Mannheim. Vier Jahre ist es her, dass die Time Warp das letzte Mal so gefeiert werden konnte. Im Frühling, eine Nacht und ein Tag, 19 Stunden Techno in all seinen Spielarten, präsentiert von 40 Künstlerinnen und Künstlern. Über 20.000 Menschen haben dafür am Wochenende ihren Weg aus der ganzen Welt auf das Maimarktgelände gefunden. Wer am Samstagabend in Straßenbahnen schaute, sah schwarz. Anfang der 90er-Jahre mag Techno bunt und schrill gewesen sein - seit ein paar Jahren herrscht jedoch die Nichtfarbe von Kopf bis Fuß vor. Auf dem Parkplatz zeigen die Nummernschilder, dass viele einen weiten Weg hinter sich haben.
Um 22 Uhr herrscht reger Andrang vor den Maimarkt-Toren. Zu hören ist hier wenig, lediglich ein dumpfes Wummern bereitet den Weg. Seit dem Jahr 2000 findet der Mega-Rave an diesem Ort statt. Die Routine, die das für die Veranstalter mit sich bringt, ist bei vielen Abläufen zu spüren. Bereits im letzten Herbst wurde das bargeldlose Bezahlen getestet. Am Eingang erhält jeder Gast ein Armband mit einem Chip. Damit wird alles auf dem Gelände bezahlt. Von Essen über Trinken hin zu Zigaretten oder Merchandise. Das Aufladen dauert höchstens 20 Sekunden, die Leute an den Stationen sind zu jeder Uhrzeit nett.
Noch nicht alle Bühnen geöffnet
Einer, der seit Anbeginn der Time Warp dabei ist, ist der Mannheimer Sebastian Dresel alias Seebase. Er hat bereits bei der ersten Edition gespielt. 1994 war das, damals einmalig in der Ludwigshafener Walzmühle. Heute eröffnet er Stage 4; jenen Pavillon, in dem sich der Sonnenaufgang so schön miterleben lässt. Er lässt es ruhig angehen; viele werden erst mal warm.
Das gilt nicht für Kobosil. Der Berliner DJ mit dem Charme eines deutschen Straßenrappers knallt in Halle 1 brachiale Bässe mit 155 bpm in die Menge. Im Vergleich: Ein gesundes Herz schlägt im Ruhemodus etwa 60 bis 80 Mal in der Minute. Einige der Tänzerinnen und Tänzer sind schon seit 19 Uhr hier. Andere werden erst kommen, wenn viele schon wieder gehen. Das Großevent war Wochen vorher ausverkauft, lediglich vergünstigte Tickets für den Morgen waren noch erhältlich. Der „Morgen“, er geht hier von 5 bis 14 Uhr.
Euphorie in den Gesichtern
Wer in Gesichter schaut, der sieht viel Glück. Große Augen, ein Glühen. Fast alles lässt sich hier mit einem Lächeln regeln. Kein Hass, keine Aggressionen. Überall herrscht Euphorie. Man lernt sich kennen, man verliert sich wieder. Hier ein Plausch, dort eine Umarmung. Sanitäter, Feuerwehr, Polizei - sie alle sind präsent, aber nicht im großen Einsatz.
Spätestens ab Mitternacht müssen sich die Gäste zwischen sechs Floors entscheiden. Zu diesem Zeitpunkt hat sich eine lange Schlange am Eingang gebildet. Es ist ein Sprachenwirrwar. Viel Französisch ist zu hören, Italienisch, Spanisch, Englisch. Bei Nieselregen und gut zehn Grad Außentemperatur laufen viele in Shorts und Tops umher. Auch wenn die Bars gut umlagert sind, dauert das Anstehen nie lange. Rund 700 Gastro-Mitarbeitende sind im Einsatz - in drei Schichten über die 19 Stunden verteilt. Auf dem ganzen Gelände arbeiten an dem Tag rund 1000 Menschen.
Sechs Stunden Frauen an den Reglern
Langsam ist es überall voll. An den großen Bühnen gibt es gegen 3 Uhr kurz einen Einlassstopp. Trotz Tausender Feierwütiger wird selten unangenehm gedrängt. Die Ordner machen ihren Job bestimmt, aber stets freundlich.
Floor 1 ist jetzt fest in den Händen von Frauen. Mit Nina Kraviz, Charlotte de Witte und Amelie Lens werden die Großen im Business sechs Stunden lang die Regler drehen. Neben an regiert eine andere Generation. Techno-Urvater Sven Väth (58) ist eine Legende und eine Time Warp ohne ihn schwer vorzustellen. Als zum Finale seines routinierten Sets Konfetti auf die Maßen regnet, bricht es aus einem Gast heraus: „Papa, du warst wieder fantastico“.
Licht, Sound und Video tragen durch die Nacht
Durch digitale Soundtechnik ist die Akustik in den Hallen gut ausgepegelt. Heißt: Auch wer weiter hinten steht, bekommt die Musik zu spüren. Eine ausgeklügelte Lichtshow und 3-D-Animationen sorgen für ein immersives Erlebnis. Hier schießen weiße Lichtsäulen aus dem Boden, dort leuchten blaue Waben im Takt auf oder rote Lichter zucken wie Blitze über die Menschen.
Die Stimmung ist auch auf den DJ-Pults gut. Nach getaner Arbeit tanzen viele noch zu den Beats ihrer Kollegen. Schnell nach Hause will hier niemand.
Mal brettert es, mal geht es entspannt zu
In einem riesigen Zirkuszelt spielt derweil Gerd Janson. Hier klingt Techno vor allem nach House, nach Vocals und Melodien. DJ Koze wird den entspannten Vibe weiterführen, während auf Stage 5 der Bass bei Dax J und Paula Temple nur so brettert.
Wer eine Pause braucht, findet zwei Hallen mit Sitzbänken. Um drei Uhr ist es hier überschaubar gefüllt. Die Menschen essen, ruhen sich aus, unterhalten sich. Zu Prosecco auf Eis gibt es Crêpes, Burger oder vegane Tacos aus dem Café Tropical.
Time Warp bei Tageslicht
Langsam verabschiedet sich die Nacht. Time Warp bei Tageslicht bedeutet vor allem der Anblick von vielen Sonnenbrillen. Und Time Warp bedeutet eben auch: Tausende Raver, die hier schlafen, essen, trinken. Ein Hotel oder Taxi in dieser Nacht zu bekommen, ist eine Kunst für sich.
Um 8 Uhr setzt Kink mit seinem einstündigen Live-Set noch ein musikalisches Highlight, bis dann Legende Richie Hawtin zum gewohnten Abschluss-Rave die Massen bei sich versammelt. Nach 19 Stunden endet auch die längste Party. Viele der DJs und Fans wird man schon bald wieder sehen. Im Herbst wird wieder eine kleine Time Warp an zwei Tagen stattfinden. Das "Pandemie-Baby", wie Veranstalter Robin Ebinger das aus der Not von Corona-Verordnungen entstandene Format nennt, es ist groß geworden.
Im nächsten Frühling steht dann ein besonderes Fest an. Noch ist nicht viel bekannt über die Jubiläumsausgabe der Time Warp im nächsten Jahr. Nur einer hat sich schon zum 30. Geburtstag angekündigt: Laurent Garnier, der seinen Auftritt wegen familiären Gründen kurzfristig absagen musste.
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