TV-Kritik

"Die Passion" bei RTL: Ostern Reloaded mit Alexander Klaws Superstar

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Das letzte Abendmal in Daily-Soap-Optik: Jesus (Alexander Klaws, 3.v.l.) und seine Jünger (v.l.) Nicolas Puschmann, Petrus (Laith al Deen), Sila Sahin, Sarah Elena Koch, Anna-Carina Woitschack und Prince Damien © RTL / Frank W. Hempel

Essen/Mannheim. Als das Projekt,  vor allem die Besetzung des RTL-Live-Musicals „Die Passion“ bekannt wurde, hagelte es auf Twitter & Co. eimerweise Ironie. Und Schlimmeres. So schlimm war die Übertragung trotz einem halben „Dschungelcamp“ in den Nebenrollen am Mittwochabend dann gar nicht – selbst regelmäßige Kirchentagsgänger berichten, dass sie in dem Kontext schon Peinlicheres gesehen hätten. Zumindest musikalisch funktionieren die zwei Stunden, jedenfalls gemessen an Radio-Deutschpop-Kriterien, hatte die deutsche Premiere eines niederländischen Erfolgsformats Hand und Fuß.

Da haben die Mannheimer Michael Herberger (dazu unser Interview) und Felix Schüler als musikalischer Direktor vor Ort überwiegend einen guten Job gemacht. Das gilt auch für die weitgehend aus der Rhein-Neckar-Region stammende Band um Drummer Mario Garruccio, der auf seiner Vielseitigkeits-Liste nun auch gedämpften Musical-Sound abhaken kann.

Mannheimer Laith Al-Deen ragt stimmtlich heraus

Eine ordentliche Figur machen auch die Darsteller der tragenden Figuren: Thomas Gottschalk, so pastoral gekleidet und brav frisiert wie noch nie im Fernsehen, gewinnt die Wette, ob er so eine Show als Erzähler halbwegs ernsthaft über die Bühne bringen kann. Offenbar erinnert er sich gut an seine letzte Passionsgeschichte in der Kulmbacher St.-Petri-Kirche vor einem halben Jahrhundert – und zeigt immer wieder Bezüge zwischen Passionsgeschichte und krisengeschüttelter gesellschaftspolitischer Gegenwart auf. Vielleicht etwas zu bemüht.

Der vorab vieldiskutierte Jesus-Darsteller Alexander Klaws steht längst über seinem Karrierestart als Dieter Bohlens erster Superstar bei DSDS“ – und hat als routinierter Musical-Darsteller („Tarzan“) zwangsläufig die größte Präsenz im Ensemble. Deshalb muss er sich auch nicht vor dem besten Sänger im Personaltableau verstecken: Der Mannheimer Laith Al-Deen ragt stimmlich natürlich heraus, schauspielert auch halbwegs solide – wenn er sich nicht gerade das Lachen verkneifen muss, sobald „Alexander Klaws Superstar“ ihn bei den Schultern nimmt und ihm strahlend ins Gesicht singt. Aber vielleicht ist er auch nur beseelt.

Das Ensemble der RTL-"Passion" (von links): Martin Semmelrogge, Prince Damieb, Sarah und Samuel Koch, Alexander Klaws, Anna-Carina Woitschack, Thomas Enns, Nicolas Puschmann, Laith Al-Deen, Thomas Gottschalk, Mark Keller, Henning Baum sowie Ella Endlich. © Friedrich Stark/epd

Wo RTL ebenfalls nicht zu viel versprochen hat: Die Mixtur der Bilder aus Essen ist auf jeden Fall ungewöhnlich. Während das Promi-Ensemble an Plätzen in der Essener Innenstadt zunächst aufgekratztes  Reality-TV mit Coverversionen eines Deutschpop-Best-Of  produziert, das auf die Leinwände der großen Open-Air-Bühne am Burgplatz übertragen und dort von Band und Chor begleitet wird, gehen Normalbürgerinnen und -bürger den Passionsweg.  Vom Rückenscheider Markt wird ein illuminiertes Kreuz von Menschen unterschiedlicher Religionen zum Burgplatz getragen, die dabei einer RTL-Reporterin wundersame Geschichten erzählen. Das alles wirkt wie eine Mischung aus dem Tauschkonzert „Sing meinen Song“, „GZSZ“, Karl-May-Festspielen und Arena-Musical, erstmal nur mit Schlagersängerin Ella Endlich als Mutter Gottes auf der Bühne. Hat man so zumindest noch nicht gesehen.

Ob man das nächstes Jahr mit neuer Besetzung wiedersieht, werden die Quoten zeigen. Im Live-TV waren es immerhin 2,91 Millionen, was einen für RTL heutzutage überdurchschnittlichen Marktanteil beim Gesamtpublikum von 11,1 Prozent bedeutet.  Der Branchendienst DWDL wertet das als Erfolg (hier die Analyse).

Kritik an Naidoo-Lied und Gil Ofarim

In den sozialen Netzwerken sind die Reaktionen massiv, und überwiegend negativ. Es gibt in der Show auch, sagen wir: befremdliche Momente. Wenn Jesus und die Jünger nach dem getragenen Chor-Intro mit der Revolverheld-Ballade „Halt dich an mir fest“ in der Bahn fröhlich Andreas Bouranis WM-Hymne „Auf uns“ schmettern, sind da vielleicht etwas zu viel Endorphine unterwegs.

Nationaltheater-Schauspieler Samuel Koch nimmt es immerhin mit Humor, wenn er beim letzten Abendmahl gefüttert wird. Einen anderen Jünger spielt der Münchner Gil Ofarim bemerkenswert strahlend – schauspielerlisch beeindruckend, wenn man an die Schlagzeilen um die von ihm wohl fingierten Antisemitismus-Vorwürfe gegen ein Leipziger Hotel denkt. Noch mehr Kritik, ja Empörung  erntet der Einsatz von Xavier Naidoos Söhne-Mannheims-Hitballade „Und wenn ein Lied“. Dass Ella Endlich als Maria das Lied eines Sängers  darbietet, den man laut Bundesverfassungsgericht inzwischen als Antisemiten bezeichnen darf, sorgt für Fassungslosigkeit und katapultiert den Mannheimer nach längerer Zeit mal wieder in die Twittertrends.

Immerhin: Die Texte aus dem Arsenal von Adel Tawil, Sarah Connor, Tokio Hotel, Udo Jürgens oder Lindenberg passen ansonsten meist ganz gut in den österlichen Kontext. Mit Ausnahme der ersten Zeilen des Silbermond-Hits „Symphonie“, die Judas (Mark Keller) nach dem Verrat im Polizei-Blaulicht seinem Duettpartner Jesus fast zärtlich zusingt: „Sag mir was ist bloß um uns geschehen. Du scheinst mir auf einmal völlig fremd zu sein… Wer die Bergpredigt gehalten hat, wird auch das verzeihen.“ Als Paar gehen die beiden dann nun doch nicht durch.

Calmund vergisst die Currywurst

Freiwillig komisch ist es, wenn TV-Koch Nelson Müller im Imbissstand Jesus das Fladenbrot reicht – und Reiner Calmund im Angesicht des Herrn seine Currywurst vergisst. Oder wenn „Hinter Gittern“-Star Katy Karrenbauer mit Jesus im Gefangenentransporter sitzt.  Musikalischer Höhepunkt: Petrus irrt durch Essen, verleugnet seinen Messias (u.a. gegenüber Bierkutscher Ingolf Lück) liefert eine einfühlsame Soul-Version der hier exzellent gewählten Ballade „Still“ von Jupiter  Jones. Gefühlt kriegt er dafür den größten Applaus vom Live-Publikum, für das sich diese Hybrid-Veranstaltung etwas seltsam anfühlen muss.

Das Duett von Jesus in Guantanamo-Orange und seinem römischen Richter Pontius Pilatus (Henning Baum) mit Mark Forsters „Bauch und Kopf“ holpert dagegen gesanglich und inhaltlich. Danach gibt Martin Semmelrogge als Barrabas die Rampensau. Den eigentlichen, erfreulich unblutigen Passionsweg eröffnet Joel Brandensteins „Einmal sehen wir uns wieder“. Dessen von Endlich und Klaws gesungene Zeilen „Wenn das Blut in deinen Adern gefriert / Weil dein Herz aufhört zu schlagen und du zu den Engeln fliegst / Dann hab keine Angst und lass dich einfach tragen / Denn es gibt was nach dem Leben, du wirst schon sehen“ passen verblüffend zur biblischen Szene . Das hätte weitaus peinlicher ausfallen können. Zumal es sich im Original um eine Ballade von Andreas Gabalier handelt.  

Auch die Kreuzigung, der man durchaus mit Schrecken entgegensieht,  läuft familienfreundlich und erfreulicherweise ohne jede Effekthascherei.  Hennig Baum schildert das grausame Verfahren lediglich am inzwischen auf der Bühne angekommenen überdimensionalen Leuchtkreuz, um keinen „Game Of Thrones“-Gewaltvoyeurismus zu bedienen, wie er betont. Klaws haucht dann aus dem Off: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Dann singt Endlich – und man muss doch noch mal kurz aufstöhnen – Unheiligs eigentlich zu Tode abgedudelte Hitballade „Geboren um zu leben“. Allerdings: Der Text funktioniert an dieser heiklen Stelle. Nach Gottschalks Schlusswort zur Hoffnung durch die Auferstehung schlägt  Klaws den Bogen zum Anfang der Show mit „Halt dich an mir fest“.

Fazit: Das ist sicher kein Format um das Hipster-Publikum spirituell zu erleuchten, das sich in den sozialen Netzwerken daran abarbeitet. Wie man im Live-Publikum sehen konnte, kamen Deutschpop-Fans auf ihre Kosten und da hier fast durchgängig Christen am Werk waren, werden sich gläubige Menschen nicht vor den Kopf gestoßen gefühlt haben. Ob man das jedes Jahr braucht wie in den Niederlanden, ist die andere Frage. Ein solcher Straßenfeger wie dort wird „Die Passion“ hierzulande nicht – es sei denn Westernhagen, Grönemeyer, Till Lindemann  und Campino spielen Jesus, Petrus, Judas und Pontius Pilatus.

Link zum Nachschauen: tvnow.de

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