Mannheim. Das Institut Français (IF) Mannheim öffnete seine Türen für ein besonderes Künstlergespräch mit dem französischen Street Artist The Blind und dem Kurator von Stadt.Wand.Kunst, Sören Gerhold. Anlass war das erste inklusive Mural in Braille-Schrift, das derzeit in Mannheim entsteht – ein Projekt, das nicht nur künstlerisch, sondern auch gesellschaftlich neue Maßstäbe setzt.
The Blind, der aus Nantes stammt, ist bekannt für seine außergewöhnlichen Werke, die er mit tastbaren Reliefs und Braille-Schrift gestaltet. Seine Kunst richtet sich explizit auch an sehbehinderte Menschen und eröffnet ihnen einen neuen Zugang zur urbanen Kunstszene. In Mannheim entstand nun sein erstes Mural, direkt an der Fassade des Laborgebäudes des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in J5, nur wenige Schritte vom Institut Français entfernt.
Das Wandbild trägt den Titel „En faire voir de toutes les couleurs“ – auf Deutsch: „Die Welt zum Staunen bringen“. Es entstand in Zusammenarbeit mit Schülern der Schloss-Schule Ilvesheim, einer Schule für Blinde und Sehbehinderte, sowie mit Schülern des ZI. Das Projekt ist Teil des zehnjährigen Jubiläums des Institut Français und des 50-jährigen Bestehens des ZI und wird durch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg gefördert.
Künstler The Blind erklärt die Motivation für sein Mural in Mannheim
Im Gespräch mit dem Publikum erklärte The Blind, übersetzt von der Kulturbeauftragten des IF, Cosima Besse, seine Motivation: „Durch meine eigene Rechtschreibschwäche habe ich mich selbst früh als Außenseiter gefühlt und wurde an den Rand gedrängt. Es war schwierig für mich, das Abitur zu erreichen, um endlich Kunst studieren zu können.“ Diese persönlichen Erfahrungen prägen seine künstlerische Haltung bis heute. „Darum mache ich Kunst für und mit Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen: Häftlinge, Obdachlose, Menschen mit Behinderung oder Drogensüchtige.“
Ich mache viele illegale Graffiti, auch heute noch.
Seine Werke entstehen oft im öffentlichen Raum, nicht selten ohne Genehmigung. „Ich mache viele illegale Graffiti, auch heute noch“, sagte The Blind. Ein prägendes Erlebnis war ein großes Graffiti an der Autobahn nach Nantes. „Wir haben uns gefreut, dass alle es sehen können – alle, außer Blinde. Dieser Gedanke war die Initialzündung für die Murals in Braille-Schrift.“
Mannheim hat Künstler The Blind beeindruckt
Die Offenheit der Mannheimer Bevölkerung hat den Künstler beeindruckt. „Ich wollte mir ein Bild davon machen, wie inklusive Kunst in anderen Ländern funktioniert und war begeistert von Mannheim, wie gut es hier gelaufen ist“, sagte The Blind. Besonders schätzte er den respektvollen Umgang und das alternative Milieu der Stadt. „Die Menschen sind neugierig und sprechen mich beim Sprayen an. In manch anderen Städten bleibt niemand stehen.“
Sören Gerhold, Kurator von Stadt.Wand.Kunst, betonte die Bedeutung von Street Art für das urbane Leben und wies gleichzeitig auf die praktischen Herausforderungen hin. „Jede pulsierende Großstadt braucht Street Art. Es ist aber kaum möglich, ein gebäudehohes Mural illegal zu erstellen: Man braucht Genehmigungen, eine Hebebühne – aber auch die richtige Stadt.“
Mannheim biete hier besondere Vorteile. „In einer Stadt voll denkmalgeschützter Häuser funktioniert das nicht, und da haben wir in Mannheim einen richtigen Vorteil. Man kann die Murals im Innenstadtbereich alle fußläufig selbst entdecken, darum beneiden uns andere Städte.“
Das neue Mural in J5 unterscheidet sich deutlich von bisherigen Projekten. Die Besonderheit bei diesem Mural: 40 Meter lang, aber nur fünf hoch, erklärte Gerhold. Für ein klassisches Mural wäre diese Fläche ungeeignet, doch gerade ihre horizontale Ausdehnung macht sie für ein tastbares Kunstwerk ideal.
Mural in Braille-Schrift in Mannheim: Halbkugeln aus Gips verwandeln glatte Flächen in fühlbare Texte
„Das ZI hatte uns schon vor Jahren darum gebeten, dass Stadt.Wand.Kunst daraus etwas macht“, berichtet er. Die Wand war zuvor stark mit Tags – also Graffiti-Signaturen – übersät. „Davon halten wir uns eigentlich fern“, so Gerhold. Doch die besondere künstlerische und soziale Dimension des Projekts überzeugte. „Das Kunstwerk hat gute Chancen, erhalten und nicht übersprüht zu werden. Wenn nicht – aufzuhalten ist es sowieso nie. Dann denken wir daran, für wen das Mural ist: Denn auch übersprüht ist es noch tastbar.“
Der französische Street-Art-Künstler The Blind gilt als Pionier einer besonderen Form urbaner Kunst: dem „Graffiti für Blinde“. Seine Werke basieren auf dem Braille-Alphabet und machen Schrift im Stadtraum nicht nur sichtbar, sondern auch ertastbar. Mit Halbkugeln aus Gips verwandelt er glatte Wandflächen in dreidimensionale, fühlbare Texte. Seine Arbeiten sind nicht nur in Frankreich zu sehen, sondern auch in Brüssel, Moskau, Helsinki, Barcelona, Tschernobyl und Sankt Petersburg.
Das Institut Français Mannheim existiert als gemeinnütziger Verein seit 2015 und ist Teil eines weltweiten Netzwerks von mehr als 200 Institutionen, die sich der Förderung der französischen Sprache und Kultur widmen. Ziel des IF ist es, die Menschen für die französische Sprache und Kultur zu begeistern und dabei die deutsch-französische Freundschaft zu fördern. Zu diesem Zweck bietet es ein vielfältiges Sprach- und Kulturprogramm an, das von Literatur über Film, Musik und Kunst bis hin zu gesellschaftlichen Themen reicht.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/treffen_artikel,-menschen-in-der-region-warum-in-mannheim-das-erste-mural-fuer-blinde-entsteht-_arid,2336574.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
