Mannheim. Vor dem absoluten Höhepunkt einer fast absurden Erfolgswelle ausgebremst durch Corona - in dieser Disziplin toppt nur der Ludwigshafener Rapper Apache 207 den Berliner Comedy-Star Felix Lobrecht. Auch der soziale Aufsteiger aus Neukölln mit dem schnoddrig abgedunkelten Humor würde längst serienweise die SAP Arenen der Republik füllen, wahrscheinlich sogar Fußballstadien. Wie groß seine Zugkraft ist, zeigt sich am beziehungsweise ab Samstagnachmittag im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses: Mit nur einer Woche Vorlauf sind vier (!) Open Airs seines Comedy-Labels Stand Up 44 ausverkauft. Mit für Corona-Verhältnissen beachtlichen rund 1500 Zuschauern pro Show. „Das konnte in der Kürze der Zeit nur mit Felix und seinen Leuten funktionieren“, sagt Veranstalter Andreas Roth von Roth & Friends. Der ist wie seine gesamte Branche zwar heftig gebeutelt von der Pandemie und blickt mit gemischten Gefühlen auf den Herbst, aber trotzdem „froh, dass sich endlich wieder was tut. Seine letzte Show: Torsten Streiters Auftritt im ausverkauften Rosengarten. Das war am 1. März 2020.
Vorbilder aus den USA
Beim Auftakt der Stand-Up-44-Tournee ist Lobrecht zwar die Hauptattraktion, aber eigentlich „nur“ der Moderator, der seine Kollegen Kinan Al, Kawus Kalantar und Daniel Wolfson mit ins große Rampenlicht nimmt. Sie haben eine Pioniertätigkeit im Berliner Comedy-Underground gemeinsam. Und eine Vorliebe für US-Stand-Up-Comedy á la Bill Burr oder Dave Chappelle, die zwischen derben Alltagswitzen und sozialpolitischem Tiefgang im selben Satz wechseln können. Ihr Motto an diesem Mannheimer Wochenende: „Happy Summer Sunshine“. Also quasi Sommer, Sonne, Sonnenschein. Letzteres hält sich zumindest am Samstag etwas in Grenzen. Aber die Bedingungen sind exzellent: 26 Grad, freundliche Wolken sorgen dafür, dass das mit corona-konformem Abstand platzierte junge Publikum nicht überhitzt. An Getränke-, Flammkuchen- und Crêpe-Ständen tummeln sich - diszipliniert - kurze Schlangen. Viele überwiegend schöne Menschen zwischen 20 und 35 können endlich wieder Sonnenbrillen, Sommerkleider und stylishe Shorts ausführen. Schon das ungewohnte Summen von erwartungsfrohem Stimmengewirr im Schlosshof - erst wenn man das ungewohnte Geräusch mal wieder hört, weiß man wieder, dass es da etwas zu vermissen gab. Wenn nicht die auch am Platz vorgeschriebenen Masken wären (dafür waren keine Test- oder Impfnachweise nötig), man könnte fast die Rückkehr zur Normalität bejubeln.
Der Hauptdarsteller ist sich da gar nicht so sicher: „Es kommt mir irgendwie verboten vor, was wie hier machen. Aber es ist völlig legal“, meint Lobrecht, nachdem mit einem gewaltigen Gong um Punkt 16 Uhr das Publikum auf auf die Sitze gerufen wurde. Das sei wie Sex mit einer 18-Jährigen, witzelt er. Nicht verboten, aber mit Gschmäckle. „Witzig, dass wegen diesem Niveau der Witze die Universitätsbibliothek Mannheim geschlossen wurde“, verweist er auf eine entsprechende Email an die Studierenden. Alltags-Comedy mit gut beobachteten Respektlosigkeiten, die er umgehend politisch korrekt relativiert, sind Lobrechts große Stärke. Dementsprechend unbeeindruckt zeigt sich der Politikstudent (Marburg!) von der imposanten historischen Kulisse: „Um auf das viel zu große Plakat antworten: Nein!“ Er meint das Werbemotiv im Villenformat mit dem Slogan „Neugierig aufs Barockschloss Mannheim?“ Wenn er sagt, dass an diesem Nachmittag niemand neugierig auf das Schloss sei, muss man leider zugeben: Er hat sehr wahrscheinlich recht. Sein zweiter Versuch, Situationskomik mit Lokalkolorit zu produzieren, ist allerdings selten unoriginell. Das Auswärtige in den Mannheimer Quadraten sich fragen, ob sie eine Wegbeschreibung oder Schiffeversenken („Q3 auf D1“) vor sich haben - der Gag war schon zur Gründung der Mannheimer Klapsmühl’ anno 1976 nicht mehr ganz fresh.
Den Leuten gefällt es natürlich trotzdem. Denn Lobrecht ist ausgehungert und in Hochform. Auch wenn er angesichts einiger weniger leerer Sitze einen kleinen Rohrkrepierer produziert: Man solle bei der Tourpromotion eben nicht mit einer Flut in Konkurrenz treten. Dass das niemandem groß zum Lachen bringt, ist für ihn eine - wohl erwünschte - Steilvorlage: Mit „Das war’s wohl mit meinem Flutkatastrophenmaterial“ holt er sich charmant grinsend seinen Applaus. Und fragt unvermittelt: „Hat jemand von Euch Corona? Das ist übrigens unser Hygienekonzept.“
Nach 20 Minuten und viel Interaktion mit dem Publikum gibt er den Staffelstab in dieser Schlag-auf-Schlag-Comedy-Revue energetisch weiter: „Das Wetter ist geil, Eure Drinks sind kalt - habt ihr Bock auf die Show?“ Die nächsten 15 Minuten Ruhm gehören Kawus Kalantar. Der gebürtige Bremer ist dank jahrelanger Auftritte als Aufwärmer von Lobrechts Erfolgsprogramm „Hype“ ein absoluter Routinier und mit seinem trockenen Humor ein idealer Kontrapunkt. Er habe sich im Lockdown eine Freundin angelacht.
Der Weg nach Moria
Der 31-Jährige versammelt zwar den Gag, wie schwierig es war, seine zwei Jahre ältere neue Flamme in sein Hochbett zu bekommen, sammelt aber ansonsten mit altem Material etwa zum Thema KomAm interessantesten sind wie bei seinen Mitstreitern die Gags, die sich auch über Teile der identitätspolitischen Debatte und das mitunter verstockte Verhalten von politisch Hyperkorrekten aus einer Perspektive „mit Migrationshintergrund“ amüsieren. Kalantar sieht es zum Beispiel als Inbegriff weißer Privilegien, wenn ein wohlmeinender deutscher Antirassist ihm stolz berichte, dass er schon mit dem Rad in den Iran gefahren sei. Von wo seine Eltern mit dem Flugzeug in ein besseres Leben geflüchtet seien - „wenn ich das machen würde, wäre ich im Flüchtlingslager Moria, bevor ich in den zweiten Gang geschaltet hätte.“ Da nütze auch der deutsche Pass nichts.
Toller Auftritt, viel Applaus, rasante Überleitung von Lobrecht zu Kalantars Podcast-Partner Daniel Wolfson. Der Gelegenheitsstudent der Philosophie aus Neukölln, teilt sich mit seinem Vorgänger den Podcast „Chips und Kaviar“ - und dem Publikum erstmal Unbequemes mit: „Ich glaube übrigens, dass ich etwas Besseres bin als ihr.“ Die Begründung: „Ich versuche nämlich, die Welt zu verbessern und Spende monatlich zehn Euro an Greenpeace.“ Glückwunsch, aber zur Belohnung bekomme er immer nur Bilder von traurigen Affen, die er widersinnig finde. Seine beste Pointe: „Frauen sollten im Fußball genau so viel verdienen wie Männer“, skandiert der Berliner unter dem zustimmenden Jubel der Besucherinnen. Und führt als Beispiel die große Bettina Bötters an, die sich nach langer Verletzung zu den größten Pokalen zurückgekämpft habe und deshalb doch wirklich genau so Geld bekommen müsse wie etwa Dortmunds Nationalverteidiger Mars Hummels. Nochmal großer zustimmender Jubel, jetzt von allen. Schade, dass sich Wolfson diese Vorzeigefußballerin „komplett ausgedacht“ hat. Um zu unterstreichen, wie (unverdient) wenig Resonanz dieser Sport eigentlich hat.
Der Syrer Kinan Al (Comedy Central, Quatsch Comedy Club, Nightwash, „Shapira Shapira“) erzählt zwar auch von seiner neuen syrischen Freundin, bringt aber über seine Familiengeschichte oder Konjunktivunterricht für Flüchtlinge immer wieder eine integrationspolitische Ebene ins Spiel. Dabei ist er selbst schon seit 22 Jahren in Berlin. Dort sei er die „vielen Araber“, vorsätzlich hässlichen In-Klamotten, Schnurrbärte und Pseudo- Eispiraten so satt, dass er extrem froh sei, endlich wieder auf Tournee gehen zu können. Da merke man erst, wie schön Deutschland sei. „Auch Mannheim. Nur Cottbus sieht aus wie eine Tankstelle. Hässlicher als Syrien nach dem Krieg.“ Ansonsten sieht er eine ganz neue Gruppenbildung in der Republik: „Klatscht, wenn ihr Biontech habt!“, ruft er hintersinnig und sorgt für gemischte Gefühle, als er berichtet, sein Vater sei an Corona gestorben. Der habe sein Leben lang kein böses Wort verloren. Nur am Ende: „Diese verdammten Chinesen!“
„Hitler zum Chillen“
Nach einer rasanten Stunde übernimmt wieder Lobrecht. Und verblüfft mit seinem „ambivalenten Verhältnis zu Adolf Hitler“. Nicht dass er seine Taten gutheißen würde. Aber nach unendlich vielen Dokus setze er den NS-Diktator gleich mit Entspannung, Sofa, warmem Kakao - „Hitler zum Chillen, aber ich bin kein Nazi.“ Typisch Lobrecht, der solche Gratwanderungen aber regelmäßig hinlegt, ohne Shitstorms zu ernten. Dafür ist seine Haltung wohl zu eindeutig. Selbst wenn er Deutsche im Antirassismuskampf oftmals peinlich findet. Wenn er 2000 Leute bei einer Fahrraddemo sieht, heißen die alle Tim heißen und machen ihre Kräuterbutter selbst. Der Punkt dabei: Tatsächlich seien solche Demonstrationen erstaunlich wenig divers zusammengesetzt: „
Linke Demos sehen aus, wie sich Nazis Deutschland wünschen. Das Bunteste an so Demos sind immer die Haarfarben“, ätzt Lobrecht feixend. Gern arbeitet sich der Rap-affine Politikstudent an irgendwelchen Monikas und Stefans ab, die für ihn eine Art überbeflissenen, politisch korrekten Biedermeier mit ganz schlechten B-Noten darstellen: „So ne Leute - da riecht der Hund nach Rauch.“ Das ist auch nicht klischeefrei, aber plastisch - und die Leute lachen. Eine runde Premiere mit winzigen Patzern, die nach 80 Minuten mit „Danke, Mannheim“ und zwei Verbeugungen des multikulturellen Quartetts endet. Dass eine Comedy-Revue mit Lobrecht ein Publikumsrenner wird, ist klar: Mit Ärzte-Sohn Tommi Schmitt, dessen neuem Soloerfolg er auch eine kleine garstige Nummer „gönnt“, unterhält er den Podcast „Gemischtes Hack“. Diesen hören bei Spotify wöchentlich sage und schreibe 1,1 Millionen Menschen. Damit ist er nicht nur die Nummer eins hierzulande, sondern steht auch als einziges nichtenglisches Angebot in den weltweiten Top10 des Streamingdienstes.
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