Mit „Peter von Kant“ wurde die diesjährige Berlinale eröffnet. Eine treffliche Wahl, war François Ozon doch schon mehrfach, zudem erfolgreich, an der Spree zu Gast. Für sein Missbrauchsdrama „Gelobt sei Gott“ gewann er 2019 den Silbernen Löwen – Preis der Jury, für „8 Frauen“ wurden seine Heldinnen, darunter Fanny Ardant, Isabelle Huppert und Catherine Deneuve, 2002 mit dem Silbernen Bären für ihre Ensembleleistung prämiert. Zusätzlicher Anreiz, den Film so prominent zu platzieren, war gewiss dem Umstand geschuldet, dass der französische Regisseur und Drehbuchautor sich einer Vorlage eines weltberühmten deutschen Kollegen bedient hat. Rainer Werner Fassbinders (1945-1982) artifizielle, auf seinem gleichnamigen Theaterstück basierende lesbische Liebesgeschichte „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972) hat er adaptiert, aus der berühmten Modeschöpferin Petra (Margit Carstensen) den renommierten Filmemacher Peter gemacht.
Während es Fassbinder im Original – dank vertauschter Geschlechterrollen – verklausuliert ums eigene Liebes- und Seelenleben ging, nennt Ozon die Dinge beim Namen. Sein Titelheld ist zweifelsfrei Fassbinder. Dank Denis Ménochets präzisem Spiel gut erkennbar in Gestik und Körpersprache, ideal ergänzt durch das Kostümbild von Pascaline Chavalle. Eine Hommage, ein Remake, eine schonungslose Nabelschau.
In ein schickes Kölner Loft, das stets nur bei Aktwechseln kurz verlassen wird, geht es. Hier lebt der selbstverliebte von Kant mit seinem devoten Assistenten Karl (Stéfan Crépon), den er wie einen Leibeigenen behandelt. Das Telefon muss er ihm ans Bett bringen, Briefe und Skripts tippen, Essen kochen, Drinks mixen ... Da lernt er eines Tages über die zum Star avancierte Aktrice Sidonie (Isabelle Adjani), lange Jahre seine Muse, Amir (Khalil Ben Gharbia) kennen, einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen. Kopfüber verliebt er sich in ihn. Bietet ihm Kost und Logis an, verspricht ihn als Schauspieler groß herauszubringen ...
Fassbinder-Fans werden viele Verweise auf Leben und Oeuvre des Enfant Terrible des Neuen Deutschen Films ausmachen. Die Liebesgeschichte erinnert an dessen tragische Liaison mit dem Tunesier El Hedi Ben Salem, den er in „Angst essen Seele auf“ neben Brigitte Mira als Gastarbeiter prominent besetzte und dem er nach dessen Suizid in einem französischen Gefängnis seine letzte Arbeit widmete. Die Wände der von Produktionsdesignerin Katia Wyszkop exquisit ausgestatteten Wohnung zieren Plakate von fiktiven RWF-Kinohits, auf der Tonspur erklingt analog zum Urwerk „In My Room“ von The Walker Brothers.
Schöne, kluge Referenzen. Bis hin zum Auftritt von Fassbinders Lieblingsdarstellerin Hanna Schygulla („Die Ehe der Maria Braun“), die als Mutter des Protagonisten überzeugt. Eine kühne Neuaufbereitung, ein Genuss für Leinwand-Ästheten und – ob der pointierten, bösen Dialoge – Freunde des satirischen Humors. Getragen wird die gezirkelte Mär vom beeindruckenden Cast. Ménochets Verkörperung des gequälten Künstlers ist eine physische Meisterleistung, Adjani („Camille Claudel“), perfekt geschminkt und gestylt, scheut sich nicht, ihr eigenes Image zu karikieren, derweil Crépon („Lupin“) als masochistischer Sekretär brilliert und der vielversprechende Newcomer Gharbia als Amir grausam die Begierden seines aller Vernunft beraubten Sugar-Daddys geschickt auszunutzen versteht.
Ein veritables „Schaustück“, 85 Minuten kurz. Was fehlt, ist echte Tiefe. Ozon bildet lediglich ab, zeichnet nach. Er setzt sich nicht wirklich mit seinen Figuren auseinander, macht deren Emotionen nicht spürbar. Was hat es mit den sadomasochistischen Tendenzen zwischen den einzelnen Charakteren auf sich? Warum ist ein vermeintlich so kluger Mann wie von Kant nicht lernfähig? Warum hat der offensichtlich vielfach begabte Karl seinen Dienstherren, der ihn nonstop schikaniert, noch nicht verlassen?
Viele offene Fragen, die möglicherweise durch das von Adjani in einem Song vorgebrachte Oscar-Wilde-Zitat „Jeder tötet, was er liebt“ beantwortet werden sollen. Das wäre allerdings recht unbefriedigend. Wahrscheinlicher ist, dass der Realisator seinem verehrten Vorbild noch ein letztes Mal Tribut zollen wollte: Jeanne Moreau hat das Lied nämlich 1982 in dessen Schwanengesang, der Jean-Genet-Verfilmung „Querelle“, intoniert.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/gesehen-und-gehoert/kino_artikel,-kino-jeder-toetet-was-er-liebt-_arid,1997903.html