Kult-Rennen - Auf der Sandbahn im südpfälzischen Herxheim feiern Hunderte Menschen und Dutzende Klappradfahrer eine Epoche, in der die Welt weniger komplex war

Klapprad-Fahrer feiern in der Südpfalz längst vergangene Zeiten

Von 
Stephan Alfter
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Kein Start ohne Bart: Das nahmen sich in Herxheim mehr als 150 Klappradfahrer zu Herzen und kämpften vor allem mit der Schwerkraft. © Klaus Venus

Herxheim. Sollten in der Region in diesen Tagen noch immer außerordentlich viele Menschen mit Oberlippenbärten unterwegs sein, dann könnte es an einem der skurrilsten Fahrradrennen liegen, die es derzeit weltweit gibt. Es war gegen 18.55 Uhr am Samstag, als der im Ludwigshafener Exil lebende König Céphas Bansah (übrigens Teilnehmer bei der Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Weltmeisterschaft in Wiesloch im Jahr 2014) die mehr als 150 teilnehmenden Klapprad-Fahrer einen Schwur leisten ließ: Der Oberlippenbart - so hieß es da in der Formel - dürfe auch am Tag nach dem Rennen nicht abrasiert werden. Um diese Forderung des Reglements anzuerkennen, mussten die Klapprad-Artisten mit einem laut und deutlich ausgesprochenen „Eiooooh“ (Ahjoo) antworten. Ebenso mussten sie schwören, dass ihr Klapprad über keine Gangschaltung verfügt.

Blick auf das Geschehen von der Tribüne aus: Die Zuschauer feuerten ihre Favoriten an. Das waren zumeist jene mit den besten Outfits. © Klaus Venus

Skurril genug, dass der wahrhaftige König eines drei Millionen Einwohner zählenden Stammes in Ostghana (Ausbildungsberuf Landmaschinen-Mechaniker) mit einem Hubschrauber aus Speyer eingeflogen wird. Dass er anschließend aber in vollem Ornat auf einem herbeigeschafften Roten Teppich über eine südpfälzische Aschenbahn schwebt, um sich dann - begleitet von Oberlippenbart tragenden Klappradfahrerinnen - zu fast psychedelischen Klängen von Emerson, Lake & Palmer auf eine Ehrenrunde zu begeben, das ist für das vinophile Großhirn eines Pfälzers eigentlich an Sinnesreizen nicht zu verkraften. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte der Abend damit, dass alle Klapprad-Fahrer vor der gut gefüllten Zuschauertribüne den in der Popkultur bisher weitgehend vernachlässigten Song: „Kennst Du Ludwigshafen?“ schmettern mussten.

„Wir wohnen links vom Rhein und atmen Chemie-Luft ein“, textete Hans Freistadt im Jahr 2012. Der inzwischen verstorbene Mann, der als singender Boxer und mehrfacher Deutscher Meister im Fliegengewicht weit über die Pfalz hinaus bekannt war, genießt bis heute Kultstatus - auch und gerade unter Klapprad-Fahrern.

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Fragt man Peter Zürker, Mitbegründer des World-Klapp und Vorsitzender des Pfälzischen Klappvereins, nach dem Sinn und Zweck dieser fast karnevalistischen Veranstaltung, dann stimmt er dem Postulat zu, dass die ganze Sache letztlich eine Zeitreise ist. Und zwar zurück ins Westdeutschland der 1970er und der frühen 80er Jahre: Dort die sich gegenüberstehenden Atommächte USA und Sowjetunion, hier der einfach zu flickende Vorder- und Hinterreifen eines faltbaren Fahrrads. Alles war weniger komplex, das Fahrrad fuhr vielfach ohne Gänge, und wer einen Oberlippenbart oder einen Fuchsschwanz hatte, der konnte es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen. Es ist die Suche nach dieser verlorenen Zeit, die sich an diesem Tag in der Südpfalz Bahn bricht.

Hans-Peter Briegel (ohne Oberlippenbart) im Gespräch mit Moderator Matz Kastning, zur Frage, wie viele Tore er in seiner Fußballer-Karriere verhindert hat. © S. Alfter

Nicht überliefert aus dieser Epoche sind Bilder, die Hans-Peter Briegel („Die Walz vunn de Palz“) mit Oberlippenbart zeigen. Ob er es trotzdem zum Millionär geschafft hat? Vielleicht. Briegel lebt wenige Kilometer von Herxheim entfernt und war insofern prädestiniert, ein Rennen zu eröffnen, das eigentlich nur Sieger kennt. Ob es der Mann mit der Klappasaki ist, die Beklappten oder auch Giovanni Klappatoni - sie alle sind in der Szene seit Jahren Stars. Gewonnen haben sie freilich noch nie. Auch der frühere Radprofi Udo Bölts zählt zu den Anhängern. „Quäl Dich, Du Sau“, schrie er 1997 Jan Ulrich bei der Tour de France an, ehe dieser in Paris als Erster über die Ziellinie fuhr. Dieses Mal quälte sich Bölts selbst mit einer Original-Übersetzung, die ihn wie eine Nähmaschine treten ließ.

Einen kleinen Schreckmoment, der die Starter in die Realität holte, gab es dann aber doch: Einer der Fahrer stürzte und holte sich eine stark blutende Platzwunde am Kopf ab. Gut, dass die meisten Fahrer dann doch eine Errungenschaft der komplexer daherkommenden 90er-Jahre auf dem Kopf trugen - einen Helm. Nach der besonnenen Reaktion der Wettkampfleitung konnten schließlich in einem leicht geänderten Reglement die beiden Champions (weiblich und männlich) gekürt werden. Unter ihnen war jedenfalls nicht Alfons V., der in einem Interview mit dieser Redaktion großspurig angekündigt hatte, mit dem Fahrerfeld etwas spielen zu wollen. Vielleicht doch zu viele Weinschorle vor dem Start? Oder Übergewicht? Um herauszufinden, wo die Zeit verloren ging, hat er nun ein Jahr Zeit.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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