebnis, wenn er feststellt: „Unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, dauernd glücklich zu sein. Aber es ist süchtig danach, nach Glück zu streben.“
Glück ist grundsätzlich von Zufriedenheit zu unterscheiden. Glück ist eher eine flüchtige Momentaufnahme, während sich Zufriedenheit als dauerhafter Zustand einstellen kann. Es sollte also erstrebenswert sein, einen anhaltenden Grad an Zufriedenheit zu erlangen. Je höher dieses Niveau ist, umso häufiger stellen sich dann auch Glücksmomente ein. Nachfolgend ein paar Tipps als Wegweiser auf dem Pfad zum Glück, den jeder selber für sich finden muss.
1. Sich an den schönen und natürlichen Dingen erfreuen
In der Hektik des Alltags und bei der zunehmenden multimedialen Reizüberflutung kommt eines oft zu kurz: dass wir mal innehalten, die positiven Dinge an uns heranlassen und die schönen Dinge bewusst auf uns wirken lassen. Im Winter zum Beispiel eine Schneeflocke, die auf unsere Nasenspitze fällt, weiches Moos unter unseren nackten Füßen, der erste Schmetterling, der im Frühjahr über die Wiese flattert, die Vielfalt der Vogelstimmen bei einem Waldspaziergang, eine Sinfonie, die unser Innerstes zum Klingen bringt, ein lachendes Kind, ein aufmunterndes Lächeln, eine herzliche Umarmung, Vertrautheit, Zuneigung, Zärtlichkeit, Sinnlichkeit. . . Also öfter mal raus gehen und das, was uns der Herrgott an natürlichen Dingen mit auf den Weg gegeben hat, in vollen Zügen genießen. Wir kommen daher. Letztendlich ist der Spaziergang im Wald wie eine Art Heimkommen zu unseren Urvätern. Und wenn wir noch weiter zurückdenken, als das Leben sich noch im Wasser abspielte, ist jeder Sprung ins kühle (oder auch warme) Nass ebenfalls eine höchst erquickliche Reise in die Vergangenheit unserer Entwicklungsgeschichte. Oder: Statt Alexa mein Lieblingslied zu diktieren mal selber ein Lied trällern. Singen befreit, es berührt unser Glückszentrum, beruhigt unsere Nerven und erhellt die Seele. . .
2. Sich von Ängsten frei machen
Wir sind von Ängsten und Neurosen getrieben, die uns blockieren und die mitunter krankhafte und absurde Formen annehmen: Versagensängste, die Angst vor Be-strafung oder vor Konfrontation, Trennungsangst, die Angst, dass geliebten Menschen etwas zustößt, oder die Angst vor Berührung, Ansteckung und Tod. Ängste sind sinnvoll. Sie bewahren uns davor, Risiken einzugehen, deren Folgen wir nicht abschätzen können. Vorsicht und eine gewisse Skepsis gegenüber den Dingen sind in vielen Lebenssituationen gute Wegbegleiter. Doch wer sich zu sehr von seinen Ängsten leiten lässt, zwängt sich ohne Not in ein Korsett, das uns Freiheiten nimmt und uns vieler Handlungsoptionen beraubt. Nur wer sich seiner Ängste bewusst ist und sie kontrolliert, kann die unsichtbaren Ketten sprengen, die permanent an uns zerren. Nur in einem angstfreien Zustand können Glücksmomente entstehen und auch genossen werden. Ansonsten nehmen wir Glück allenfalls als flüchtigen Moment wahr, dem wir nicht so recht trauen. Er wird verpuffen, ohne seine für die Psyche heilsame Wirkung entfaltet zu haben. Ängste – ob bewusst oder unbewusst – können uns daran hindern, Neues zu wagen, ausgetretene Pfade oder die berühmte Komfortzone zu verlassen, um etwas Unbekanntes, noch nie Erlebtes und Überraschendes zu entdecken.
3. Eine positive Grundeinstellung und Humor
Seine inneren Ängste zu besiegen und die Fesseln der eigenen Geiselnahme abzustreifen, gelingt am besten mit einer positiven Grundeinstellung. Laut dem US-Psychologen Martin Seligman hängen Glück und Lebensfreude stark von einer optimistischen Erwartungshaltung dem Leben gegenüber ab, die erlernt werden kann. Wir sollten uns generell mehr über Erreichtes freuen als von jeder Kleinigkeit runterziehen lassen. Nicht mit dem Schicksal hadern und das eigene Pech beklagen, sondern sich die eigenen Stärken bewusst machen. Wer viel lachen kann – auch über sich selber –, lebt gesünder. Es setzt Botenstoffe frei, die dem Körper gut tun. Also ruhig öfter mal herzhaft lachen – es muss ja nicht immer nur über den Schaden anderer sein. . .
4. Die Freiheit der persönlichen Entfaltung
Es ist wichtig, dass wir all das schon im Kindesalter lernen. Kinder brauchen großzügig bemessene Freiräume, vor allem die Freiheit, eigene Erfahrungen zu sammeln, selbst zu entscheiden, Dinge für sich zu entdecken, sich auszuprobieren und dabei auch mal zu scheitern. Statt negative Erfahrungen zwanghaft von unseren Kleinen fernzuhalten, sollten wir sie machen lassen und ihnen besonnen zur Seite stehen, wenn sie versuchen, aus ihren eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten zu lernen. Nur so entwickeln sie eine feste Persönlichkeit, die optimistisch in die Zukunft blickt, zu einer realistischen Risikoeinschätzung in der Lage ist und in der die Veranlagung zum Glücklichsein fest verankert ist.
5. Ballast abwerfen, sich öffnen und Emotionen zulassen
Die Band Silbermond aus Bautzen bringt in ihrem Lied „Leichtes Gepäck“ auf geniale Weise zum Ausdruck, dass Dinge, die wir glauben, besitzen zu müssen, aber im Grunde gar nicht brauchen, wie unnötiger Ballast an uns hängen und uns ausbremsen. Putzen und Ausmisten kann Glückshormone freisetzen, sagt die Diplom-Psychologin Sandra Jankowski: „Das sind Belohnungs- und Motivationssysteme, die es auch in anderem Zusammenhang gibt, beim Leistungssport etwa.“ Ballast abwerfen kann aber auch sinnbildlich für die Seele verstanden werden, denn auch in uns selbst schleppen wir eine Menge altes Gerümpel herum, das uns belastet. Um auf den harten Kern von vergrabenen Problemen vorzustoßen, muss man erst den dichten Schleier aus Selbstlügen und Alibi-Argumenten lüften, hinter dem wir unangenehme Dinge, mit denen wir uns am liebsten nicht näher befassen möchten, geschickt zu verschanzen pflegen. Schon allein sich jemand Vertrautem zu öffnen und sich Dinge von der Seele zu reden, nimmt den Druck und setzt neue Kräfte frei. Da kann man sich ruhig mal fallen lassen und Emotionen zeigen. Jede Träne schwemmt inneren Frust nach außen und reinigt die Seele.
6. Prioritäten setzen, Ordnung schaffen, strukturiert handeln
Wer kennt nicht die Situation bei der Arbeit oder auch privat, dass auf einmal so viele Dinge anstehen, dass man gar nicht weiß, was man zuerst abarbeiten soll? Wenn man schon die anstehenden Aufgaben nicht delegieren kann, ist es sinnvoll, eine klare Prioritätensetzung nach Dringlichkeit und Wichtigkeit vorzunehmen. Auf diese Weise lässt sich der Berg der täglich zu erledigenden Aufgaben auf ein erträgliches und leistbares Maß zurechtschrumpfen. „Carpe diem“ – nutze den Tag – ist ein ganz wesentliches Leitmotiv, das mehr Zufriedenheit in unser Leben bringt. Wir neigen gerne zu Bequemlichkeit und dazu, Dinge hinauszuschieben – weil wir im privaten Bereich oft nicht wissen, womit wir zuerst anfangen sollen. Auch hier kann eine klare Prioritätensetzung für strukturierte Abläufe sorgen. Unerledigte Dinge harren ihrer Vollendung und absorbieren – wenn auch oft nur unbewusst – einen Teil unserer Kräfte. Ein zu groß angewachsener Berg an unerledigten Dingen kann sogar zur kompletten Lähmung und Untätigkeit führen – und das nur, weil wir zu bequem oder vermeintlich unfähig waren, eine Entscheidung zu fällen. Hinter „carpe diem“ steckt also der Anspruch an uns selbst, eine eigene Agenda zu machen und Dinge, die wir auf die Liste setzen, auch zeitnah zu erledigen. Indem wir aktiv werden und zielgerichtet planen, erobern wir uns eigene, selbst bestimmte Handlungsspielräume, die uns am Ende des Tages das Gefühl geben, etwas erreicht zu haben, weitergekommen zu sein. Das kann ungemein befreiend und befriedigend sein. Also raus aus der von Gewohnheiten, Bequemlichkeit und Lethargie geprägten Komfortzone! Wer die Dinge beherzt anpackt, verschafft sich Freiräume und Möglichkeiten, um Neues anzugehen.
7. Realistische Ziele – die eigenen Grenzen (an)erkennen
Weniger ist mehr – das gilt auch für unsere Erwartungen und Wünsche. Auch mit kleinen Schritten kommt man ans Ziel. Wer den Weg zu einem größeren Ziel in mehrere Etappen einteilt, kann mit jedem kleinen Zwischenschritt einen Teilerfolg feiern. Dadurch wird die „Durststrecke“ bis zum Erreichen des Ziels nicht so lang und der Weg dorthin insgesamt entspannter und befriedigender. Es ist zudem sinnvoll, dass man sich auch realistische Ziele setzt. Das setzt voraus, die eigenen Grenzen zu erkennen und auch zu akzeptieren – und sich einzugestehen, dass es keinen Sinn macht, sich weiterhin in etwas zu verrennen, das bei realistischer Betrachtungsweise unerreichbar ist. Auch hier macht die Aufteilung in kleinere Etappen Sinn. Man begibt sich wenigstens schon mal auf den Weg, auch wenn man sich am Ende mit weniger zufrieden geben muss.
7. Eine feste Basis, um sich Ziele zu setzen
Glück ist eine Überwindungsbelohnung. Nur wenn ich etwas dafür tue, bekomme ich auch etwas dafür. Das Hinarbeiten auf den einen Moment kann uns sogar mehr Glücksmomente bescheren als das Erreichen des eigentlichen Ziels. Es geht darum, das eigene Handeln auf etwas auszurichten und dieses Ziel ganz bewusst zu verfolgen. Dazu gehört auch die Vorstellung, was ich mit meinen mir angeborenen Fähigkeiten erreichen möchte. Was ist meine Rolle und meine Funktion im wundersamen Baukasten des Lebens? Das Streben nach Glück beginnt demnach von einem festen Standpunkt aus, den ich für mich im Universum definiere. Es ist der Nukleus, mein innerstes Zuhause, in das ich mich in jeder Situation zurückziehen kann. Hier bin ich ganz bei mir, eingebettet in das große Ganze. Und hier habe ich eine feste Basis, von der aus ich meine Ziele setzen und verfolgen kann.
9. Sich selbst lieben und anderen mit Respekt begegnen
Eins sein mit sich selbst, heißt auch im Einklang leben mit der Natur und den Menschen, die um einen herum sind. Sich so zu akzeptieren wie man ist – mit seinen Stärken und Schwächen: Die Fähigkeit zur Selbstliebe ist eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen zum Glücklichsein. Nur wer sich selbst akzeptiert und, wie soeben beschrieben, seinen eigenen Standort bestimmt hat, kann auch andere akzeptieren. Nur wer sich selbst liebt, kann anderen mit Respekt und Toleranz begegnen. Im Sinne Kants muss die persönliche Glückssuche deshalb auch einen positiven Effekt auf die Allgemeinheit haben. Das bedeutet Abschied vom Egoismus, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen und selbstlos in den Dienst einer gemeinnützigen Sache zu stellen.
10. Sich aktiv einbringen – das Glück mit anderen teilen
Vom Schriftsteller Gerd Peter Bischoff stammt das Sprichwort: „Glück ist verschenkte Liebe, und Liebe ist Glück zum Verschenken.“ Glück halbiert sich nicht, wenn man es teilt, es verdoppelt sich sogar und multipliziert sich. „Gebt, gebt, gebt!“, riet die 27-jährige Australierin Holly Butcher kurz vor ihrem Tod. „Es ist wahr, dass es mehr Freude bereitet, Dinge für andere zu tun, als für sich selbst.“ Wenn ich meine eigenen Fähigkeiten und Erkenntnisse in den Dienst der Allgemeinheit stelle, bekommt der Glücksbegriff eine soziale, eine gesellschaftliche Dimension. Sich als „Starker“ den Schwachen, Armen und Kranken der Gesellschaft zuzuwenden und ihnen Zeit, Hilfe und Liebe zu geben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten, ist ein wichtiger Dienst an der Allgemeinheit und grundlegende Voraussetzung für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Für den Einzelnen kann das Erleben von Gemeinschaft, das Verfolgen von gemeinsamen Zielsetzungen – und sei es nur im Familienverband – enorm befriedigend sein und Glücksgefühle freisetzen. Wir sind soziale Wesen und mögen es in der Regel, wenn wir uns dazugehörig fühlen. In einer Gemeinschaft steht es – abseits der erforderlichen Regeln für ein geordnetes Miteinander – grundsätzlich jedem frei, wie er sich einbringt: ob er etwa eine tragende Rolle bei der organisatorischen Gestaltung und Mitbestimmung einnimmt, sich von Zeit zu Zeit bei bestimmten Projekten aktiv einbringt oder einfach nur passiv mitläuft.
11. Rücksichtnahme – sich selbst nicht so wichtig nehmen
Glück hat auch eine zerstörerische Komponente. Denn wenn ich meinen eigenen Glückspfad in einer egoistischen Art und Weise austrete, ohne nach links und nach rechts zu schauen, dann führt dies zwangsläufig dazu, dass ich andere beschneide. Hier geht es um Respekt, gegenseitige Rücksichtnahme und den Willen, die eigenen Ansprüche und das eigene Ego zurückzustellen. In dem Moment, wo ich zurücktrete und auch anderen ein Stück vom Scheinwerferlicht gönne, trage ich dazu bei, dass sich die Betroffenen besser fühlen. Vielleicht ermögliche ich ihnen sogar die Chance, einen eigenen persönlichen Glücksmoment zu erleben. Mit Lob und Anerkennung oder auch mal einem Dankeschön für vermeintliche Selbstverständlichkeiten lässt sich dieser Effekt verstärken. So gesehen kann die Bescheidenheit des Einzelnen zur Zufriedenheit anderer beitragen.
12. Stolz sein auf das Erreichte – sich von Neid befreien
Mit den eigenen Fähigkeiten anzugeben und dem, was man hat, zu protzen, ist nur die eine Seite der Medaille. Umgekehrt wäre der Anreiz, mit seinen Dingen anzugeben, nur halb so groß, wenn es nicht so viele Neider gäbe. Es gibt Menschen, die, sobald ihnen jemand eine neue Errungenschaft unter die Nase hält, reflexartig reagieren und denken: Das muss ich auch haben. Wie können die sich das leisten? Diese Missgunst kann soweit führen, dass man jemandem den kompletten Lebensstil neidet. Neid kann natürlich ein Ansporn sein, Dinge neu zu ordnen und für sich besser zu gestalten. Er darf aber nicht dazu führen, dass man zwanghaft Dingen hinterher jagt und ein Leben zu führen versucht, das nicht den eigenen Möglichkeiten entspricht. Wo soll dieser permanente Vergleich enden? Es gibt doch immer jemanden, der mehr hat als man selbst – mehr Geld, ein größeres Haus, ein teureres Auto, luxuriösere Urlaubsreisen, eine bessere Work-Life-Balance. . . Irgendwann muss man für sich selbst an einen Punkt kommen, wo man sich eingesteht, dass andere eben mehr haben – und ihnen das von Herzen gönnen. Statt ständig auf andere zu schauen, sollte man sich viel mehr auf das konzentrieren, was man in seinem eigenen Leben erreicht hat und stolz darauf sein. Auf dieser Basis lässt sich entspannter, realistischer und am Ende erfüllender überlegen, ob und was man in seinem Leben besser oder anders machen möchte.
13. Der Glaube an etwas Höheres
Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Das sind metaphysische Fragen, die auf das verweisen, was in vielen Religionen als Jenseits erscheint beziehungsweise als Gott personalisiert wird. Die in den Religionen formulierten Regeln von Anstand und Moral geben Orientierung und Stabilität in einer vermeintlich unsicheren Welt. Ein Leben nach Gottes Geboten oder nach dem Vorbild Jesu Christi erleichtert die Entscheidungsfindung in vielen Lebensfragen und kann gerade bei unsicheren Menschen dazu beitragen, dass sie förmlich über sich hinauswachsen. Die Vorstellung, dass es da jemanden gibt, dem ich mich jederzeit anvertrauen kann und der mich mit all meinen Vorstellungen, Stärken und Schwächen so akzeptiert und liebt, wie ich bin, hat etwas Tröstliches und kann – selbst in den schwersten Stunden – ein Schlüssel zu innerer Ruhe, Glück und Zufriedenheit sein.
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