Der neue Film

Neuer Film „Milch ins Feuer“: Im Sommer der großen Fragen

Mit überwiegend von Laien gespielten Charakteren: Das Mannheimer Cinema Quadrat zeigt den sehenswerten Film „Milch ins Feuer“ in drei Vorführungen.

Von 
Wolfgang Nierlin
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Der Film „Milch ins Feuer“ zeigt die bäuerliche Kultur. © Bauer/Carnicer Filmperlen

Mannheim. Eine junge Frau schwebt über dem Wasser. Auf einer Schaukel sitzend, schwingt Katinka (Karolin Nothacker) im sanften Rhythmus immer wieder ins Bild und aus ihm heraus. Die Kamera erfasst die bildfüllende, spiegelnde Oberfläche des Wassers aus der Vogelperspektive und bewegt sich dabei meditativ, fast unmerklich im Einklang mit den fließenden Elementen des Flusses. Dazu berichtet eine Off-Erzählerin im Präteritum des hohenlohischen Dialekts von einem „Sommer der großen Fragen“ und des Übergangs zu etwas vielleicht Neuem.

Katinka will einmal Bäuerin werden, also möglichst draußen arbeiten und „ihr eigener Chef“ sein. Doch die Zeiten dafür stehen schlecht. Denn der darbenden Landwirtschaft fehlt es sowohl an Männern als auch an politischer Unterstützung. Besonders gravierend ist das für einen benachbarten Milchbauern, der zunächst noch mit dem Aufstellen grüner Holzkreuze seinem Protest über das Bauernsterben Ausdruck verleiht, dann aber aus lauter Resignation nicht mehr weiter weiß.

Aus weiblicher Perspektive und in nüchternem Ton erzählt

Justine Bauers von ihrer eigenen ländlichen Herkunft geprägter Debütfilm „Milch ins Feuer“ ist kein Sozialdrama über den Niedergang des Bauernstandes oder gar ein Thesenfilm. Jenseits konventioneller Erzählmuster entwickelt die Absolventin der Kölner Kunsthochschule für Medien vielmehr eine sommerlich leichte, vielstimmige Erzählung über das Leben in und mit der Natur, über ihre Kreisläufe, die Arbeit der Bauern und die Weitergabe des ererbten Wissens.

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So erinnert sich etwa Katinkas Großmutter Emma (Lore Bauer, die Oma der Regisseurin) an Zeiten, in denen noch die Handarbeit dominierte, und vergleicht sie mit einer Gegenwart, in der auch in der Landwirtschaft nichts mehr ohne Maschinen zu gehen scheint. Aus dezidiert weiblicher Perspektive und im nüchternen Tonfall der Beiläufigkeit zeigt die junge Regisseurin die Arbeit der Frauen beim Melken der Kühe, bei der Heuernte oder auch beim Holzspalten im Wald. Daneben stehen das Baden im nahen Fluss, das westernmäßige Reiten auf einem Stier oder auch die teils neckischen Gespräche der drei Schwestern mit ihrer Mutter Marlies (Johanna Wokalek).

Ein Debütfilm mit poetischer Bildsprache

Das alles ist gefilmt mit einer großen Nähe zu den überwiegend von Laien gespielten Figuren und mit einer schönen Intimität, die aus den Blicken auf Körper spricht und durch die Wahl eines fast quadratischen Bildformats verstärkt wird. Nur an wenigen Stellen bewirkt der Wechsel in die Totale, dass die Protagonisten in ein größeres, grundsätzliches Verhältnis zur Landschaft gesetzt werden. Diese erstrahlt in heller, sinnlicher Farbigkeit. Zusammen mit ihrem Kameramann Pedro Carnicer hat Justine Bauer für ihr Erstlingswerk eine poetische Bildsprache geschaffen, die mit subtilen Verweisen und Referenzen ein fast unmerkliches Geflecht wiederkehrender Motive etabliert. Diese kreisen mit teils subversivem Humor immer wieder um Geburt und Tod, beispielsweise wenn es um Schwangerschaft und Kastration geht. Dabei steht nicht zuletzt das Geschlechterverhältnis zur Disposition. Mit seinen dokumentarischen Aspekten ist „Milch ins Feuer“ zugleich ein filmisches Kleinod des Bewahrens, das die bäuerliche Kultur, wie wir sie kennen, kurz vor ihrem Verschwinden festhält.

Am 12, 13. und 16. September im Cinema Quadrat (K1).

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