Kommentar Warum Winnetou keine Gefahr, sondern ein Vorbild ist

Wer wie Ravensburger solche Bücher vom Markt nimmt, kapituliert vor den Eiferern, meint Jonas Erlenkämper

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Jonas Erlenkämper
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Winnetou, vor 150 Jahren erdachter Apachen-Häuptling aus der Feder des sächsischen Möchtegern-Cowboys Karl May, hat das Zeug zum Friedensnobelpreisträger. Immerzu hebt er mahnend den Zeigefinger, um seine roten wie weißen Brüder und Schwestern dazu aufzurufen, sich nichts anzutun. Und wenn er einen Feind in die ewigen Jagdgründe schickt, dann in Notwehr.

Statt ihn Grenzen überwindenden Vorbild der Jugend zu erklären, soll der Gentleman in Mokassins nun aus den Bücherregalen verschwinden. Man muss sich die Verantwortlichen des schwäbischen Spieleherstellers und Buchverlags Ravensburger als hasenfüßige Duckmäuser vorstellen. Anders ist die Kapitulation der Verlagsleitung vor maßlosen Eiferern im Internet nicht zu begreifen. Ihre Entscheidung, gerade erst erschienene Kinderbücher über Winnetou aus dem Verkehr zu ziehen, begründet sie nach Lektüre einiger kritischer Kommentare so: Die Geschichten hätten „Gefühle anderer verletzt“, man habe mit der Veröffentlichung „einen Fehler gemacht“. Mit anderen Worten: Ravensburger überlässt ein paar Hundert Aktivisten die Abstimmung darüber, was gelesen werden darf. Dieses zensorische Gebaren ist gefährlicher Unfug und trägt zur Verdummung jeder Debatte bei. Dieser Tugendfuror hat in Einzelfällen einen berechtigten Kern. Aber die Sorge vor der Aufgeregtheit des Netzes darf kein Argument sein, Literatur zu tilgen.

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Noch bedenklicher als der Wankelmut des Verlags erscheint mir, dass auch den Fachleuten der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) der Kopf schwirrt. Das ist keine Versammlung irgendwelcher Amateure, sondern eine gemeinsame Behörde der 16 Bundesländer. Deren Jury sei „absolut gespalten“, was den aktuellen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ angehe, teilt die FBW mit. Kritische Juroren finden, dass Karl Mays literarische Vorlage das Unrecht ausblende, das den Indianern vor allem im 19. Jahrhundert widerfahren ist. Wer das konsequent weiterdenkt, kann jedes Buch verbieten, das in einer vergangenen Epoche spielt.

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