Gastbeitrag

Klaus Kufeld über die eigentliche Stimme der Demokratie

Heftige Debatten und landesweite Demos werfen die Frage auf, ob das demokratische Gefüge Deutschlands bröckelt. Politikwissenschaftler Klaus Kufeld beleuchtet die gesellschaftliche Spaltung und ihre Ursachen. Ein Gastbeitrag

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Klaus Kufeld
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Demokratie ist die Kunst des regulativen Umgangs von Macht mit Ohnmacht, sagt unser Gastautor Klaus Kufeld. © istock

Mannheim. Geht etwas schief mit der Demokratie? Es gibt heftige Debatten und landesweite Demos, hauptsächlich gegen rechts, aber was ziemlich aufgeregt daherkommt, bringt noch lange keine Klarheit. Im Gegenteil, dort, wo es für das Land eigentlich um Konsenspolitik gehen sollte, verfällt es in einen Kleinklein-Modus und lässt ganze Systeme fragmentieren.

Wer jetzt nicht das Richtige tut, riskiert mit, dass demnächst Rechtsradikale in Parlamente gewählt werden. Und noch während wir verloren gehenden Grundwerte hinterherrennen, erodiert das demokratische Gefüge der Gesellschaft. Aber es gibt Hoffnung.

Ist die Grundlage der Demokratie in Deutschland in Gefahr?

Wie es so weit kommen konnte in einem reichen Land wie Deutschland, einem der demokratiestabilsten Länder, hat simple und komplexe Gründe. Der simple Grund heißt Globalisierung. Die Ausdehnung der Welt hat die Menschen näherrücken, aber auch die Herrschaft der Märkte expandieren lassen - und die regeln eben nicht alles. Die so überspannte Welt stößt an ihre Grenzen in globalen Gegenbewegungen, die in die Entstehung nationalistischer Strömungen umschlagen - und Gesellschaften implodieren lassen.

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Orban, Wilders, Le Pen, der mutmaßlich wiederkehrende Trump und viele andere betreiben eine Politik der Angst, indem sie unliebsame Menschen ausgrenzen und falsche Solidarität entzünden. Die komplexen Gründe betreffen das innere Gefüge der Demokratie. In den bald 80 Jahren Nachkriegszeit ist gegenüber der Demokratie als Wertegemeinschaft ein Gewöhnungseffekt eingetreten, wahrgenommen als Normalzustand und behandelt als etwas, um das keiner mehr kämpfen muss.

Denn: für die heutigen jüngeren Generationen war sie immer da, und sie sind satt und trotzdem unzufrieden; aber nichts bleibt, wenn es nicht gepflegt wird. Für den Soziologen Steffen Mau entsteht hier der Demokratie ein „Allmählichkeitsschaden“.

Wie Macht und Ohnmacht eine Gesellschaft formen

Unser formales demokratisches Leben ist durch das Grundgesetz und unser Rechtssystem gesichert. Dennoch rumort es, und es ist mehr als ein Unbehagen. Wenn Hunderttausende gegen rechts auf die Straße gehen und Tausende von Traktoren gegen Berlin anfahren, sind das laute Statements, aber Gehör bei der Politik finden sie nicht wirklich. In Talkshows und den Gazetten wird das rauf- und runtererklärt, ohne einen konsensfähigen Ruck schaffen zu können.

Doch schauen wir einmal nicht allein auf die Fassaden, sondern dahinter, werden wir Dinge entdecken, die im toten Winkel der Medien liegen. Wo keine Medien, da leider keine Aufmerksamkeit. Demokratie ist die Kunst des regulativen Umgangs von Macht mit Ohnmacht. Es zeichnet sie aus, einmal gewählte Mehrheiten nicht als Dauertrumpf auszuspielen, sondern einen sorgsamen Umgang mit Minderheiten zu pflegen. Es klingt wie eine Utopie der Demokratie, nämlich zu lernen, auf seine Gegner zuzugehen und nicht aufzuhören, sich auch mit deren Anliegen auseinanderzusetzen. Gerade weil der Mensch dafür nicht gemacht scheint.

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Das bedeutet nicht weniger, als den Machtinstinkten, Rechthabereien und Eitelkeiten mehr Souveränität entgegenzusetzen. Das ist genau das, was Ernst Bloch mit „Wir haben das Hoffen zu lernen“ gemeint hat. Denn das Hoffen ist keine Träumerei, kein Wunschdenken, sondern ein aktiver Prozess mit seinem eigenen dynamischen Narrativ. Soll Hoffnung (und mit ihr der Protest) nicht nur durch Herz und Bauch gehen (was oft nicht mehr als Wut ist), sondern auch durch den Kopf, wird sie begründbar, belehrbar, fassbar, und wird zur docta spes.

Mit anderen Worten, was die Demokratie im Innersten zusammenhält, ist genau dieses kämpferische Hoffenkönnen, dieses Zeigen von Größe zu einer klaren Vision mit Umsetzungsstrategien.

Die Schere zwischen Arm und Reich verstärkt die Spaltung in der Gesellschaft

Es ist viel von Spaltung die Rede. Aber was heißt das? Um die Probleme dieses Landes zu sehen, braucht man gar keine besondere Empathie. Denn die Probleme liegen buchstäblich auf der Straße. Das ist die gläserne Gesellschaft. Die Schere zwischen arm und reich, unten und oben geht immer weiter auf. Man muss kein Marxist sein, um hinter schreiendem Unrecht existenzielle Bedürfnisse auszumachen.

Eine Spaltung in einer Gesellschaft liegt vor, wenn Unversöhnlichkeit herrscht, die auf Egoismus basiert und hinausläuft. Es stößt auf wie saure Galle, wenn CEOs oder Fußballprofis ein obszönes Vielfaches vom Einkommen der ihnen Zuarbeitenden und Zuschauenden verdienen, SUVs vor dem Bioladen stehen, und überhaupt, wie die parlamentarischen Institutionen es zulassen konnten, dass es ein Rechter wie Maaßen zum obersten Verfassungsschützer hat bringen können.

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Da ist vieles, sehr vieles aus dem Ruder gelaufen, und das kriegen die Repräsentanten der Demokratie nun zu spüren. Demokratie ist die beste, aber auch anstrengendste und umständlichste Staatsform. Oder sagen wir: die anspruchsvollste. Sie beginnt ja auch nicht erst mit dem wahlfähigen Alter. Das wäre Fassadendemokratie. Der tiefere Sinn der Demokratie hat mit ihren praktizierten, mit Bildung, ja mit Grundbildung zu tun habenden Grundwerten zu tun.

Es mag für manche antiquiert daherkommen, wenn hier wieder verstärkt klassische Tugenden eingefordert werden müssen, die drohen verloren zu gehen: Solidarität, Zusammenhalt, Aufrichtigkeit, und auch: Toleranz. Das sind Werte, die nichts mit Schulwissen zu tun haben, im demokratisch verfassten Gefüge aber umso wichtiger sind: Werte, die via Erziehung und Bildung in Haltungen und Charakterformen einfließen.

Vor allem der Schritt von der analogen Welt in die digitale Welt hat die Menschen verändert. Denn was ist an den „sozialen Netzwerken“ schon sozial, wenn ihre Nutzer wie Getriebene ununterbrochen unterwegs, aber nicht mehr wirklich präsent sind. Ist dieser anonyme Raum nicht der ideale Gärboden für Wild- und Irrwuchs des Wutbürgers? Werte in einem demokratischen Sinn tragen solche anarchischen Plattformen eher nicht.

Subversiven Methoden der AfD und ihre Präsenz in sozialen Medien gefährden die Demokratie ernsthaft

Ein grundsätzliches und gefährliches Problem hat die Demokratie, wenn sie als solche unterwandert wird. Das ist der Fall im subversiven Voranschreiten der AfD, und das seit mindestens zehn Jahren. Subversiv deshalb, weil sich die Partei offiziell an demokratische Regularien hält, diese aber im Einzelfall hintergeht und sich zusätzliche Aktionsfelder verschafft. Hier wird vieles verschlafen, das entstandene Vakuum bildet für die Rechte den idealen Tummelplatz, um der Demokratie an den Karren zu fahren.

Die AfD ist nicht die erste Bewegung, die die Parteienlandschaft durcheinanderpflügt und zu neuem Denken und Tun zwingt. Was sie aber Republikanern und Reichsbürgern voraus hat, ist, dass sie früher als alle und wirksamer in den sozialen Medien (zum Beispiel Tiktok) unterwegs ist: ein ausgefuchstes Kalkül.

Dies als Populismus anzuprangern, greift zu kurz. Die Altbackenheit der Traditionsparteien ist Ausdruck einer fatalen Behäbigkeit. Stellvertretend für die Kurzsichtigkeit der Politik steht die Migration. Als die Merkel-Politik die Grenzen für Flüchtende geöffnet hat, traf das in der Gesellschaft noch auf Resonanz. Die sogenannte Willkommenskultur stand den von Geschichte immer noch belasteten Deutschen auch gut zu Gesicht.

Das 2015 proklamierte „Wir schaffen das!“ nahm schließlich eine andere Wende: die AfD verdoppelte ihr Bundestagswahlergebnis von 4,7 Prozent und das auf Kosten der etablierten Parteien. Das lag auch daran, dass Flüchtende kommen durften, ohne für deren gute Integration die notwendigen, interkulturell gebotenen Maßnahmen ergriffen zu haben - bis hinein in die Kommunen. Man darf sich wundern, dass es erst heute das böse Erwachen gibt, als man von den Geheimtreffen von Rechtsradikalen zur Frage der „Rückführung von Migranten“, um nicht zu sagen Deportationen erfahren hatte. Alles viel zu spät, alles zum Schaden der Demokratie.

Pakt der demokratischen Kräfte eine Chance gegen den Rechtsruck

Das innere Gefüge der Demokratie ist schon dort in Gefahr, wo es nicht mehr um das bessere Argument geht und die Medien nur noch hinter den Parolen des Rechtsrucks hinterherschreiben. Die allerorten gerne praktizierte Ausgrenzungspolitik von AfDlern, zuletzt wieder auf der Berlinale, ist der grundfalsche Weg. Bestrafung bekehrt nicht. Nur Überzeugen zählt.

Was die Gesellschaft braucht, und zwar tief in ihre Institutionen und Plattformen hinein, ist der möglichst offene Schlagabtausch. Und noch eine Unterscheidung ist wichtig: die zwischen der Partei AfD und ihrer Wählerschaft. Bekanntlich möchte nur eine Minderheit dort mit Rechtsradikalismus oder Nazitum in Verbindung gebracht werden. Geschieht dies trotzdem und pauschal, fühlen sich solche Gruppen verunglimpft. Man gibt sie verloren, weil sie nicht ernstgenommen werden.

Die berechtigte Hoffnung lautet: Die Gesellschaft als Ganzes könnte mehr Vertrauen aufbringen, dass in den Parlamenten Mehrheiten gegen die 20, ja 25 Prozent der AfD zustande kommen. Dazu müssten sich die demokratischen Parteien zu einem Pakt vereinbaren und mit diesem Mut zur Utopie sich zugunsten von mehr Sachpolitik und direkter Konfrontation von der Panikmache in Endlosschleife verabschieden.

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