In der Mitte Polens liegen rund 50 Kilometer voneinander entfernt zwei leicht rivalisierende Städte, Torun (ehemals Thorn) und Bydgoszcz (ehemals Bromberg), die zwar zusammen als Regierungssitz der Region „Kujawien-Pommern“ fungieren, aber ansonsten sich aneinander reiben, seit Bydgoszcz (übrigens Büdgosch gesprochen) im 14. Jahrhundert als Schutzwall gegen das vom Deutschen Orden gegründete und immer mächtiger gewordene Torun gegründet wurde. Obwohl recht unterschiedlich, so sind beide Städte für Besucher interessant, reizvoll und ergänzen sich eher.
Ist Torun hauptsächlich gotisch geprägt, findet man in Bydgoszcz viele Jugendstilbauten, hat Torun seinen früheren Reichtum als Hansestadt dem Handel zu verdanken, hat Bydgoszcz eine industrielle Geschichte, der es auch leider geschuldet ist, dass es im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört wurde, hatte doch Alfred Nobel hier eine Fabrik.
Heute sind beide Städte geprägt durch eine Vielzahl von Studenten und einem großen Kulturangebot.
Kopernikusstadt an der Weichsel
Torun liegt malerisch an der Weichsel, wo sich zur Zeit der Hanse die uralten Handelsrouten kreuzten. Vom Deutschen Orden 1233 als Handelszentrum gegründet, ist sie schnell groß und berühmt geworden. Stolze Patrizierhäuser und der noch heute beinahe gänzlich erhaltene gotische Stadtkern zeugen vom ehemaligen Reichtum, der die Stadt heute zu einer der ältesten und schönsten Städte Polens macht.
Diese eindrucksvolle gotische Altstadt ist 1997 Unesco-Weltkulturerbe geworden. Bis auf wenige Ausnahmen sind die historischen Gebäude erhalten und haben selbst den Zweiten Weltkrieg überstanden. Teilweise stehen sogar noch die Stadtmauern aus dem 13. Jahrhundert. Nur wenige Gebäude, wie der „schiefe Turm von Thorn“, sind durch den Untergrund aus Lehm, Wasser und Sand in der Nähe der Weichsel im Laufe der Jahrhunderte etwas in Schieflage geraten.
Mittendrin das Altstädtische Rathaus, ein gotischer Backsteinbau, umgeben von fast einem quadratischen Markt. Auf jeden Fall sollte man hier die Mühe auf sich nehmen und die 175 Stufen des Turms hinaufsteigen, denn man wird mit einem fantastischen Panoramaausblick über die Stadt und das weite Hinterland belohnt.
An der Ecke des Rathauses steht eine große Statue des Astronomen Nikolaus Kopernikus, der wohl berühmteste Sohn der Stadt, der hier geboren und getauft wurde. Seine Spuren sind überall in der Stadt zu finden, selbst das Taufbecken steht noch heute im Johannis-Dom. So trägt die Universität seinen Namen, wie auch ein Planetarium, und natürlich ist ihm auch ein eigenes Museum gewidmet, dessen Besuch man auch keinesfalls auslassen sollte.
Im Kopernikushaus – einem stattlichen gotischen Haus aus dem 15. Jahrhundert und das Geburtshaus des großen Astronomen, werden multimedial in historischen Räumen das Leben und die Lehren des großen Wissenschaftlers dem Besucher nähergebracht.
Lebkuchen das ganze Jahr
Schon vor Kopernikus war Torun, damals noch Thorn, berühmt für seine Lebkuchen, denn die Thorner hatten das Privileg, ihre Lebkuchen auf den königlichen Jahrmärkten verkaufen zu dürfen. Bereits im Mittelalter brachten Mitglieder des Deutschen Ordens die Rezepte für Lebkuchen und die exotischen Lebkuchengewürze über ihre Handelswege nach Thorn. Aber neben den orientalischen Gewürzen wie Zimt, Kardamom und Nelken war heimischer Honig von den umliegenden Feldern an der Weichsel eine wichtige Zutat.
Heutzutage gibt es in Torun das ganze Jahr über in einer Vielzahl von Lebkuchen-Manufakturen die köstlichkeiten in verschiedensten Variationen zu kaufen, sogar in trinkbarer Form als Lebkuchenbier. Und da darf natürlich auch ein eigenes Museum nicht fehlen, das Thorner Pfefferkuchen-Museum, das in der ehemaligen Fabrik des Königlichen Hoflieferanten Gustav Weese, einem alten Backsteingebäude aus dem 19. Jahrhundert, entstanden ist.
Hier erfährt man anschaulich und teils multimedial alles, was über Lebkuchen wissenswert ist. Und man kann sich sogar als Andenken einen Lebkuchen nach eigenen Wünschen und unterschiedlichen Formen backen. Selbst zubereitet, nach Anleitung zu Beginn des Museumsbesuchs, bekommt man ihn am Ende frisch aus dem Ofen als Andenken mit.
Aber Torun ist nicht nur eine Stadt mit viel Geschichte, sondern auch eine Stadt mit Leben und viel Kultur, immerhin leben hier an die 30000 Studenten. In vielen Kneipen, Bars und Restaurants wird bis in den frühen Morgen gefeiert und das Angebot an Kulturveranstaltungen ist groß. Bei internationalen Festivals, wie das immer im August stattfindende Bella Skyway Festival, das Torun in eine märchenhafte Lichterwelt verwandelt, ist die Stadt voller Besucher.
„Bromberger Venedig“
Eindeutig größer als das gotische Torun mit seinen 210 000 Einwohnern ist das vom Jugendstil geprägte Bydgoszcz – mit rund 370 000 Einwohnern, immerhin Polens achtgrößte Stadt. Schon immer war in Bydgoszcz Wasser omnipräsent. Brahe, Weichsel und zahlreiche Kanäle durchziehen die Stadt. Über den Fluss Brahe balanciert auch der „Seiltänzer“, eins der auffälligsten Kunstwerke der Stadt, das vom Künstler Jerzy Kedziora anlässlich des EU-Beitritt Polens erschaffen wurde.
Auch wenn die Bezeichnung als „Bromberger Venedig“ etwas übertrieben ist, so zeigt die Stadt gerade auch vom Wasser aus ihre idyllischen Seiten. Mit kleinen Booten kann man auf den Flüssen und Kanälen, vorbei an der Mühleninsel mit ihren Speichern, Museen und dem Park, die Aussicht genießen.
Vor allen Dingen der Park auf der Mühleninsel mit alten Bäumen und großen Rasenflächen ist nicht nur die grüne Lunge der Stadt, sondern auch der Treffpunkt der erholungssuchenden Bevölkerung und Studenten
Aber Bydgoszcz hat noch vielmehr zu bieten vom modernen Opernhaus bis hin zum ältestem Gebäude, dem Dom. Auf jeden Fall sollte man sich Zeit nehmen, um gemütlich einen Kaffee auf dem großen zentralen Platz der Stadt, dem Altmarkt, zu trinken.
Empfehlenswert auch ein Besuch des Seifenmuseums in der Dlugastraße 22. Hier erfährt man nicht nur viel über die Geschichte der Waschtechnik, sondern kann auch eigenhändig schön duftende Seifen nach eigener Vorstellung kreieren und mit nach Hause nehmen.
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