Mannheim. Eine der wenigen guten Seiten an der Pandemie und dem mit ihr verbundenen zögerlichen Publikumsverhalten: Man kommt spontan an Karten für Veranstaltungen, die normalerweise Monate im Voraus ausverkauft sind. Zum Beispiel für Ralph Ruthe, den Bielefelder Cartoonisten, der seit 2013 auch in der Rhein-Neckar-Region regelmäßig in vollen Häusern auftritt. Sein letzter Auftritt im Mannheimer Capitol im Dezember 2019 war rappelvoll. Jetzt, also am Freitagabend, füllen rund 250 Besucherinnen und Besucher den frisch sanierten und nahezu perfekt belüfteten Kuppelsaal und die Empore zu etwa einem Drittel.
Immerhin, muss man dazu fast sagen. Zumal sie „Lärm für 600 machen“, wie der Hauptdarsteller freudig registriert. Dass es sich überwiegend um eingefleischte Fans handelt, merkt man vor allem am erwartungsvollen Kennerjuchzen, mit dem schon Ruthes Ankündigungen seiner kultigen Figuren oder YouTube-Reihen reihenweise quittiert werden. Es ist auch am Merchandising-Stand im Foyer zu sehen, der eher ein halbes Kaufhaus mit Ruthe-Büchern, -Bechern, -Plüschfiguren, -Kissen, Überraschungsboxen und allerlei anderen Devotionalien ist. Und dessen Auslage schon in der Pause des ziemlich genau zweistündigen Programms „Ruthe Live – Shit Happens!“ schon so dezimiert aussieht, als wären hier Rammstein oder Metallica am Start.
Außenstehende werden sich da die Frage stellen: „Was macht denn ein Cartoonist auf der Bühne?“ Der für einen Ostwestfalen erstaunlich redselige Bielefelder beantwortet sie unaufgefordert, vermutlich mit Blick auf ein paar ahnungslose Mitgeschleppte im Publikum, die ihm zu Ehren zuhause noch keinen Schrein mit Ruthe-Produkten vollgestopft haben: „Zuerst mal das Naheliegendste“, erklärt der 49-Jährige trocken, „ich werde singen.“
Den Gesang setzt er klugerweise so sparsam ein, dass er für Abwechslung sorgt und im Rahmen seiner Möglichkeiten bleibt („ich habe nicht gesagt, dass ich gut singe“; wobei: beim Country-Rocker „Uwe, der Trucker-Bär“ geht’s). Ansonsten konzentriert er sich auf sein Kerngeschäft: leicht bittersüßen, sehr gefällig visualisierten Humor in allen Darreichungsformen von Stand- bis Bewegtbild. Mal spricht Ruthe den Text dazu, manchmal läuft einfach einer seiner mit Hilfe vom Leipziger Falk Hühne animierten YouTube-Filme.
Gute Alternative zu Stand-Up-Comedy
Da die Pointen- und Überraschungsdichte hoch ist und die Show mit gutem Timing über die Bühne kommt, erweist sich das Format wieder einmal als absolut bühnentaugliche, sehr kurzweilige Alternative zur Stand-up-Comedy. Zumal Ruthes comichafte Bilder so prägnant über die große Leinwand kommen, dass man sich im Capitol phasenweise mal wieder fast wie früher fühlen kann – also wie im Kino, indem man den „Witzbildzeichner“ am Rand im besten Fall genau so vergisst wie den Filmvorführer.
Zumal die Gags durchaus mit etwas Tiefgang daherkommen, wenn Ruthe nicht gerade vorsätzlich – und dann ziemlich köstlich - kalauert. Denn Ruthe weiß: „Im Tragischen steckt das Komische.“ Deshalb versucht er, in alltäglichen Katastrophen getreu dem Programmtitel „Shit Happens“ etwas Lustiges zu finden. Oft funktionieren die Pointen um zwei, drei Ecken, gern vermittelt über Figuren aus der Popkultur. So der Cartoon-Klassiker, bei dem ein Paar im Raumanzug im All sitzt. Sie fragt dann den in seinem Sauerstoffhelm erblassenden Pinocchio „Findest Du mich zu fett?”. Und wer etwas nachdenkt, sieht die Lügennase des hölzernen Jungen gefährlich wachsen. Typischer Ruthe-Humor.
Der schlägt sich vor allem auf Twitter und Co. auch in politischer Haltung nieder, was auf der Bühne aber nur aufscheint (wobei Ruthe zu den bislang noch wenigen Künstlern gehört, die bei Liveauftritten für die 2G-Regelung im Publikum praktizieren lassen).
Dazu gehört aber auch immer wieder eine gehörige Portion Selbstironie. Etwa, wenn im Intro Klimaschutzikone Greta Thunberg im Wunschzettel an den Weihnachtsmann ihre Weltretterinnen-Mission vertritt und dabei augenzwinkernd der Autokonzern und Toursponsor Mitsubishi ins Bild rückt.
Greta und Mitsubishi
Die besten Gags funktionieren live ohne viele Worte. Dann merkt man Ruthe den Spaß an seiner Arbeit deutlich an, teilweise filmt er sogar die Publikumsreaktionen. Gücklich, wer so sein Geld verdient. Der frühere „MAD“-Zeichner Ruthe lässt dabei amüsant seinen Cartoonisten-Alltag Revue passieren genau wie entscheidende Karrierestationen. Etwa den Kurzfilm mit zehn von Fischen dargestellten Filmklassikern in 100 Sekunden, mit dem er mal einen Wettbewerb der Berliner Verkehrsbetriebe gewonnen hat.
Oder die wirklich grandiosen Werbeparodien, die auf YouTube Millionen erreichen - und deren neuste Folge die Show in der Zugabe beschließt.
Davor gibt es natürlich noch allerlei Köstlichkeiten von Ruthes Kultfiguren – den allzu menschlichen Fischen Barry und Sting aus der Reihe „Flossen“, den von Warners Roadrunner und dem Koyoten inspirierten Biber und Baum, Weihnachtsmann und Rentier Rudolph, von Philipp, dem nutellasüchtigen Eichhörnchen, den drei Geiern sowie der „HNO-WG“. Diese besteht aus der Giraffe Günni, Nashorn Jochen und dem miesepetrigen Koala Krüger, erlangte auch Serienreife, steht vor ihrem Leinwanddebüt und entstand aus einem einzigen Cartoon. In dem sitzt das Trio mit langem Hals, extremer Nase und puscheligen Ohren im Wartezimmer eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes, dem mit Blick auf das Patientengut „Ihr wollt mich wohl verscheißern, was?“ entfährt. Deren neues, noch unveröffentlichtes Abenteuer dreht sich auch um das Coronavirus, reißt aber nicht ganz so mit wie der Rest des Abends. Der hatte ansonsten nur ansatzweise Längen, als Ruthe bislang nicht verwirklichte Serienideen aus der Ablage P vorstellt: „Baktari“ liegt da Recht , „Frühreif“ ist ganz nett und „Uwe, der Trucker-Bär“ überzeugt zumindest als Song. Bleibt zu hoffen, dass das Capitol beim nächsten Mal nicht nur voll klingt.
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