Literatur

Volker Weidermann schreibt Biografie über Thomas Mann und dessen Liebe zum Meer

In seinem biografischen Roman über den Nobelpreisträger Thomas Mann skizziert Volker Weidermann das Leben und Schaffen des Schriftstellers sowie die Rolle seiner Beziehung zum Meer

Von 
Joseph Weisbrod
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Der Literaturkritiker Volker Weidermann im Jahr 2015 © Gregor Fischer/dpa

Thomas Manns Meeresgeschichte beginnt am „Urstrand“ im brasilianischen Regenwald. An der üppigen Küste von Paraty, einem heute sehr beliebten Urlaubsort, verbringt seine Mutter Julia meist barfuß die ersten glücklichen sieben Jahre ihres Lebens. Als Julias Mutter stirbt („Haar und Körper mit Blumen geschmückt und im Arm ein ganz kleines totes Kind“) und der geschockte Vater sich mit den Kindern heillos überfordert fühlt, zieht die Familie im April 1858 über den Atlantik an die Ostsee.

Dort, in der Hafenstadt Lübeck, muss die inzwischen siebzehnjährige Julia auf Geheiß ihres Vaters den zehn Jahre älteren Konsul und steinreichen Unternehmer Thomas Johann Heinrich Mann heiraten. Am 27. März 1871 bringt die „junge, wunderschöne Frau“ ihren ersten Sohn Heinrich, am 6. Juni 1875 Thomas zur Welt. Nach dieser familiären Vorgeschichte widmet der Autor sich behutsam dem „sanften, ruhigen Kind“, das mit sieben Jahren zum ersten Mal in Travemünde das Meer sieht und sich zeitlebens an diesen Tag erinnert.

Thomas Mann entdeckte seine Freiheit bei einer Italienreise - immer nah am Mittelmeer

Thomas, das Muttersöhnchen. Der Träumer, der am liebsten Puppentheater spielt. Der behütete Prinz, der seinen großen Bruder Heinrich für dessen „Widerstand gegen die Vaterwelt“ bewundert. Der Anderstickende, der sich schon früh in Jungs verliebt und in Gedichten für sie schwärmt. Der aus der patriarchalischen Familie losgelöste Jüngling, der bei einer Italienreise, ähnlich wie Goethe, seine Freiheit entdeckt. Immer nah am so geliebten Mittelmeer: Venedig, Rom, Ancona, Neapel. In der pulsierenden Stadt am Vesuv, im Getümmel der Gassen und Cafés, erlebt (oder empfindet?) der Zwanzigjährige eine Art vulkanischen, erotischen „Durchbruch“.

Gedenktag

Heinrich Mann war schon früh Demokrat und Zeitkritiker

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Thomas Groß
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Als er im Mai 1897 in Rom einen Brief des Verlegers Samuel Fischer erhält, beginnt für den jungen Mann auch der literarische Durchbruch. Sein in Italien gefasster Entschluss, „einfach die Wahrheit zu schreiben, förderte auch eine ganz neue literarische Kraft zutage“. Thomas schreibt an seinen Freund Otto Grautoff nach Deutschland: „Das Neueste ist, dass ich einen Roman vorbereite, einen großen Roman.“ Die Geburtsstunde der „Buddenbrooks“. Den Roman über den Untergang (s)einer Lübecker Kaufmanns-Dynastie, die „ein Leben gegen sich selbst, gegen ihre wahren Leidenschaften führt“, beginnt er noch in Rom zu schreiben.

Volker Weidermann erzählt mit pointierten Porträts und Zitaten

Welch elementare Bedeutung das Meer, vor allem die Ostsee, bereits in diesem frühen Meisterwerk (später im „Tod in Venedig“) innehat, erzählt Volker Weidermann mit pointierten Porträts und Zitaten der so unterschiedlichen Protagonisten. Manns literarisches Ich ist Hanno, der sensible Sohn des angesehenen Senators Thomas Buddenbrook. Auch den schwermütigen Hanno lässt er, wie den des „falschen Lebens“ überdrüssigen Übervater, im Roman sterben: „Das Meer hat Hanno mit einer Todessehnsucht infiziert, von der er nicht mehr geheilt wird.“ Erst 1929, 28 Jahre nach der Erstveröffentlichung der „Buddenbrooks“, erhält Thomas Mann den Nobelpreis für Literatur.

Im Jahre 1931 verbringt Thomas Mann mit seiner Frau Katha, die ihre Rolle als Retterin „vor der falschen Leidenschaft in ihm, dieser unmöglichen Liebe zum eigenen Geschlecht“ schon vor der Ehe angenommen hat, und den Kindern die Ferien im neuen Sommerhaus in Nidden an der Kurischen Nehrung. Eines Tages im Briefkasten: ein halb verkohltes Exemplar der „Buddenbrooks“. Eine Drohung für den „Verräter“ an der rechten nationalen Gesinnung. Denn seit der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 engagiert sich der Schriftsteller in seinen republikanischen Reden für Demokratie und Humanität.

Der neue Film

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Gebhard Hölzl
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Thomas Mann wird zum verhassten Feindbild der nationalistischen Rechtsausleger. Am Tag der Bücherverbrennung vor 100 Jahren, am 10. Mai 1933, wird Thomas Mann aus dem Münchner Literaturbeirat, später auch von der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Doch seine Werke bleiben, anders als die seines Bruders Heinrich („Der Untertan“) und seines Sohnes Klaus („Mephisto“), von den Flammen des Hasses verschont.

Mit der Emigration in die USA im Jahr 1938 entzieht Thomas Mann sich der Verhaftung durch die Gestapo. Im amerikanischen Exil führt er seinen Kampf gegen Nazideutschland als weltweit gehörter „demokratischer Wanderredner“ (Weidermann) fort. Nach seiner Ankunft schreibt er: „Eines Tages fand ich mich abgelöst von Europa und wohnhaft hier - sogar ein Stück amerikanischen Grundes, ein Garten, in dessen Blattwerk die Brise des Pazifischen Ozeans spielt, war mein.“

Ein Buch, das man auch als Nicht-Fan von Thomas Mann genießen kann

Was im brasilianischen Urwald an der Atlantikküste beginnt und über ein Jahrhundert später in einem Züricher Spital am 12. August 1955 fern vom geliebten Meer mit dem Tod Thomas Manns endet: Von den hellen wie dunklen Zwischen- und Untertönen handelt dieses kurze, fein nuancierte Buch über ein langes, bewundertes, aber auch selbstkasteites, widersprüchliches Leben. Ein wie das Meer in mal ruhigen, mal tosenden Wellen wogendes Buch, das man auch genießen kann, ohne ein Fan des Großschriftstellers Thomas Mann und Kenner der „Buddenbrooks“ oder des vor 100 Jahren (1924) erschienenen Romans „Der Zauberberg“ zu sein.

„Was für einen weiten Weg ist Thomas Mann gegangen“: Volker Weidermann, Feuilletonchef der ZEIT und angesehener Schriftsteller („Ostende. 1936. Sommer der Freundschaft“), beschreibt diesen verschlungenen, kurvenreichen Weg und öffnet uns die zutiefst menschliche, verletzliche Seite hinter der hanseatischen Maske des bis zur Selbstverleugnung disziplinierten intellektuellen Aristokraten.

Übrigens: Nach dem Tod des verehrten Vaters lebt Thomas Manns Lieblingstochter Elisabeth sein Vermächtnis als weltweit gefeierte Meeresforscherin fort. Ihre Studenten nennen die am 8. Februar 2002 verstorbene Mitbegründerin des Club of Rome „Lady of the Oceans“. Für sein Nachwort ist Volker Weidermann sogar auf dem Forschungsschiff „Elisabeth Mann Borgese“ mitgefahren.

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