Caro erzählt ja manchmal auch ganz gern von den kleinen Dingen und Missgeschicken in ihrem Leben. Neulich – wir sitzen und essen endlich mal wieder alle ausgiebig und gemeinsam beinander, Caro nuckelt gerade an ihrem Öko-Smoothie aus der Plastikflasche (jeder lebt in Widersprüchen) und Bela lässt sein Coke zischen – da erzählt Caro (ich wag es kaum auszusprechen), von einer Reise mit der Bahn. Jetzt ist es raus. Sie sei, sagt sie, mit einem ICE zu ihrer Freundin Shirin nach Hamburg gefahren. ICE ist ein besonders schneller Zug.
„Das ist direkt. Fünf Stunden 20 oder so“, sagt Alya schwungvoll. „Von wegen“, meint Caro und holt tief Luft. Als hätte sie sich akribisch auf die mündliche Abi-Prüfung in DB vorbereitet, rattert sie Fehler für Fehler im System runter: Beschädigung einer Brücke, kurzfristiger Personalausfall, Fahrzeugverfügbarkeit, Bauarbeiten, Einschränkungen auf der Strecke, Streckensperrung, Verspätung eines vorausfahrenden Zuges. Sie sei schon rund eine Stunde später losgefahren und sei, weil sie total genervt gewesen sei, gleich ins Bordbistro, um einen Kaffee zu trinken. Dort aber habe die stämmige Servicekraft (War das ein Mann oder eine Frau?“) ihr schon von weitem entgegengerufen: „Es gibt nix – Spülmaschine futschikado.“ Sie sei dann drei Stunden zu spät da gewesen und habe Shirins Geburtstagsdinner verpasst. „Ich hatte doch nur 15 Stunden mit ihr und mich so gefreut.“
„Du musst dich beschweren“, sagt Bela, dem Caro leidtut. Doch Caro winkt ab: „Ich kann bald eine Sekretärin anstellen, die das tägliche Beschwerdemanagement für mich erledigt. Ich habe es satt und überhaupt keine Lust mehr. Ich kann mich doch nicht mein Leben lang beschweren und mit automatisierten Programmen rumschlagen, die, von Algorithmen gesteuert, total bescheuerte Antworten auf meine Mails schicken. Du schreibst ’Sie Arschloch’ und bekommst zurück ’herzlichen Dank für Ihre konstruktive Kritik an unserer Arbeit. Ich freue mich, Ihnen bei der Lösung Ihres Problems zu helfen’. Das ertrage ich nicht mehr. Bahn, Bank, Handwerker, Handel, Müllabfuhr und-so-weiter-und-so-fort-et-cetera-p-p – die sind alle gleich und wollen Geld, obwohl sie gar keine Menschen mehr bezahlen, sondern nur noch Maschinen. Man sollte alles in die Luft sprengen.“
Wenn ich eines an Caro liebe, dann ist es diese Ejakulation an Ehrlichkeit. „Du willst jetzt aber nicht in den Refrain einstimmen, dass es mit Deutschland bergab geht, oder?“, frage ich sie. Bela meint: „Warum nicht? Stimmt doch!“ Alya singt nur: „Beeelaa!“
Es wurde ja viel über die Servicewüste Deutschland geredet. Da ging es vor allem um die (Un)-Freundlichkeit der Deutschinnen. Heute geht es um Fachkräftemangel, Misswirtschaft und Investitionsstau. Apropos: Warum braucht ein Zug, der angeblich bis zu 300 km/h fährt, eigentlich fünf bis sechs Stunden für die schlappen 465 Kilometer an die Elbe? Das sind im Durchschnitt nur 77,5 km/h! Da waren Trabis deutlich schneller. Geht es mit Deutschland doch bergab? Wir müssen uns alle täglich beschweren, bis es wieder bergauf geht …
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