Mannheim. Da reden und denken zwei aufmerksam miteinander. Sie hören dem anderen zu, tauschen sich über brennende Fragen der Gegenwart aus und formulieren daraus Visionen für Zukunft. Die beiden haben sich offenkundig viel zu sagen, auch wenn fast 55 Lebensjahre und zwei Generationen zwischen ihnen liegen. Und auch, wenn sie in diesem Dialog keine Worte benutzen, sondern ihre Instrumente: Bernd Konrad seine Saxofone und die Bassklarinette, Ilja Ruf sein Klavier.
Ilja Ruf und Bernd Konrad
- Der Pianist, Komponist, Klarinettist und Sänger Ilja Ruf wurde 2001 in Reutlingen geboren. Seit Herbst 2020 studiert er Popmusikdesign an der Popakademie Baden-Württemberg.
- Vergangenes Jahr veröffentlichte der bereits mehrfach preisgekrönte Musiker sein Solo-Debütalbum „Ilja_19“.
- „Utopia - Dialogues in Jazz with my Grandparents, Vol. 1“, ist auf dem Label GP Arts (LC 23067) erschienen. Die Reihe soll im nächsten Jahr fortgeführt werden.
- Bernd Konrad wurde 1947 in Dammfleth geboren. Er studierte Klarinette, elektronische Musik und Komposition an der Hochschule für Musik in Stuttgart, wo er ab 1986 eine Professur in der von ihm mit aufgebauten Abteilung für Popularmusik und Jazz innehatte.
- 1981 war er Mitgründer des Jugendjazzorchesters Baden-Württemberg, das er bis 2013 leitete.
- 2018 wurde Konrad mit dem Jazzpreis Baden-Württemberg für sein Lebenswerk ausgezeichnet. mav
„Dialogues In Jazz With My Grandparents“ heißt eine neue CD-Reihe, die der junge Wahl-Mannheimer Pianist, Komponist, Sänger und Popakademie-Student Ilja Ruf mit Unterstützung der Fördereinrichtung Initiative Musik gestartet hat und dessen erste Ausgabe („Vol. 1“) namens „Utopia“ nun sowohl in physischer Form als auch digital vorliegt. Ruf trifft hier auf Bernd Konrad, preisgekrönter Jazz-Pionier und Komponist und weiland - 1986 - der erste deutsche Jazzprofessor überhaupt. Ruf ist 21, Konrad 75 Jahre alt.
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Diese musikalische Begegnung erfolgte ungeprobt und als sogenannter One-Take - die acht Stücke des Langspielers wurden beim ersten Anlauf aufgenommen. Als Vorlage für die gemeinsamen Improvisationen dienten den beiden Gesprächsthemen und kurze Notenskizzen. Die Musik also gibt hier das Vokabular vor: „Das Vokabular für ein Gespräch über drei Generationen hinweg“, wie es es im Booklet-Text zum Album heißt. „Da ist die Jugend, die die existentielle Bedrohung ihrer Zukunft durch die Klimakrise deutlich artikuliert. Da ist die Nachkriegsgeneration, die den Faschismus hinter sich glaubte und nun erkennen muss, er war nie tot, nein - er gewinnt sogar wieder an Beliebtheit.“ Was aus diesem thematischen Spannungsfeld entstanden ist, changiert in vibrierend vielschichtiger Manier zwischen Jazz und Neuer Musik und ist, um es vorwegzunehmen, den beiden hervorragend geraten.
Es beginnt alles mit einer Richtungsbestimmung: „Quo vadis?“ -Wohin gehst du, wohin wird das führen? - fragt das Eröffnungsstück, in dem sich die feinsinnige, in dynamischen Spielzügen immer wieder neu austarierte Zwiesprache zwischen Konrads Saxofon und Rufs Klavier zu positionieren beginnt. Frei schwingende nachdenklich-dramatische und lyrische Kontemplationen werden hier bald experimentierfreudig kontrastiert - unversehens zirkulieren da Stimmfetzen und Atemklang zwischen den Instrumenten.
„Ein Wintermärchen“ hebt aus einer tastenden, gedämpft-perkussiven Exposition heraus zu einem impulsiv federnden Crescendo an und transformiert sich in einen geradezu House-artigen Piano-Groove. Wir hören überreizt stiebende, geisterhaft sirrende Sopransaxofon-Töne und bald die Ahnung einer fernen Melodie, die sich wie die schemenhafte Erinnerung an eine alte Folklore-Weise an den Saum des Bewusstseins heftet: großartig!
Organische Balance
„Konferenz“ ist (wie auch das zarte und freisinnig-kraftvolle „Aus der Luft“) ein Solo-Werk von Ruf, der hier gleichwohl ebenfalls mit vielen Stimmmodi, Temperamenten und Klangfarben spielt. Auch die Improvisation „Entzünden“, für die Konrad zur Bassklarinette wechselt, schlägt nach leichtherzig-verspieltem Anlauf gehörige Groove-Funken, die schließlich, einer nach dem anderen, verglimmen und in die Stille sinken. In „Flucht“ lassen Konrad und Ruf ihr Spiel aufgewühlt aufklingen, finden zu einer schweren, wie erschöpft atmenden Ruhe, die dann indes wieder Anspannung und fiebriger Getriebenheit weichen muss.
In seiner Solo-Arbeit „Hymnus Ukraine“ zeigt sich Konrad (der da wieder am Altsaxofon brilliert) nachdenklich und melancholisch, gleitet dabei aus leiser Stimmung in nachgerade schmerzliche Tonlagen. „Utopia“ setzt schließlich eine kraftvoll geschwungene Schlussklammer, in der sich Lebenslust und ungebrochene Neugier auf die Zukunft Bahn zu brechen scheinen.
Bemerkenswert ist die organische Balance, mit der die beiden Musiker hier zusammenfinden - aus dem Abstand, den die Jahre zwischen Ruf und Konrad setzen, klingt nichts Trennendes heraus. „Es war fantastisch mit Bernd zusammenzuarbeiten. In seine Töne legt er so viel Lebenserfahrung, Wissen und Charakter“, sagt Ruf. „Man wird sofort inspiriert und das Stück bekommt eine Einzigartigkeit. Und darum geht’s glaube ich irgendwie. Den Moment zelebrieren, persönlich werden, eine Geschichte erzählen. Und Bernd Konrad hat einiges zu erzählen.”
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