Enjoy Jazz

Enjoy Jazz: Beschwörungen menschlichen Miteinanders

Nach Mannheim haben die Macher des EFG London Jazz Festivals die Band „Moment’s Notice“ mitgebracht. Weshalb das Weltgeschehen in unerklärlicher Weise Einfluss auf die Musik dieses Konzertes zu nehmen scheint

Von 
Georg Spindler
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Nach Mannheim haben die Macher des EFG London Jazz Festivals die Band „Moment’s Notice“ mitgebracht. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Es ist ein magischer Moment spontaner Eingebung. In der dritten Stunde dieses denkwürdigen Enjoy-Jazz-Konzertes scheint das Weltgeschehen in unerklärlicher Weise Einfluss auf die Musik zu nehmen, die in der Alten Feuerwache Mannheim dargeboten wird. Wo eben noch behutsames Abtasten zwischen den Instrumentalisten herrschte, schließlich stehen sie erstmals gemeinsam auf einer Bühne, wiegen sich Soweto Kinch und Tamar Osborn auf Tenor- respektive Baritonsaxofon plötzlich in hymnischem Gleichklang. Spielen ein sanftes, lyrisches Motiv, das nur eine Botschaft sendet: Sehnsucht nach Frieden. Man lauscht ergriffen und gebannt.

Fesselnde Konversation

Die wundersame Atmosphäre setzt sich fort. Als Percussionist Dudù Kouate einen afrikanischen Gesang anstimmt, lösen sich die Bläserstimmen voneinander, verflechten sich mit Pianist Kit Downes zu einer fesselnden kollektiven Konversation. Keiner übertönt dabei den anderen, alle klingen gleichberechtigt: eine Beschwörung menschlichen Miteinanders. Und dann erhebt mit einem Mal Schlagzeugerin Metta Shiba ihre Stimme zu einem zarten Klagegesang. So endet der Auftritt in einer bewegenden Stimmung von Verletzlichkeit.

Enjoy-Jazz-Chef Rainer Kern hat diesen Abend vom EFG London Jazz Festival und dessen Leiterin Pelin Opcin gestalten lassen. Als Kurator und Moderator fungiert George Nelson, er hat die Mitwirkenden ausgewählt. Sie präsentieren drei völlig frei improvisierte Sets. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte dies zu einer wilden Free-Jazz-Schlacht geführt. Doch für diese junge Musiker-Generation bedeutet frei zu spielen, auch melodische Strukturen oder fest fixierte Rhythmen miteinzubeziehen und sich Zeit zu nehmen fürs aufeinander Hören.

Wenig sensibel

Gleichwohl beginnt das Ganze eher mittelprächtig. Im Duo mit Tamar Osborn beeindruckt Dudù Kouate zwar durch verblüffende Klangfarbenvielfalt und hochvirtuose Handhabung seines ungewöhnlichen Instrumentariums. Aber er kann der Versuchung nicht widerstehen, all seine Utensilien permanent zum Einsatz zu bringen und überspielt wenig sensibel seine Mitmusikerin. Die kontert mit kühlen, mitunter meditativen Beiträgen, reagiert aber auch gerne auf Kouates rhythmische Aufforderungen mit tänzelnden Phrasen. Sie gefällt durch variables Flötenspiel, bei dem sie auch expressive Vokalisierungseffekte nutzt, und auf der Klarinette mit warm tönendem, kristallklarem Sound. Dennoch vermag sie die Spannung nicht über 50 Minuten zu halten, zu gleichartig sind ihre modalartigem Soli und Ruf-und-Antwort-Phrasen.

Auf ganz anderem Level wird beim Trio Kinch/Downes/Shiba musiziert. Es beginnt in Free-Jazz-Manier mit einem spannungsvollen Hin und Her. Downes lässt Bässe grummeln, scharrt zugleich im Innern des Flügels, Shiba reagiert mit leichthändigen rhythmischen Skizzierungen, Kinch wirft eruptive Phrasenfetzen in den Raum. Dann geht es munter durch die Stilgefilde: Als die Schlagzeugerin einen Beat markiert, steuert der Pianist, eben noch in feinen romantischen Stimmungen schwelgend, handfeste Gospel-Akkorde bei, der Saxofonist bringt auf dem digitalen Aerophone deftigen Synthesizer-Funk ins Spiel. Downes wechselt zur Orgel, die er auf kleiner Flamme brodeln lässt, nun wird es rockig - aber nicht lange, denn Kinch entlockt dem Tenorsax kraftvoll sprudelnde Phrasen, die den Schmerz des Blues in sich tragen, sich aber jäh in kreischende Expressivität steigern können. Bester britischer Jazz.

Redaktion

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