Klopf, klopf

Bereits zur Zeit der Pest im Einsatz, dann aber in Vergessenheit geraten: Erst in der Coronapandemie haben die Florentiner ihre Weintürchen wiederentdeckt. Heute sind sie eine Attraktion.

Von 
Almut Siefert
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Seit dem 16. Jahrhundert gibt es Türchen in Florenz, durch die Wein verkauft wird. © siehe Bildtext

In der Via delle Belle Donne direkt neben dem Eingang zur gleichnamigen Osteria klopft Matteo Faglia an das Miniatur-Holztor in der Hauswand. Was an die Haustür eines Mäusedomizils in einem Zeichentrickfilm erinnert, ist eine clevere Einrichtung für trinkfreudige Menschen. Nach kurzer Zeit öffnet sich das Törchen und heraus kommt eine Hand, die ein Glas Wein nach draußen reicht.

Die sogenannten Buchette del Vino, die Weintürchen, mausern sich zu einer der vielen Touristenattraktionen, die die italienische Stadt Florenz zu bieten hat: eine Erfindung aus dem Mittelalter, die die Florentiner durch die Pest begleitet hat – und die in der Coronapandemie wiederentdeckt wurde. Heute stehen die Menschen Schlange vor dem Türchen in der Via delle Belle Donne oder jenem im Palazzo dello Strozzino, das zum Café Odeon gehört. Aber nicht an jeder kleinen Holzpforte lohnt es sich zu klopfen. Zehn von den 180, die sich in Florenz befinden, sind heute wieder in Betrieb.

Matteo Faglia ist der Präsident des Kulturvereins „Associazione Buchette del Vino“, der sich um den Erhalt der Weinlöcher kümmert und darum, dass die Geschichte der etwa 20 mal 30 Zentimeter großen Wandöffnungen wieder ins Bewusstsein der Florentiner gelangt. Der Verein hat sich zwar schon im Jahr 2015 gegründet, Bekanntheit erlangten er und die Kulturschätze aber erst während des strengen Lockdowns in der Coronapandemie.

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Stephan Alfter
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Die Eisdiele Vivoli um die Ecke der Basilika Santa Croce verkaufte in dieser Zeit ihre Ware durch eines der Weintürchen. Seit 1932 ist die Gelateria schon an diesem Platz, 1984, so erzählt es Patrizia Vivoli italienischen Medien, habe man die Buchetta del Vino bei Renovierungsarbeiten zutage gefördert. Allerdings ließ man sie ungenutzt, öffnete sie ab und zu mal aus Spaß. Als sich dann im Frühjahr 2020 das Coronavirus rasant ausbreitete und die Kontakte zwischen den Menschen auf ein absolutes Minimum beschränkt werden mussten, kam das Weintürchen wie gerufen. Nach telefonischer Vorbestellung konnten die Kunden ihr Eis dort sicher abholen.

Dies war bereits die Lösung für den Weinhandel während der Pest, die zwischen 1630 und 1633 in Florenz wütete – nur gab es damals natürlich noch kein Telefon. Doch die Geschichte der Weintürchen reicht sogar noch weiter zurück, wie Matteo Faglia erzählt. Die berühmten Adelsfamilien der Stadt wie die Antinoris oder die Frescobaldis, deren Namen noch heute mit den in ihrem Besitz befindlichen Weingütern in Verbindung stehen, brachten in ihren prunkvollen Palazzi schätzungsweise im 16. Jahrhundert Weintürchen an.

„Cosimo I. de’ Medici hat ein Dekret erlassen, das es den Adelsfamilien erlaubte, eine Flasche Wein pro Person direkt aus ihren Palazzi heraus steuerfrei zu verkaufen“, erzählt Matteo Faglia. Die Menschen kamen mit ihren leeren Flaschen und ließen sie wieder auffüllen. Der Wein, der sehr viel leichter war als heutzutage, sei ein wichtiges Nahrungsmittel zu dieser Zeit gewesen. „Die Florentiner tranken damals viel Wein, etwa zwei Liter pro Tag, weil das Wasser des Flusses Arno schmutzig und ungesund war“, sagt Faglia. Er geht davon aus, dass die Buchette in dieser Zeit entstanden sind.

Die These: Am Anfang wurde der Wein noch an der Eingangstür verkauft – niemand wollte schließlich, dass das Volk in die Palazzi hineinkommt. Wenn die Herrschaft allerdings mit der Kutsche hinauswollte, musste der ganze Stand abgebaut werden. Die kleinen Weintürchen machten den Straßenverkauf einfacher. Als dann im 18. Jahrhundert der Korken sich als Verschluss verbreitete und Wein dadurch länger haltbar in Flaschen in Läden verkauft werden konnte, verloren die Buchette del Vino an Bedeutung.

„Die meisten Florentiner, ganz abgesehen von den unzähligen Besuchern der Stadt, gehen jeden Tag an den Buchette vorbei, ohne zu wissen, dass sie überhaupt existieren“, sagt Matteo Faglia. So sei es ihm schließlich auch selbst ergangen. Im Alter von etwa 20 Jahren ist der gebürtige Mailänder nach Florenz gezogen. In dem Haus, wo er wohnte, gibt es auch ein Weintürchen. „Aber ich habe es nie bewusst wahrgenommen, es erst bemerkt, als ich mich später mit der Geschichte der Türchen beschäftigte“, sagt er. Auch die anderen Bewohner des Hauses hätten sich nicht dafür interessiert.

Durch die Arbeit des Vereins, aber vor allem durch die Wiederentdeckung in der Coronapandemie und die virale Verbreitung der Geschichte über die sozialen Medien sind die Buchette del Vino heute ein Besuchermagnet. Dennoch: Mehr als zehn der 180 werden in absehbarer Zeit wohl nicht in Betrieb genommen. Wegen der langen Schlangen, die sich vor manchem Weinloch bilden, fingen die Nachbarn an zu protestieren. „Die Stadtverwaltung hat dann entschieden, dass ab April 2023 keine Genehmigungen mehr für weitere Öffnungen erteilt werden“, erzählt Matteo Faglia. Eine kontraproduktive Maßnahme: Die bestehenden Einrichtungen wurden dadurch nur noch beliebter.

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