Mannheim. Wer Spaß am Seilklettern hat, sich wohlfühlt in luftiger Höhe und in der Lage ist, sich an einem von der Decke hängenden Tuch festzuhalten, ist ein Kandidat für das Vertikaltuch, auch Aerial Silk genannt. Das Tuch wird zum Schwingen, Drehen, Sich-Einwickeln, Einhängen oder Auffangen in verschiedenen Positionen verwendet. Man bewegt sich also mit Muskelkraft am Tuch entlang, um von einer stehenden, hängenden oder liegenden Position zur nächsten zu gelangen.
Entstanden aus der Zirkusakrobatik, hat sich Aerial Silk inzwischen zur Sportart für alle entwickelt. Das heißt für fast alle, denn Beweglichkeit, Kraft und eine stabile Mitte sind unabdingbar. Wer sie nicht mitbringt, kann sie sich erarbeiten, entweder im Training selbst oder in Eigeninitiative. Der Lohn der Mühe sind Spaß an der Leichtigkeit des Seins in der Luft und eine Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten.
Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Bevor es mit dem Spaß in der Luft losgeht, heißt es allerdings: aufwärmen. Auf dem Programm stehen für etwa 20 Minuten dynamische Dehnübungen und leichtes Kreislauftraining, um die Muskeln vorzubereiten und Verletzungen vorzubeugen. Anfänger üben stets nahe am Boden und eine dicke Matte liegt immer unter dem Gerät.
Training von Kraft, Flexibilität und Ausdauer
Karina Disch ist mit Pausen seit rund fünf Jahren dabei. Sie suchte einen Ausgleich für ihre sitzende Berufstätigkeit und hatte Verschiedenes ausprobiert, darunter Joggen und Zumba. Was sie schätzt, ist das Training von Kraft, Flexibilität und Ausdauer. „Ich kann hier Stress abbauen und alle Muskelgruppen werden trainiert“, erläutert sie ihre Begeisterung. „Mir gefällt das Körpergefühl, die Ästhetik des Aerial Silk und die Vielfalt der Figuren. Man kann immer neue Varianten entwickeln und das macht es so spannend.“ Parallel zum Kurs versucht sie regelmäßig im Fitness-Studio zu trainieren, unter anderem um Griffkraft aufzubauen.
Die Sportart
- Aerial Silk ist eine Disziplin der Luftakrobatik an einem an der Decke hängenden Tuch. Der Fokus liegt auf Kraft und artistischem Klettern.
- Daneben gibt es noch eine weitere verbreitete Spielart der Luftakrobatik: Aerial Yoga . Hier geht es um die Vertiefung der Yogapositionen und das Ausprobieren neuer Bewegungen mit Unterstützung des Tuchs. Es wird hier als Schlaufe an der Decke aufgehängt und nennt sich Hammock (englisch für Hängematte). Daraus können sich die Yogis und Yoginis neue Bewegungsräume erobern.
Einmal in der Woche trainiert sie in einem der Kurse von Renate Bohny im Gebäude des CVJM in K2. Zu ihren vier bis fünf Mitstreitern in der von Frauen dominierten Disziplin gehört Andreas. Er ist Anfang 50 und gehört zu den Fortgeschrittenen. Ursprünglich kommt er vom Turnen, doch nach einem Bandscheibenvorfall ist er beim Aerial Silk hängengeblieben. Zu Hause in seiner fünf Meter hohen Werkstatt trainiert er am eigenen Tuch.
Verena ist 59 Jahre alt und hat über Trampolin, Rudern und Ballonfahren schon so allerhand Sportliches unternommen. Sie reist jedes Mal extra von der Bergstraße an und meint: „Aerial Silk ist für mich die ultimative Sportart. Man braucht Kraft und Flexibilität und meine fortgeschrittene Arthrose behindert mich hier überhaupt nicht.“
Auch für Kinder eignet sich Aerial Silk
Körperliche Einschränkungen sind noch kein gar Thema für die jungen Sportler, die Thilo Bender im Zirkus Paletti am Vertikaltuch unter seinen Fittichen hat. Als Gründer und Leiter des Kinderzirkus ist er den Luftakrobatik-Disziplinen schon seit Jahrzehnten eng verbunden. Er schätzt sie als Ganzkörpertraining und Möglichkeit für Kinder ab sieben Jahren, spielerisch Kraft aufzubauen. „Die Bezeichnung Aerial Silk“, so erläutert er, „kommt vom Glanz des Stoffes, der aus quer gewebter Kunstfaser besteht und wie Seide glänzt.“
Mitmachen kann beim Zirkus Paletti prinzipiell jeder, die Warteliste ist allerdings lang. Workshops zum Kennenlernen werden dagegen immer wieder angeboten. Anja Bender, die Ehefrau des Zirkuschefs, teilt seine Leidenschaft für Akrobatik. Sie ist selbst Leiterin des Zirkus Bachelli am Neckarauer Bachgymnasium und sagt: „Jeder kann mitmachen, Vernunft und Verlässlichkeit sind allerdings zwingend notwendig, ebenso wie eine gute Kondition.“ Mit dem Grundtraining für ihre Schüler beginnt sie am Trapez in der fünften und am Tuch ab der sechsten Klasse.
Aerial Silk ist bei privaten Studios zu buchen, so wie bei Renate Bohny, die Kurse für Erwachsene und Kinder auch in Heidelberg anbietet. Möglich sind neben Verträgen mit fester Laufzeit Zehnerkarten oder auch einzelne Stunden. Dazu gehören Geburtstagsveranstaltungen für Groß und Klein und auch spezielle Events wie Junggesellinnenabschiede.
Die TSG Seckenheim hatte bis vor kurzem ebenfalls Vertikaltuch-Kurse im Angebot. Derzeit aber, so Timo Käding von der Abteilung Gesundheitssport, fehle es nicht an Teilnehmern, sondern an einer Übungsleiterin für die Kinder- und Erwachsenengruppe. Man hoffe auf Kandidatinnen, die im Herbst starten können.
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