Heiß und heftig wurde auf den vergangenen Filmfestspielen von Venedig diskutiert, wer letztendlich mit dem Hauptpreis, dem Goldenen Löwen, ausgezeichnet werden würde. „Babygirl“ mit Nicole Kidman wurde hoch gehandelt, ebenso wie „The Brutalist“ von Brady Corbet oder das Callas-Porträt „Maria“ von Pablo Larraín mit Angelina Jolie als tragischer Heldin. Alle wären durchaus würdige Sieger gewesen, gewonnen hat jedoch einmal mehr der unvergleichliche spanische Maestro und Oscar-Preisträger Pedro Almodóvar. Dessen Stern ging 1988 vor Ort am Lido auf, als er für das Drehbuch zu seiner schrillen Komödie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ mit einer Goldenen Osella bedacht wurde.
Almodóvar arbeitet nach selbstverfassten Skripts
Als großer Frauenregisseur hat er sich wie einst sein US-Kollege George Cukor etabliert, eine unverwechselbare Handschrift zeichnet ihn aus. Als klassischer Auteur arbeitet er prinzipiell nach selbstverfassten Skripts, wie aktuell bei „The Room Next Door“. Als Vorlage hat ihm der Sterbehilferoman „Was fehlt dir“ von Sigrid Nunez gedient. Thematisch knüpft er an sein Drama „Leid und Herrlichkeit“ (2019) an, in dem er sich schon mit Alter und Tod auseinandersetzte.
Das erste Mal hat der 75-Jährige einen Kinofilm in englischer Sprache gedreht, „geübt“ hat er diesbezüglich bei zwei Kurzfilmen, dem queeren Western „Strange Way of Life“ (2023) und dem Jean-Cocteau-Einakter „The Human Voice“ (2020). Wie in letztgenannter Arbeit spielt hier Tilda Swinton die Hauptrolle, in den Part ihres Gegenübers schlüpft Julianne Moore - ein Leinwand-Traumpaar.
Nach Jahren begegnen sich die beiden Frauen wieder eher zufällig. Bei einer Signierstunde erfährt die erfolgreiche Schriftstellerin Ingrid (Moore) durch eine gemeinsame Bekannte von der Krebserkrankung ihrer Freundin, der ehemaligen Kriegsberichterstatterin Martha (Swinton). Umgehend sucht sie diese im Krankenhaus auf. Schnell ist die alte Vertrautheit wieder da. Immer mehr Zeit verbringen die beiden miteinander, reden über ihre Vergangenheit, Gott und die Welt.
Martha, gespielt von Tilda Swinton, will den Zeitpunkt ihres Todes selbst entscheiden
Zunächst scheint es so, als würde die Chemotherapie bei Martha anschlagen. Als sich diese Hoffnung jedoch zerschlägt, fasst sie den Entschluss, den Zeitpunkt ihres Ablebens selbst zu bestimmen. Ingrid ist entsetzt, vermag Martha jedoch nicht umzustimmen. Vielmehr willigt sie letztendlich ein, diese auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Dieser führt in ein luxuriöses Haus in Upstate New York, das die Ex-Reporterin gemietet hat. Hier will sie die im Darknet besorgte Todespille einnehmen.
Julianne Moore
- Julianne Moore schloss die American High School in Frankfurt am Main 1979 ab. Danach studierte sie an der School of Arts der Boston University.
- Nach langen Theater- und TV-Jahren kam sie zum Film. Knapp 120 Preise hat sie im Verlauf ihrer Karriere gewonnen, unter anderem einen Hauptrollen-Oscar für„Still Alice“.
- Ihre weitere Filmographie schließt unter anderem „The Big Lebowski“, „Hannibal“ und „Boogie Nights“.
- Besonders beliebt ist „Julie“ als Ensembledarstellerin. geh
Ingrid soll dabei nicht aktiv Sterbehilfe leisten, sie soll ihrer Freundin nur als moralische Unterstützung im Titel gebenden „Zimmer nebenan“ dienen... Ein prototypisches Theater-Setting, aufgebrochen durch ein paar Rückblenden, die von Marthas Aufenthalten an Kriegsschauplätzen und deren entfremdeter Tochter erzählen. Ein maßgeblicher, wenn auch recht kleiner Auftritt fällt noch John Turturro („The Big Lebowski“) zu, der, gegen den Strich besetzt, einen College-Professor gibt. Der hatte früher Liebesverhältnisse zu den beiden Damen und steht nun Ingrid mit Hilfe einer Anwältin juristisch zur Seite. Im Grunde ist es aber ein Zweipersonenstück, ein geistreicher Dialogmarathon.
Figuren in "The Room Next Door" sind liebevoll und präzise gezeichnet
Gewohnt feinfühlig geht „Almodóvar“ - so nennt er sich im Vorspann, im Nachspann taucht er mit ganzem Namen auf - zur Sache, gewohnt präzise und liebevoll sind seine Figuren gezeichnet. Man darf wieder eintauchen, in sein (Pop-)Universum, musikalisch trefflich begleitet vom melancholischen Score seines kongenialen Stammkomponisten Alberto Iglesias.
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Gewohnt berauschend ist die Bilderwelt, verantwortet von Eduard Grau („A Single Man“). Kräftige Farben dominieren, gelb leuchtet das Kostüm von Martha, blau ist ihr Schal, sattgrün eine der Liegen auf der Veranda. Immer wieder sind Gemälde zu sehen. Darunter Edward Hoppers „Menschen in der Sonne“ - „das ist doch wohl kein Original?“, fragt Ingrid. Entsprechend kreisen die Gespräche zeitweilig um Kunst und Kultur, gemeinsam schauen die Frauen Filme im Kino und auf DVD, darunter Buster Keatons Screwball-Komödie „Der Mann mit den 1000 Bräuten“ und John Hustons „Die Toten“ nach einer Kurzgeschichte aus James Joyces „Dubliners“.
Moore agiert brillant, Swinton trägt dick auf
Selbstbestimmtheit ist das zentrale Thema, um Liebe, schwierige Beziehungen, Trauer und Abschied geht es: unsentimental, packend und berührend. Brillant, punktgenau und zurückgenommen agiert die empathische Moore („May December“), während Swinton („Orlando“), für sie unüblich, streckenweise arg dick aufträgt und final sogar noch als ihre lange abwesende Tochter in Erscheinung tritt. Ein Kniff zu viel - was die Stärke und den Unterhaltungswert dieses Spätwerks keinesfalls mindert.
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