Literatur

Verlag zieht „Winnetou“-Kinderbücher zurück

Ravensburger reagiert auf Debatte im Netz um rassistische Stereotype, aber Wissenschaftler und Schriftsteller halten dagegen

Von 
Rebecca Baden
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Mika Ullritz (li.) als Winnetou und Milo Haaf als Tom Silver in einer Szene des Films „Der junge Häuptling Winnetou“. © Leonine/dpa

Eigentlich sollte das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ des Ravensburger-Verlags eine Ergänzung zum gleichnamigen Kinderfilm sein. Der Film läuft seit dem 11. August in den deutschen Kinos, zeitgleich bewarb der Verlag das dazu passende Kinderbuch, ein Erstlesebuch, ein Puzzle und ein Stickerbuch. Nicht einmal zwei Wochen später ist damit Schluss: Ravensburger nimmt alle „Winnetou“-Produkte aus dem Programm.

Damit reagiert Ravensburger auf Kritik in den sozialen Netzwerken, nach der die Neuinszenierung des Karl-May-Charakters rassistische Stereotype aus der Kolonialisierung indigener nordamerikanischer Völker bediene. Schon länger machen Aktivistinnen und Aktivisten darauf aufmerksam, dass sogenannte Indianer-Romane den Völkermord an indigenen Stämmen falsch darstellen und romantisieren.

Auf Instagram publizierte Ravensburger dazu nun eine umfassende Erklärung mit einer Entschuldigung. „Wir haben die vielen negativen Rückmeldungen zu unserem Buch ,Der junge Häuptling Winnetou’ verfolgt. Und wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen“, korrigierte der Verlag seine Produktankündigung vom 11. August.

„Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen“, hieß es weiter. Die Redakteure und Redakteurinnen beschäftigten sich demnach „intensiv mit Themen wie Diversität oder kultureller Aneignung“ und prüften Inhalte vor der Veröffentlichung auf sensible Themen. Hier sei ihnen das nicht gelungen, so Ravensburger.

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Kritik am Film

Tatsächlich hatte nach eigenen Angaben auch die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) ihre Probleme mit dem Kinotitel. Auf der Homepage der FBW heißt es in einer Erklärung zu „Der junge Häuptling Winnetou“, die Jury sei in ihrer Bewertung „absolut gespalten“ gewesen.

Während manche Jurymitglieder den Kinofilm als ein deutlich erkennbares fiktives „Märchen“ einstuften, bezeichneten ihn andere demnach als „kitschiges, rückwärtsgewandtes Theaterstück, das nichts mit der Realität zu tun habe“. Demnach sei die idyllische Karl-May-Darstellung „eine Lüge, welche den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas und das ihnen zugefügte Unrecht der Landnahme“ durch weiße Siedler ausblende.

Für eine Kontroverse sorgte auch der Verkaufsstopp der Produkte im Ravensburger-Verlag – wenn auch in erster Linie bei den Nutzern und Nutzerinnen in den sozialen Medien. Zahlreiche Kommentierende bezeichneten die Entscheidung als „albern“, manche drohten dem Verlag sogar mit Boykott. „Kinderbücher sind schön und verklären ein wenig die Welt, das ist gut so“, schrieb der grüne Medienrechtsanwalt Carsten Brennecke bei Twitter.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge kritisierte die Entscheidung von Ravensburger: Wer Kindern heute Helden wie Winnetou und Old Shatterhand verwehre, dem sei „nicht mehr zu helfen“, twitterte der Politiker.

Auch der Karl-May-Experte An–dreas Brenne schüttelt mit dem Kopf: „Ich halte es für nicht richtig, ein solches Buch nur aufgrund eines Shitstorms aus dem Verkehr zu ziehen.“ Der Verlag hätte sich vor diesem Schritt von Experten für das Werk Karl Mays und das Genre des Kinder- und Jugendbuchs beraten lassen sollen. Nach Brennes Worten sei das Buch unbedenklich, weil schon in einer Vorbemerkung klargestellt werde, dass es als fiktive Geschichte und nicht als sachgerechte Darstellung des Lebens indigener Völker zu verstehen sei, so der Professor für Kunstpädagogik und Kunstdidaktik an der Universität Potsdam und Mitarbeiter der Karl-May-Gesellschaft.

„Übertrieben“ und „absurd“

Auch der Schriftsteller Wladimir Kaminer (55) hält das Vorhaben des Verlags, „Winnetou“-Bücher zurückzuziehen, für nicht nachvollziehbar. „Ich finde das übertrieben“, sagte er im Gespräch mit der Funke Mediengruppe. „Es geht doch dabei nicht um koloniale Vergangenheit, sondern um allgemein menschliche Werte, wie man sie damals gesehen hat. Das war doch eine ganz andere Realität.“ Für ihn ist das „absurd“. „Genauso gut könnte man Van Goghs ,Sonnenblumen’ aus dem Verkehr ziehen, weil Sonnenblumen nicht geeignet sind für die Botschaft der Kultur angesichts des Klimawandels.“

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